Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 07 / 14.02.2005
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Karl-Otto Sattler

Die Sehnsucht nach einem kleinen Schwätzchen

Im Freiburger St. Carolushaus sorgen neben Profis auch viele ehrenamtliche Helfer für die "Beziehungspflege" bei gebrechlichen Alten / Von Karl-Otto Sattler

Hinten, am Ende des lang gezogenen Flurs, ertönt Beifall. "Dort wird gerade gekegelt", erläutert Christa Varadi auf dem Weg hin zu dem Gemeinschaftstreff, eine Tür nach der anderen gleitet vorbei, auf den ersten Blick erinnert die Situation ein wenig an eine Klinik. Die Pflegedienstleiterin klopft bei einem Zimmer an: "Dürfen wir mal reinschauen?" Die Bewohnerin strahlt: "Schön, dass mal unangemeldeter Besuch kommt." Da steht zwar ein Pflegebett, aber ansonsten sieht der gemütlich eingerichtete Raum so gar nicht nach Krankenhaus aus: Weinrot ist die Farbe zweier Plüschsessel und einer Plüschcouch, eine uralte Standuhr, eine Kommode, die Stühle, der Tisch, "das habe ich mir alles von daheim mitgebracht", erzählt die Dame, "es soll so sein wie früher." Ja, meint Varadi, "wir bemühen uns um eine häusliche Atmosphäre in den Zimmern, die Leute sollen sich nicht wie in einer Klinik fühlen."

Draußen auf dem Gang huschen jetzt am frühen Abend weißgekleidete Pfleger mit Tabletts voller Tinkturen und Pillen vorbei und verschwinden hinter einer Tür nach der anderen. Ebenso hell gewandete Kolleginnen schieben auf Gestellen das Essen durch den Flur, als Nachspeise lockt heute Pudding. Ein alter Mann mit Krückstock trippelt langsam voran, eine gebrechlich wirkende Frau lehnt an der Wand und beobachtet interessiert das Geschehen, immerhin eine kleine Abwechslung. Hinten klatschen plötzlich wieder Hände. In einem Rund sitzen greise Männer und Frauen, manche von ihnen im Rollstuhl, und zielen mit Stoffbällen auf die neun Kegel, die eine junge Helferin immer wieder aufstellt. "Da finden richtige Wettkämpfe statt", sagt Varadi, "da werden Keglerkönige gekürt." Die Chefin des Pflegepersonals lächelt: Es habe auch schon mal Streit um die Frage gegeben, ob die Treffer korrekt notiert worden seien.

St. Carolushaus nennt sich das Heim, vom Vinzentinerorden 1903 gegründet. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde der Komplex Ende der 50er-Jahre nach dem damaligen Standard wieder aufgebaut. Das nach modernen Maßstäben etwas altertümlich anmutende Gebäude liegt in der Freiburger City, eine kleine Parkanlage vermittelt gleichwohl den Eindruck einer Oase im urbanen Geschehen, das in der Breisgaustadt freilich ohnehin nicht gerade eifrig pulsiert.

120 betagte Menschen, im Schnitt 87 Jahre alt, verbringen hier den Rest ihres Lebensabends, sie wissen, die meisten werden an diesem Ort sterben. Laut Direktor Martin Mybes beträgt die durchschnittliche Verweildauer etwa neun Monate: "Aber wir sind kein Sterbeheim, manche finden hier erst wieder soziale Kontakte und leben auf." Rund 60 Prozent sind in Pflegestufe zwei eingeordnet, jeweils etwa 20 Prozent in den Kategorien eins und drei, wobei im Carolushaus vier Fünftel der höchsten Stufe drei noch einmal als so genannte Härtefälle firmieren: Das sind Menschen, die absolut schwerstpflegebedürftig sind - sie können sich kaum noch bewegen, sie müssen zwecks Vermeidung von Wundliegen im Bett häufig hin- und hergewendet werden, werden vielleicht mangels Schluckfähigkeit mit einer Sonde ernährt.

