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Juli 06/1999
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Dank an Bonn

Am 1. Juli fand die letzte Sitzung des Deutschen Bundestages im Bonner Plenarsaal statt. Das Zentrum parlamentarischer Demokratie wird in Zukunft das Reichstagsgebäude in Berlin sein.

Bundestag

Die Politik verläßt Bonn ausgerechnet zu einem der glück­lichsten Zeitpunkte deutscher Geschichte: Wir blicken zurück auf 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland auf dem Fundament einer stabilen Verfassung, dem Bonner Grundgesetz, auf 50 Jahre Frieden in Deutschland, auf 10 Jahre Mauerfall und neun Jahre deutsche Einheit.

Diese Entwicklung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt ohne jeden Zweifel mit dem Namen dieser Stadt verbunden. Der Umzug des Deutschen Bundestages bedeutet weder Abkehr von noch Absage an die Politik, die in Bonn gemacht worden ist. Die Grundkoordinaten deutscher Politik sind unabhängig von dem Ort, an dem Politik gemacht wird. In Berlin werden die in Bonn entwickelten demokratischen und föderalistischen Strukturen fortleben, solange unser, der Demokraten aller Parteien und Fraktionen, politischer Wille und das Engagement der Bürger dafür immer wieder neu die Voraussetzungen schaffen. Dies ist unser Auftrag.

Bonn war die richtige Stadt zum richtigen Zeitpunkt. Sie war überschaubar, gemütlich und verzichtete gelassen auf grandiose Gesten und Kulissen, auf Pathos und Protzerei. Nach der Nazi­Diktatur hat uns diese Stadt geholfen, das Vertrauen in deutsche Politik im In­ und Ausland wiederherzustellen. Sie war bescheiden und ruhig; sie war ein Ort, um sich auf den richtigen Weg zu besinnen, geschichtlich unbelastet, kulturell und wissenschaftlich pluralistisch.

Bonn erwies sich damit als die beste Wiege für die parlamentarische Demokratie eines Landes, das nach Ende des Zweiten Weltkrieges neu aufgebaut werden mußte. Schritt für Schritt öffneten sich die Deutschen gegenüber den neuen Institutionen der parlamentarischen, pluralistischen, sozialen und rechtsstaatlichen Demokratie. Es war eine große Leistung der Demokraten der ersten Stunde, Neugier und Interesse zu wecken. Die erste parlamentarische Debatte verfolgten Millionen von Bürgern und Bürgerinnen am Radio.

In der Folgezeit hat es vorbildliche Debatten in Bonn gegeben - von den Anfängen bis heute. Zu den Sternstunden trugen vor allem die politischen Hauptakteure der ersten Bonner Jahre bei: wie Konrad Adenauer, Kurt Schumacher, Carlo Schmid, Theodor Heuss, Thomas Dehler, Heinrich von Brentano, Franz Josef Strauß, Fritz Erler oder Herbert Wehner. Ihre Persönlichkeiten verhalfen dem deutschen Parlament zu einer zentralen Position im politischen Geschehen. Und ihre Lebenserfahrungen prägten die gemeinsame klare und eindeutige Absage an Extremisten und immer wieder auftauchende ideologische Rattenfänger.

Aus der Sicht vieler DDR­Bürger, die die Debatten des Deutschen Bundestages damals über den Sender RIAS verfolgen konnten, fand in Bonn das demokratische Deutschland, die Alternative zur ideologischen Enge und Kleingeisterei, zu uns in dem anderen deutschen Staat. Und damit wuchsen die Zweifel daran, ob die Politik der DDR und ihre autoritären Strukturen wirklich die richtige Konsequenz aus dem Nationalsozialismus sein könne.

Deutschland hat die Chance des demokratischen Neuanfangs genutzt. Daran ändern auch die unterschiedlichen Einstellungen zur Demokratie in Ost­ und Westdeutschland nichts. Die Zustimmung zur Demokratie ist in Westdeutschland auch mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik ganz allmählich gewachsen.

In Ostdeutschland erfahren die Menschen statt dessen die Gleichzeitigkeit von Demokratie mit dem Verlust von Arbeit, Sicherheit und Gerechtigkeit. Ein leidenschaftliches Bekenntnis zur Demokratie stellt sich da nicht von selbst ein. Wir haben als Parlament eine Bringschuld. Sie ist eine Politik, die es erlaubt, Freiheit und Gerechtigkeit als ein untrennbar miteinander verknüpftes Paar zu begreifen.

Wenn wir uns von der Bundeshauptstadt Bonn verabschieden, nehmen wir das als Auftrag und Herausforderung mit nach Berlin.

Von Bonn aus ist deutsche Politik weltweit wieder anerkannt worden. Vor allem auch, weil sie in Bonn europäisch geworden ist. Die entscheidenden außenpolitischen Schritte, die Europa weitgehend Frieden und Stabilität garantiert haben, wurden von hier aus mit initiiert. Dies gilt auch für die deutsche Einheit.

Wolfgang Thierse

Ohne Bonn kein Berlin: Bonn und seine Deutschlandpolitik, die als europäische Aussöhnungs­ und Friedenspolitik ausgerichtet war, hat den Weg für das geeinte Deutschland geebnet. Und das die gesamte Zeit nie offen in Frage gestellte Selbstverständnis Bonns, ein Provisorium in einer immer mehr gefestigten Bundesrepublik zu sein, hat die Tür zur Einheit Deutschlands stets offengehalten.

Der Abschied von Bonn enthält nicht eine Spur von Undank oder Ablehnung dieser Stadt und ihrer Menschen. Im Gegenteil: In Berlin müssen wir erst noch beweisen, daß wir den letzten, den besten 50 Jahren deutscher Geschichte weitere gute 50 Jahre, diesmal für ganz Deutschland, hinzufügen können. Wir haben uns in Bonn und im Rheinland sehr wohl gefühlt. Bonn bleibt Bundesstadt mit einer wohl einmaligen Vergangenheit - und mit viel Zukunft. Der Deutsche Bundestag wird seinen Beitrag zu dieser Zukunft leisten, indem er die Zusagen einhält, die der Stadt gemacht worden sind.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9906/9906004
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