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September 08/2000
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streitgespräch

Streitgespräch über die Grenzen der Genmedizin

Heilen durch Klonen?

In den USA, in Großbritannien und Japan sind die letzten Tabus der Genforschung gefallen. Forscher wollen aus Embryonen Organe und Gewebe züchten, um damit bislang unheilbare Leiden wie Parkinson, Multiple Sklerose und Alzheimer erfolgreich zu bekämpfen. In Deutschland verhindert – noch – das Embryonenschutzgesetz Manipulationen an der Eizelle.

Doch wo sollten die Grenzen der Genmedizin liegen? Was muss ethisch geächtet bleiben, was im Interesse des medizinischen Fortschritts erlaubt sein? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit der Vorsitzenden der Enquete-Kommission des Bundestages "Recht und Ethik der modernen Medizin", Margot von Renesse (SPD), und dem Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Ulrich Heinrich.

Manipulation an Zellen.
Manipulation an Zellen.

Blickpunkt Bundestag: Frau von Renesse, wie lange wird die Manipulation am Embryo bei uns noch tabu bleiben?

von Renesse: Ich denke, dass nicht alle Tabus fallen sollten und werden. Die Genmedizin ist ein höchst kompliziertes Feld, auf dem mit Schwarz-Weiß-Begriffen wenig anzufangen ist. Grundlage der Diskussion muss zunächst der gesellschaftliche Konsens darüber sein: Was ist ein Embryo? Diese Frage ist heute nicht mehr eindeutig geklärt, die Definition ist unscharf geworden. Als das Embryonenschutzgesetz entstand, hat man altmodisch gedacht, dass ein Embryo durch die Verschmelzung von Ei und Samenzelle entsteht. Die Frage, was mit den Stammzellen molekularbiologisch geschehen kann, hat damals niemand gestellt.

Herr Heinrich, verpasst Deutschland die Chancen von Gentechnik und Klonen?

Heinrich: Wenn man die weltweite Entwicklung betrachtet und die Geschwindigkeit sieht, mit der die Forscher immer neue Ergebnisse erzielen, muss man feststellen, dass wir – gelinde gesagt – nicht an der Spitze sind. Wir können es auch nicht sein, weil das Embryonenschutzgesetz mit der festgeschriebenen Unantastbarkeit des Embryos eine klare und sehr enge Grenze zieht. Wir haben deshalb gar nicht die Chance, selbst Stammzellen aus einem Embryo zu entwickeln. Unsere Forschung findet auf dem Umweg über aus Amerika importierten Stammzellen statt. Dies ist kein guter Zustand.

Warum muss bei uns alles gesetzlich geregelt, notfalls verboten sein? Sollten wir unseren Forschern nicht eine ethische Autonomie zubilligen, das heißt, ihnen vertrauen, die Genmedizin verantwortungsvoll zu nutzen und sich nicht zu größenwahnsinnigen Frankensteins aufzuspielen?

von Renesse: Die große Schwierigkeit für unsere Zellforschung ist in der Tat nicht, was verboten, sondern was eigentlich erlaubt ist. Das Embryonenschutzgesetz gibt auf einige neue Fragen keine Antwort. Dadurch entstehen Grauzonen, die für die Forscher in Deutschland außerordentlich schwierig sind.

Ist das ein Plädoyer für eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes?

von Renesse: Ja. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir an dieses Gesetz heran müssen. Ob in Richtung Liberalisierung oder Verschärfung ist damit noch nicht beantwortet. Viel hängt von der definitorischen Klarheit ab. Noch immer ist zum Beispiel nicht eindeutig beantwortet, ob eine entkernte Eizelle, in die man einen anderen Kern eingefügt hat, als Embryo gilt. Für mich persönlich besteht ein Embryo dann, wenn eine menschliche Biografie beginnt. Und die muss außerhalb der Verfügung eines anderen stehen.

Heinrich: Auch für mich ist unbestreitbar, dass wir das Embryonenschutzgesetz ändern müssen. Die Politik muss den Rahmen vorgeben, was die Wissenschaft, aber auch die Wirtschaft tun darf. Es gibt einen enormen Druck und große wirtschaftliche Interessen in diesem Bereich. Denen können wir nicht freien Lauf lassen. Den ethisch-moralischen Rahmen müssen wir als Politiker vorgeben.

Gesprächspartner Margot von Renesse und ...
Gesprächspartner Margot von Renesse und ...

Dass wir in Deutschland etwas zögerlicher mit der Genmedizin umgehen....

von Renesse:... hat auch etwas mit unserer Medizin-Geschichte zu tun.