"Wir haben bei den Patienten niemals nur eine einzige Diagnose, wir sind meist mit einem Potpourri von Leiden konfrontiert", so Christa Varadi über den medizinischen Befund. Demenz, Parkinson, Knochenschwund, Arthrose, Lähmungen beispielsweise nach Schlaganfällen, Diabetes, diverse Stoffwechseldefekte, Multiple Sklerose, Ess- und Schluckstörungen, ein Drittel kann nicht mehr allein speisen, "80 Prozent sind inkontinent", bilanziert Martin Mybes. Das Auftreten dieses unappetitlichen Phänomens sei oft der entscheidende Anstoß für die Einlieferung in ein Heim, weiß der Direktor: "Die eigenen Eltern zu windeln, das schaffen viele Leute einfach nicht."

Erstaunlich gelassen und souverän wirkt die 90-Jährige, die teils gelähmt und an den Rollstuhl gefesselt ist, die linke Hand kann sie noch zur Begrüßung reichen: "Man muss sich in seine Lage einfügen und das Beste draus machen." Sie hat keine Kinder, zu Hause könnte sich niemand um sie kümmern. Die Zuschüsse der Pflegekasse, ihre Rente, dazu ihre Ersparnisse: Die seit Jahren im Carolushaus lebende Frau ("Ich habe es nie bereut") kann sich sogar ein kleines Appartement mit zwei Zimmern leisten, Kommode, Wandbilder, Sofa, Tisch, alle Möbel stammen aus ihrer ehemaligen Wohnung.

Nur noch wenig vermag die Frau allein zu erledigen. Abends wird sie gegen 19.30 Uhr ins Bett gehievt: "Dann bin ich noch nicht müde und schaue Fernsehen." Sie könnte sich auch später unter die Decke legen lassen, "aber ich möchte den Spätdienst nicht rufen". Im Gemeinschaftsraum mit anderen aus der Wohngruppe speisen will sie nicht mehr, "das ist mir unangenehm": Wenn Brote oder Schnitzel zuvor geschnitten werden, führt sie die einzelnen Stücke mit der Gabel in den Mund, aus dem Schnabelbecher kann sie zwar selbstständig trinken, aber das Personal füllt vorher Saft oder Mineralwasser ein: "Habe ich Durst, dann klingele ich, natürlich kann ich nicht erwarten, dass sofort jemand kommt." Abends und morgens rein und raus aus dem Bett, dasselbe nach dem Mittagessen, ausziehen und anziehen, auf die Toilette setzen, duschen - für fast alles müssen Helfer ran, der 90-Jährigen gelingt es noch, sich obenherum selbst zu waschen.

Öfter schlendert eine 82-Jährige aus der Flurnachbarschaft zum Plausch herein. Über das Personal will die Appartement-Bewohnerin nicht klagen, "die schauen oft vorbei, aber man kann die doch nicht immer in Anspruch nehmen". Es scheint, diese Dame bereitet in dem kompliziert zu managenden Heimalltag mit seinen engen Zeitplänen kaum Schwierigkeiten, da gibt es auch andere mit anderem Verhalten. "Alte Leute sind nun mal öfters etwas eigen", umschreibt Christa Varadi den Sachverhalt höflich. Aber die Sache mit den sozialen Kontakten, das macht offenbar auch der souveränen und gelassenen 90-Jährigen zu schaffen: "Manchmal besucht mich einer der Freiwilligen und erzählt mir, was draußen im Leben passiert, das kriegt man ja hier nicht mit."

Die Freiwilligen. An die 110 Beschäftige in Voll- und Teilzeit hat das Carolushaus. 64 von ihnen arbeiten im Pflegebereich, und von denen wiederum zählt etwas mehr als die Hälfte zum Fachpersonal mit einer entsprechenden Ausbildung, die anderen sind teils ausländische Hilfskräfte. "Wir haben 14 Nationalitäten", so Direktor Mybes. Das Gesetz schreibt eine Fachkraftquote von 50 Prozent vor. Aber das Heim lebt auch vom Engagement jener 70 Helfer, die unentgeltlich mitmachen, unter ihnen auch einige Ordensschwestern im Ruhestand: Sie halten die Bibliothek am Laufen, packen im Café mit an, organisieren Hausfeste wie jetzt in der Fastnacht, spielen mit Bewohnern oder lesen ihnen vor, gehen mit ihnen zum Konzert oder auf den Münsterplatz, spazieren mit Leuten im Rollstuhl durchs Grüne. Unbezahlte Arbeit. Mybes: "Ohne die Ehrenamtlichen würde es nicht gehen."

