Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07 / 14.02.2005
Zur Druckversion .
Rita Heck

Im Wohlfahrtstaat kann es auch "normale" Leute treffen

Kinder- und Jugendarmut

Das Deutsche Kinderhilfswerk hat in seinem Kinderreport 2004 festgestellt, dass sich die Armut von Kindern in Deutschland weiter verschärft hat. Thomas Olk von der Universität Halle führte in einem "Focus"-Interview aus, dass derzeit eine Million Kinder und Jugendliche in Deutschland an der Armutsgrenze leben. Durch Hartz IV wird erwartet, dass weitere 1,5 Millionen Kinder aus Haushalten, die ab Januar Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe beziehen, hinzukommen werden.

Zwar wurde das Problem Armut in den letzten Jahren nicht völlig vernachlässigt. Es war der Initiative Heiner Geißlers zu verdanken, dass die Wahrnehmungsschwelle für Armut und das thematische Tabu übersprungen wurden: Armut im Wohlfahrtsstaat wurde nicht mehr verdrängt, sondern als Problem angesehen, das auch "normale" Leute treffen kann.

Das Buch von Palentien unterscheidet sich von anderen Veröffentlichungen der letzten Jahre insofern, als im zweiten Teil am konkreten Beispiel der westfälischen Stadt Gütersloh sowohl Armutsmessung als auch Möglichkeiten der sozialraumbezogenen Armutsprävention dargestellt werden.

Die ersten fünf Kapitel stellen eine wahre Fleißarbeit dar, indem auf Strukturen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen eingegangen wird und soziale Benachteiligung als "Nachkriegsarmut" und die "Neue soziale Frage" diskutiert werden. Ferner gibt der Autor einen Überblick über sozialwissenschaftliche Definitionen von Armut. Diese Einführung bietet aufgrund der Fülle an weiteren Literaturhinweisen für den interessierten Leser einen guten Einstieg in die theoretische Behandlung des Themas.

Beispiel Gütersloh

Die folgenden Kapitel stellen das Projekt "Kommunale Armutsstrukturen am Beispiel der Stadt Gütersloh" vor. Hierbei soll die Entwicklung der Armut in Gütersloh mit landes- und bundesweiten Trends verglichen werden. Die gewonnenen Daten sollen als Grundlage für "präventiv ausgerichtete kommunalpolitische Entscheidungen und Maßnahmen und Aktivitäten der Jugendhilfe dienen". Verschiedene Ansätze - Einkommensansatz, Lebenslagenansatz und das Konzept der sozialen Deprivation - machen deutlich, dass die Aspekte Bildung, Erwerbsstatus und Wohnen die zentralen Risiken für Armut darstellen.

Gerade armutsbedrohte Kinder und Jugendliche unterliegen spürbaren Einschränkungen im Wohn- und Freizeitbereich, zeigen häufig schlechte schulische Leistungen und leiden unter negativen gesundheitlichen Auswirkungen. Die "sozialraumbezogene Armutsprävention" kommt zu dem Ergebnis, dass ganz konkrete Maßnahmen für kinderreiche Familien, Senioren, Alleinerziehende sowie ausländische Mitbürger nötig sind.

Der Handlungsbedarf wird für die einzelnen Stadtteile verdeutlicht: Es geht um mehr Information, um eine Öffnung der Einrichtungen, stärkere Qualifizierung, Integration, Sozialraumangebote und um stärkere Kooperation mit Vereinen. Am Ende werden Entwicklungstrends sowie politische und pädagogische Folgerungen zur Prävention von Kinder- und Jugendarmut präsentiert sowie ein Plädoyer für die Ganztagsschule, die geeignet erscheint, bei psychischen, sozialen und auch physischen Problemen helfend einzugreifen.

Der vorliegende Band fasst die aktuelle Diskussion zur Kinder- und Jugendarmut zusammen und zeigt, wieviel in puncto Prävention auf kommunaler Ebene noch zu tun ist, etwa durch die Schaffung der politischen Rahmenbedingungen sowie der Vernetzung der vorhandenen Hilfeangebote. Er bietet somit interessanten Lesestoff für Studierende, für Lehrer der Sozialkunde aber auch für Kommunalpolitiker, die gerade heute aufgrund der leeren Kassen noch sparsamer mit den Ressourcen haushalten müssen. Und wie schon George Bernard Shaw feststellte: The greatest evil and the worst of crimes is poverty.

Christian Palentien

Kinder- und Jugendarmut in Deutschland

VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004; 342 S., 36,90 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.