Aber auch mit einer verbreiteten Unkenntnis, die zu diffusen Ängsten führt?

von Renesse: Sicherlich auch, ja. Es gibt eine Urangst der Menschen, dass die Entschleierung der Naturgeheimnisse die Natur und den Menschen um ihre Würde bringt. Ich halte das für unzutreffend.

War der medizinische Fortschritt nicht immer auch ein Kampf gegen geltende Werte- und Moralvorstellungen? Erinnern wir uns an Barnards erste Herzverpflanzung und an das erste Retorten-Baby. Heute gehört so etwas zur Routine. Könnte das auch für das Embryonen-Klonen gelten?

Heinrich: In die Zukunft geblickt: ja. Wir können Deutschland nicht isolieren. Wir werden erleben, wie um uns herum der Fortschritt in der Gentechnologie um sich greift, weil in anderen Ländern die gesellschaftlichen Vorbehalte nicht so hoch sind wie bei uns. Gerade deshalb müssen wir unsere Aufgabe als Politiker ernst nehmen und dieses wichtige Thema intensiv und nüchtern mit der Bevölkerung diskutieren. Genbiologie hat mit Frankenstein nichts zu tun. Wir dürfen nicht nur die Risiken sehen und dabei die Chancen verpassen.

von Renesse: Ich bin da vorsichtiger. Die Ängste und Sorgen bestehen nicht nur aus Vorurteilen. Sie sind auch eine rote Warnampel vor der Verletzungsmöglichkeit und Gefährdung von menschlicher Würde und Freiheit, die ich ernst nehmen will. Ich will die Ängste der Bevölkerung nicht beseitigen, sondern aufgreifen und versöhnen mit den technischen Möglichkeiten.

... Ulrich Heinrich.
... Ulrich Heinrich.

Schon jetzt wird – Stichwort Retortenbaby – an Eizellen manipuliert. Was ist unmoralisch daran, dies auch zur Heilung von Krankheiten zu tun?

von Renesse: Was unmoralisch ist, steht heute nicht mehr eindeutig fest. Die In-Vitro-Fertilisation ist heute Krankenkassenleistung, obwohl sie bei uns nicht hätte entwickelt werden dürfen.

Einmal abgesehen von der zweifellos vorhandenen ethischen Problematik: Wie hoch schätzen Sie den Nutzen des therapeutischen Klonens ein?

Heinrich: Den kann man heute noch gar nicht ermessen. Aber wenn die Forschung so erfolgreich sein wird, wie sie behauptet, wird es einen breiten und großen Nutzen geben für heute unheilbare Krankheiten.

von Renesse: Richtig ist, dass wir uns heute die Möglichkeiten der Stammzellen-Therapie noch gar nicht ausmalen können. Sie sind aber offenkundig beeindruckend. Was mich zusätzlich fasziniert, ist auch die Tatsache, dass die Transplantations-Medizin, die als "Recycling-Medizin" auch ihre Schrecklichkeiten hat, zurückgedrängt werden könnte.

Kann das Klonen von Embryonen durch das Klonen mit körpereigenen erwachsenen Stammzellen ersetzt werden?

Heinrich: Das kann ein Ausweg sein. Aber die Stammzellen von Erwachsenen werden nicht so breit eingesetzt werden können, wie es bei Embryo-Zellen der Fall ist. Insofern hätten wir einen schmaleren Pfad vor uns.

Stößt das Klonen von Embryonen nicht an eine natürliche Grenze: Der begrenzten Zahl von Ei-Spenden?

von Renesse: Die Nachfrage nach Embryonen ist sicherlich ein ethisches, aber kein quantitatives Problem. Es gibt, aus welchen Gründen auch immer, eine Vielzahl von abgegangenen Föten. Das klingt zynisch, ist aber die Wahrheit.

Gentechnik ist längst weltweit zum Milliarden-Geschäft geworden. Kann Deutschland überhaupt noch beiseite stehen?

Heinrich: Auch bei uns stecken schon ungeheure Summen in der Genforschung. Umso dringlicher ist es, endlich zu handeln und einen klaren gesetzlichen Rahmen zu schaffen.

von Renesse: Richtig. Die ethische Grauzone für unsere Forscher muss aufgehellt werden. Das bedeutet aber nicht, grünes Licht für alles und jedes zu geben. Vor allem müssen wir die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen. Es darf keine Kluft zwischen denen geben, die Forschung betreiben und jenen, die ja eigentlich davon profitieren sollen.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0008/0008070
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