Zu diesem Kreis gehört Anne Loyal. Einmal in der Woche setzt sich die Ergotherapeutin ein bis zwei Stunden an das Bett einer Wachkoma-Patientin. Bei diesen Kranken mit "apallischem Syndrom" steuert das Stammhirn zwar Atmung, Kreislauf und Stoffwechsel, das Bewusstsein aber funktioniert nicht mehr richtig, die Betroffenen starren leeren Blickes in die Umgebung. Das Heim hat, untypisch für eine Pflegeeinrichtung, auch eine Wachkoma-Station mit Patienten fast aller Altersgruppen.

Anne Loyal legt der Frau die Hand auf die Stirn, streichelt ihr über die Arme, lockert so die Anspannung und Verkrampfung, bei schönem Wetter schiebt sie die Kranke auf einem Liegerollstuhl durch den Park. Gewinnen ließ sich die Helferin für diese Umsonst-Arbeit durch eine Anzeige des Carolushauses in der Lokalzeitung. "Damals war ich noch auf Jobsuche, ich wollte was Sinnvolles tun, die Tätigkeit im Heim gibt einem ja auch was." Im Haus halte man viel von den Freiwilligen, "man fühlt sich integriert und gut aufgehoben, wird fast hofiert". Inzwischen hat Loyal den Eindruck gewonnen, "dass ohne die Ehrenamtlichen der Betrieb zusammenbrechen könnte". Und sie beschleicht zuweilen das Gefühl, dass der an sich positive Einsatz von Freiwilligen in der Altenpflege eine "zweischneidige Sache ist, im Grunde sind wir eine Art Jobersatz".

Das Bemühen von Martin Mybes um Ehrenamtliche ist eine Antwort auf den Kostendruck, die Personalknappheit und die Zeitnot. Der Direktor betreibt eine offensive Öffentlichkeitsarbeit, veranstaltet im Haus Debatten zu Pflegethemen, wirbt um Sponsoren für eine Urlaubsreise mit Demenzkranken an die Nordsee, animiert auch schon mal örtliche Prominenz wie den Bundestagsabgeordneten Gernot Erler oder den Chef einer Bank, für einen Tag im Heim Pflegedienste zu leisten. Die lokalen Medien berichten über diese Aktivitäten. All das verhilft der Institution zu Resonanz und zu einem Namen.

Neben den Freiwilligen steuern indes auch so manche Beschäftigte unbezahlte Arbeit bei. Mybes: "Niemand wird dazu gezwungen, aber das ist in gewissem Sinne Teil unserer Philosophie." Da kommt eine Pflegerin eine halbe Stunde früher, um beim Schichtwechsel Muße für die Übergabebesprechung zu haben, eine andere bleibt länger, wenn noch dies und jenes zu tun ist. Als Überstunden aufgeschrieben wird das nicht. Markus Müller, Vorsitzender der Mitarbeitervertretung: "Wir könnten schon ein paar Pflegekräfte mehr gebrauchen."

Fachpersonal verdient in katholischen Einrichtungen nach dem an den öffentlichen Dienst angelehnten kirchlichen Tarifvertrag zwischen 2000 und 2800 Euro brutto im Monat, wie Karl-Heinz Huber erläutert. Der Referent für stationäre Altenhilfe bei der Caritas der Erzdiözese Freiburg: "Es gibt genügend qualifizierte Leute, von daher existieren keine Probleme für Stellenbesetzungen."

Aber dazu fehlt wie allerorten auch im Carolushaus, dem preisgünstigsten der 21 größeren und kleineren Freiburger Pflegeheime, das Geld (siehe Infokasten). Mybes: "Anders als bei manch sonstigen Einrichtungen müssen die Bewohner bei uns Dinge wie etwa Schuhputzen oder Diavorträge nicht extra bezahlen." Die Pflegekasse orientiert sich bei ihren Zuschüssen allein an den Kosten für die notwendige körperliche Behandlungspflege, "das Psychosoziale", wie Christa Varadi die menschliche Beziehungspflege nennt, spielt keine Rolle. Auch die Schwere einer Krankheit ist kein Kriterium. Unterkunft und Verpflegung, sozusagen die "Hotelkosten", sind ebenfalls außen vor.

