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November 04/1998
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Immer im Bilde

Das neue Präsidium des Deutschen Bundestages

Neues Präsidium
Kräftig durchgewirbelt wurde das Präsidium des Deutschen Bundestages. Fünf neue Mitglieder hat das am 26. Oktober 1998 neu gewählte, sechsköpfige Gremium. Erstmals steht mit Wolfgang Thierse ein Politiker aus dem Osten Deutschlands an der Spitze und übt damit das protokollarisch zweitwichtigste Amt der Bundesrepublik Deutschland aus.

Sie sitzen erhöht hinter dem Rednerpult. Und meistens schweigen sie, während es wenige Meter entfernt im Bundestag hoch hergeht. Gelegentlich eine Mahnung oder ein kurzer Schwenk mit der Glocke. Doch nur selten müssen die Präsidentinnen und Präsidenten des Bundestages durchgreifen und vom Hausrecht Gebrauch machen. Dennoch kein leichtes Amt, das der neue Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und seine fünf Stellvertreter ausüben.
Das neue Präsidium verdient seinen Namen wahrlich. Nur Antje Vollmer, die 1994 als erste grüne Politikerin in das Führungsgremium des Parlamentes gewählt wurde, kann auf vierjährige Erfahrungen zurückblicken. Thierse und die Vizepräsidenten Anke Fuchs (SPD), Rudolf Seiters (CDU), Hermann-Otto Solms (FDP) und Petra Bläss (PDS) sitzen erstmals auf den erhöhten Posten im Plenum. Dabei haben die Fernsehkameras sie immer im Bild - egal, welcher Abgeordnete gerade am Rednerpult steht. Unterstützt von zwei Schriftführern zu beiden Seiten sitzen Thierse und seine Vertreter unmittelbar hinter dem Redner und leiten im zweistündigen Wechsel die Sitzungen des Plenums. Selbst die Kleiderfrage rückt für Millionen von Fernsehzuschauern in den Mittelpunkt.

Vom Parteipolitiker zum Diplomaten

Ins Präsidium des Bundestages gewählt zu werden, bedeutet für Abgeordnete vor allem eines: Abschied nehmen. Abschied von heftigen Rededuellen, Polemik und Angriffen auf den politischen Gegner. Die Verwandlung vom Parteipolitiker zum Diplomaten. Gerade der Kulturwissenschaftler und Germanist Wolfgang Thierse, der selbst als brillanter und überzeugender Redner gilt, hat sich in der SPD vor allem durch seine ausgleichende Art profiliert. Auch als Anwalt der Interessen der Menschen im Osten Deutschlands hat Thierse versöhnliche Töne angeschlagen. Ein Wesenszug, der gerade dem Bundestagspräsidenten ansteht. Mit Thierse, der 1943 in Breslau geboren wurde und im thüringischen Eisland aufwuchs, kommt ein Mann an die Spitze des Parlamentes, der das Leben in der DDR, die Brüche und Zwänge und den Aufbruch 1989 selbst miterlebte.

"Gesamtdeutscher Ossi"

Die politische Arbeit des Schriftsetzers und Germanisten begann mit der Wende. In der DDR hatte er gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestiert und deshalb seinen Arbeitsplatz im Kulturministerium verloren. Im Oktober 1989 wurde er Mitglied des Neuen Forums, Anfang 1990 trat er in die DDR-SPD ein und wurde ein halbes Jahr später deren Vorsitzender. Seit acht Jahren sitzt der 54jährige für die gesamtdeutsche SPD im Bundestag. Thierse gilt als Einzelgänger, der sich keinem Parteiflügel eindeutig zuordnen läßt. Als "Mundwerk der Ossis" hat ihn der Schriftsteller Günter Grass bezeichnet. Thierse selbst nennt sich lieber "gesamtdeutscher Ossi", hat sich als Abgeordneter aber sehr wohl der Interessen der Ostdeutschen angenommen. Mit Wolfgang Thierse wird zum ersten Mal ein Ostdeutscher Bundestagspräsident. Der stellvertretende Partei- und Fraktionsvorsitzende hatte allerdings keinen leichten Weg an die Spitze des Bundestages und wurde von der SPD-Fraktion erst nach einer Kampfabstimmung nominiert.

Rollenwechsel

Kein Blatt vor den Mund nahm bislang auch die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Anke Fuchs, bekannt für ihre flotten Sprüche und ihre solide Arbeit. Die 61jährige weiß, daß sie einen deutlichen Rollenwechsel vollziehen muß: "Für mich wird es spannend, weil ich keine Zwischenrufe mehr machen kann", schmunzelt die als kämpferisch geltende SPD-Politikerin. "Wenn man lebendig sein will, dann außerhalb des Plenums", weiß Fuchs, die ihr Temperament als Vizepräsidentin zähmen will. Die in Bonn wohnende Hamburgerin sieht in der Fortführung der Parlamentsreform einen wichtigen Punkt der künftigen Arbeit. "Wir hatten die lebendigsten Debatten immer dann, wenn sich der Bundestag noch in der Meinungsbildung befand wie bei den Themen Bonn-Berlin und dem Paragraphen 218", stellt Fuchs fest. Sie will sich darum mühen, daß die Debatten auch für die Abgeordneten selbst attraktiver werden und damit die Anwesenheit der Parlamentarier steigt.