Aber auch der Pflegeaufwand selbst ist nicht selten umstritten. Da kann es geschehen, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen (MDK) für einen Patienten einen Pflegebedarf von rund 200 Minuten täglich errechnet, das Heim aber tatsächlich das Drei- oder Vierfache an "Pflegeminuten" benötigt. Mybes: "In den vergangenen fünf Jahren haben wir für 200 Bewohner bei den Kassen um die Eingruppierung in eine höhere Pflegestufe gekämpft, in 98 Prozent der Fälle waren wir erfolgreich." Mit den Geldern, die von den Versicherungen für die 120 Insassen überwiesen werden, "können wir die Pflege im engeren Sinn finanzieren", so Christa Varadi.

Wegen irgendwelcher Missstände wie Wundliegen, unzureichender Flüssigkeitszufuhr, schlechter Ernährung oder Hygienemängel stand das Carolushaus noch nie in der Kritik. "Qualitätszirkel" mühen sich um Verbesserungen bei der Versorgung. Die staatliche Heimaufsicht habe, erzählt der Direktor nicht ohne Stolz, noch nie etwas Ernsthaftes bekrittelt. "Kleinere Fehler passieren natürlich auch bei uns." Vermutlich wegen dieser positiven Kontrollresultate habe sich der MDK, der unabhängig von den Behörden Überwachungen vornimmt, noch nie zu einer Inspektion veranlasst gesehen.

Mybes bestreitet keineswegs, dass in diesem oder jenem Heim Missstände zu beklagen sind: "Wir haben selbst schon Leute aus anderen Einrichtungen in einem Zustand übernommen, da dachten wir, das kann doch nicht wahr sein." Auch Karl-Heinz Huber vom Caritasverband leugnet die Existenz "schwarzer Schafe" nicht: Dass jedoch die Häuser insgesamt mit einem schlechten Image zu kämpfen hätten, liege nicht zuletzt an aufgebauschten und verallgemeinernden Fernsehbeiträgen.

Im Rahmen des Pflegedienstes, so Varadi, wolle man trotz des Zeitdrucks so gut wie möglich auf die persönlichen Bedürfnisse der Bewohner eingehen. Da jucke es nach einer Spritze eine Weile, und die betreffende Frau wolle, dass man sich damit beschäftige. Oder ein Patient möchte mal "eine Stunde ein schönes gepflegtes Bad nehmen, da muss man höllisch aufpassen, dass er in dieser Zeit nicht im Wasser untergeht, und dann noch eincremen und massieren". Aufwand dieser Art ist in den Kategorien der Pflegeversicherung nicht einkalkuliert. Im durchorganisierten Heimalltag stößt solche Hinwendung seitens des Personals aber schnell an Grenzen. Wobei sich im Carolushaus sogar zwei Seelsorgerinnen um das Menschliche kümmern.

Als "theoretischen Anspruch", der in der Praxis kaum durchzuhalten sei, bezeichnet Varadi die schöne Idee der "ganzheitlichen Pflege", also die Verbindung von körperlicher Versorgung und kommunikativer, kultureller Betreuung. Immer wieder klagten Bewohner, "dass niemand Zeit für mich hat", berichtet Mybes.

Hermann Brandenburg, Professor an der Freiburger Katholischen Fachhochschule für Sozialwesen und im Carolushaus Vorsitzender des Heimbeirats, in dem Pflegebedürftige, Angehörige, Freiwillige und externe Fachleute sitzen: "Die Mitarbeiter haben nur wenig Zeit für Gespräche, das Psychosoziale ist weitgehend nur über unbezahlte Arbeit abzudecken." Als eines Tages keine Zivis mehr im Heim präsent waren, bedeutete dies für viele Patienten einen harten Schnitt. Brandenburg: "Vor allem bei älteren Frauen waren die Schwätzchen mit den Zivis beliebt, die brachten auch junges Leben ins Heim." Der Beirat müht sich momentan um den Aufbau eines Freundeskreises für das Carolushaus, um so Sponsorengelder für Kunsttherapie mit Malen und Basteln zu akquirieren.