Auch "regierungsferne" Themen aufgreifen

Bei ihren weiteren Schwerpunkten will sich Fuchs, die Präsidentin des Deutschen Mieterbundes bleiben wird, vor allem um "regierungsferne" Themen kümmern. Ihr Privatleben als zweimalige Mutter und Oma eines einjährigen Enkelkindes will die seit 35 Jahren verheiratete Anke Fuchs weiter im Griff behalten. "Auch als stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD habe ich Privattermine eingeplant, die tabu waren. Das wird auch weiterhin so sein." Dennoch wird ihr Enkelkind die Oma häufiger im Fernsehen sehen als zu Hause. Einige Veränderungen erwartet Fuchs durch den Umzug nach Berlin. Hier sieht sie vor allem eine fürsorgende Pflicht auf das Präsidium zukommen: "Die Abgeordneten werden in Berlin doch erst einmal herumlaufen, ohne sich auszukennen", glaubt Fuchs. Auch die Repräsentation und die Darstellung des Staates werde sich ändern: "Das Reichstagsgebäude in Berlin ist eine ganz andere Kulisse als der Bundestag in Bonn." Schon einmal war Anke Fuchs, die seit 1980 Mitglied des Bundestages ist, auf dem Sprung ins Präsidium. 1990 bewarb sie sich für die Nachfolge von Annemarie Renger, unterlag jedoch der bayerischen Abgeordneten Renate Schmidt.

Viele Stationen zum neuen Amt

Für die CDU ist der ehemalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters in das Präsidium eingezogen. Der 61jährige Jurist wurde 1958 Mitglied der CDU und kletterte seitdem in der Partei die Leiter hoch. Seit 1969 ist er Bundestagsabgeordneter und ist damit neben Anton Pfeifer der dienstälteste Parlamentarier. Der gebürtige Osnabrücker war dreimal für insgesamt zwölf Jahre Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Partei. Von April 1989 bis November 1991 war Seiters Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes, anschließend wurde der Vater dreier Töchter Bundesinnenminister und blieb es bis Juli 1993. Zu seinem Amtsverständnis als Vizepräsident gibt sich Seiters noch zurückhaltend. Ein Mann, der schon als Minister eher die stillen Töne bevorzugte.

Zum zweiten Mal im Bundestagspräsidium

Für die Bündnis-Grünen schaffte Antje Vollmer erneut den Sprung in das hohe Staatsamt. Sie ist das einzige Präsidiumsmitglied, das auch im alten Präsidium vertreten war. Durch die Absprache mit der Union, daß jede Fraktion einen Vizepräsidenten stellen soll, erhielten die Grünen 1994 die Chance, eine eigene Kandidatin durchzusetzen - erstmals in der Parlamentsgeschichte. Gegenüber dem Blickpunkt Bundestag sagte Frau Vollmers: "Diese Regelung ist nicht auf unserem Mist gewachsen." Ausdrücklich auf Wunsch der Union war 1994 die Geschäftsordnung so geändert worden, daß jede Bundestagsfraktion mit einem Vertreter im Präsidium vertreten ist. Damals sei dies gegen die SPD gerichtet gewesen, die aufgrund der Regelung nur einen Vizepräsidenten durchsetzen konnte. Mit der Theologin und Publizistin stellten die Grünen eine Politikerin, die sich durch ihre ausgleichende Rolle hohes Ansehen erwarb. Ihr Amt nutzte Vollmer unter anderem, um die deutsch-tschechische Aussöhnungserklärung zustande zu bringen. Eine schwierige Aufgabe, die sie gelöst hat. Ein Talent, das auch im neuen Bundestag gefragt ist.

Vizepräsident und Schatzmeister

Ganz nah dran am Amt des Vizepräsidenten war auch schon Hermann-Otto Solms, der in den vergangenen sieben Jahren die FDP-Bundestagsfraktion führte. Solms war von 1973 bis 1976 persönlicher Referent der damaligen Bundestagsvizepräsidentin Liselotte Funcke. Auf seine Erfahrungen aus der zweiten Reihe könne er heute jedoch nicht mehr zurückgreifen, sagt er dem Blickpunkt Bundestag. Der 57jährige Familienvater wird in diesem Amt der Nachfolger von Burkhard Hirsch, der nicht wieder für den Bundestag kandidierte. Solms will neben diesem Amt auch weiterhin finanzpolitischer Sprecher der FDP bleiben. In der finanzpolitischen Arbeit sieht Solms nach wie vor seine Zukunft. Wie weit er sein Amt als Bundestagsvizepräsident außerdem mit politischen Inhalten füllen will, dazu mochte Solms sich noch nicht äußern. "Das muß erst mit den Kollegen abgestimmt werden." Hermann-Otto Solms hat Agrar- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist 1971 in die FDP eingetreten. Seit 1987 ist er Schatzmeisterder Partei.

Zum ersten Mal im Präsidium: Die PDS

Zum ersten Mal wird in Zukunft eine Abgeordnete der PDS ihre Kollegen ermahnen, sich kurz zu fassen und darauf dringen, daß die Tagesordnung eingehalten wird. Die 34jährige Petra Bläss setzte sich in einer Kampf-abstimmung gegen die CSU-Kandidatin Michaela Geiger durch. Doch will sich die junge PDS-Abgeordnete den Schuh, eine
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9804/9804012
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