Es ist indes nicht nur der Kostendruck, der Zeit für die menschliche Beziehungspflege raubt. Schuld hat auch das, was laut Caritas-Referent Huber "das Personal auf die Palme treiben kann", nämlich die mit der Pflegedokumentation verbundene Bürokratie. Über dieses rote Tuch erregen sich auch Martin Mybes und Christa Varadi. Die Pflegechefin: "Im Grunde muss der Alltagslebenslauf jedes Bewohners komplett dokumentiert werden." Alle Handgriffe müssen mit Uhrzeit penibel erfasst und per Unterschrift bestätigt werden, manches sogar doppelt für die Heimaufsicht und für den MDK: Zähneputzen, Frühstück, die Flüssigkeitsmenge am Tag, Bestellungen und Auslieferungen im Küchensektor, Lagern, Wenden, Windeln, Zimmerreinigung, das Säubern der Kühlschränke, die Wartung der Betten, das Setzen von Spritzen, An- und Ausziehen, Haare waschen, einfach alles. Proben von jedem Element einer Mahlzeit müssen eine Woche lang im Kühlschrank aufbewahrt werden.

Mybes: "Wir führen ein Konglomerat von Akten, bis zu 20 Prozent der Arbeitszeit geht für die Doku-Mappen drauf, da kann man manchmal irre werden." Varadi: "Die Bürokratie nimmt kein Ende. Wird ein Kind in Todesgefahr in eine Klinik eingeliefert, muss weniger notiert werden als in einem Pflegeheim." Zuweilen habe man das Gefühl, "wir schreiben nur noch". Kritiker verlangen keineswegs die Abschaffung der Dokumentationspflicht, aber deren Konzentration auf das Wesentliche und Sinnvolle. Mybes: "Bei der notwendigen Bekämpfung von Missständen ist man in Hysterie verfallen." Auch Wissenschaftler Brandenburg hegt Zweifel, "ob man Qualität in ein Heim hineinprüfen kann. Man kann doch nicht über jede Pflegekraft einen Kontrolleur stellen." Viel wichtiger sei ein internes Qualitätsmanagement. Caritas-Referent Huber: "Pflegerinnen wollen keine Sekretärinnen sein, sondern Dienst am Menschen tun."

Vielleicht haben Behörden und Kassen in Sachen Doku-Pflicht irgendwann ein Einsehen, Huber hofft auf den positiven Verlauf von Modellversuchen zur Entbürokratisierung in Bayern. Keine Entlastung ist hingegen beim Kostendruck zu erwarten. Zwar fordert Mybes wie die gesamte Branche, die psychosoziale Betreuung in den Leistungskatalog der Pflegeversicherung zu integrieren. Einen sonderlich optimistischen Eindruck vermittelt der Direktor dabei freilich nicht.

Die Sozialämter, die im Bedarfsfall den Differenzbetrag zwischen Kassenzuschüssen und Rente einerseits sowie effektiven Heimkosten andererseits begleichen, dürften ebenfalls kaum spendabler werden: Sie handeln mit jeder einzelnen Einrichtung Höchstsätze aus, die dann auch für Selbstzahler gelten. Letztere stellen im Carolushaus die große Mehrheit der Bewohner.

"Und jetzt läuft auch noch der Konkurrenzkampf der Heime um Pflegebedürftige an", fügt Mybes an. Die Stärkung der ambulanten Versorgung zu Hause wirkt sich aus, die Nachfrage beginnt zu sinken. Das Carolushaus, so der Direktor, sei noch voll ausgelastet, in Freiburger Heimen seien aber schon 30 Betten nicht belegt, in Berlin gebe es bereits einen Leerstand von 30 Prozent. Mybes plaudert mit Blick auf die bundesweite Szene aus dem Nähkästchen: Unter der Hand gewährten Häuser schon mal Boni, Abwerbungen würden praktiziert, hie und da seien sogar erste Anzeichen für gegenseitige Verunglimpfungen unter Einrichtungen zu beobachten.

Professionelles Management zur Sicherung der Pflegequalität, günstige Preise für die "Kunden", Engagement von Freiwilligen: Nur so haben Heime für Martin Mybes eine Zukunft. Hermann Brandenburg: "An dem Mix von Fachkräften und unbezahlten Ehrenamtlichen führt kein Weg vorbei, die müssen jedoch professionell betreut werden." Die Heime müssten sich "von Versorgungseinrichtungen zu Sozialunternehmen wandeln".

Das Carolushaus, für das demnächst ein moderner Neubau errichtet wird, scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Gerade bei der Gewinnung von Freiwilligen hat man die Nase offenbar vorn: Was aber, wenn auch die "Konkurrenz" in diesem Reservoir in großem Stil fischen will? Unerschöpflich ist der "Markt" der Ehrenamtlichen gewiss nicht.

Karl-Otto Sattler arbeitet als freier Journalist in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.