Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 07 / 14.02.2005
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Alexander Weinlein

Eine Frage der Gerechtigkeit

Zur Diskussion über die Wehrpflicht in Deutschland

Vor Gericht wird Recht gesprochen, aber nicht zwangsläufig Gerechtigkeit geübt. Diese verbreitete pessimistische Auffassung bestätigte am 19. Januar das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit seiner Entscheidung, dass die derzeitige Einberufungspraxis der Bundeswehr nicht gegen das Grundgesetz verstoße. Gleichzeitig kritisierte der zuständige 6. Senat des Verwaltungsgericht aber, dass sich eine Lücke auftun könne zwischen den Wehrdienstfähigen und den tatsächlich Einberufenen - und dies könne zu einer Verletzung des Prinzips der Wehrgerechtigkeit führen.

Auslöser des Leipziger Richterspruchs war die Klage der Bundesregierung gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Köln vom April 2004, das der Klage eines 22-jährigen Mannes aus Kerpen gegen seinen Einberufsbescheid stattgegeben hatte, weil dieser gegen das Gleichheitsprinzip verstoße.

Tatsächlich klafft die Schere zwischen den erfassten Wehrpflichtigen und denjenigen, die ihren neunmonatigen Wehrdienst auch wirklich antreten müssen, in den letzten Jahren zunehmend auseinander. Die seit eineinhab Jahren geltenden Richtlinien des Bundesverteidigungsministeriums sehen eine Reihe von Ausnahmen vor: So wurde die Altergrenze für eine Einberufung von 25 auf 23 Jahre gesenkt, und Verheiratete können sich prinzipiell vom Wehrdienst befreien lassen. Aus dem kleiner werdenden Kreis derjenigen, die der Ruf zur Fahne ereilt, scheiden zudem all jene aus, denen bei der Musterung nur der Tauglichkeitsgrad 3 (T3) bescheinigt wurde - zumindest dann, wenn die Bundeswehr ihren Bedarf aus den T1- und T2-Gemusterten decken kann. Zugespitzt ließe sich das so formulieren: Dienst am Vaterland muss nur leisten, wer jung, körperlich fit und ledig ist. Wo bleibt da die Wehrgerechtigkeit? Zumindest sollte es nicht verwundern, dass eine solche Praxis Unmut bei den wehrpflichtigen Männern in der Republik auslöst.

Vorwiegend Berufs- und Zeitsoldaten

Und der Bedarf an Wehrpflichtigen schrumpft weiter: Derzeit leisten rund 78.000 junge Männer (Grundwehrdienstleistende und freiwillig länger Dienende) ihren Militärdienst beim Bund. Doch bis 2010 sollen es nach dem Willen von Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) nur noch 55.000 sein. Den werden 195.000 Berufs- und Zeitsoldaten gegenüber stehen - bei einem solchen Zahlenverhältnis lässt sich die Bundeswehr nicht mehr als Wehrpflicht-Armee bezeichnen.

Derzeit unterliegen durchschnittlich 415.000 Deutsche der Wehrpflicht; davon werden jedoch lediglich rund 295.000 auch als wehrdienstfähig eingestuft (71 Prozent), von denen aber rund 145.000 den Dienst an der Waffe verweigern. Für die Bundeswehr stehen nach Abzug jener jungen Männer, die eine berufliche Karriere bei der Polizei oder beim Bundesgrenzschutz (rund 12.500) einschlagen, oder wegen anderer Ausnahmen (16.600) gerade noch 120.000 potenzielle Wehrpflichtige zur Verfügung.

Das Urteil der Leipziger Verwaltungsrichter löste in der politischen Landschaft ein unterschiedliches Echo aus - je nach Standpunkt in der Frage, ob Deutschland überhaupt noch eine Wehrpflicht benötigt oder nicht. Reinhold Robbe (SPD), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, begrüßte die Entscheidung. Die Richter hätten bestätigt, dass die verständlichen Befindlichkeiten eines 22-Jährigen nicht auf einer Stufe mit dem nationalen Sicherheitsinteresse des Staates zu stellen seien. Ganz andere Töne kamen hingegen aus dem Lager des Koalitionspartners: Der Parlamentarische Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Volker Beck, führte an, das Urteil enthalte "manchen Wink mit dem Zaunpfahl". Er gehe davon aus, dass die Wehrpflicht in der kommenden Legislaturperiode zu Grabe getragen werde.

Fast gleichlautend fiel die Bewertung bei den Liberalen aus. FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhard hält das Urteil nicht für eine generelle Bestätigung der Wehrpflicht, und die Bundesrichter hätten das Problem der gefährdeten Wehrgerechtigkeit deutlich benannt. In der nächsten, spätestens in der übernächsten Legislaturperiode sei mit dem Ende der Wehrpflicht zu rechnen.

Die Union sah sich in ihrer Position gleich zweifach bestätigt. Zum einen möchte sie an der Wehrpflicht prinzipiell festhalten, kritisiert aber ebenfalls, dass es mit der Wehrgerechtigkeit nicht zum Besten steht. Verteidigungsminister Peter Struck sei "noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen", meinte der Verteidigungsexperte der CDU/CSU-Fraktion, Christan Schmidt. Nicht mit Interviews, sondern nur mit Konzepten könne Struck die Wehrgerechtigkeit wieder herstellen.

Kritik kam auch von Seiten des Bundeswehrverbandes. Dessen Vorsitzender Bernhard Gertz forderte die Politik, "namentlich die SPD" auf, "sich nun zu einer politischen Entscheidung" zur Wehrpflichtfrage durchzuringen.

In der Tat sind es die Sozialdemokraten, die sich sehr schwer tun mit einer klaren Positionierung. Während Verteidigungsminister Struck an der Wehrpflicht festhalten möchte, regt sich gerade bei vielen jungen SPD-Bundestagsabgeordneten und den Jusos lautstarker Widerstand. Im November dieses Jahres soll, so steht es zumindest auf dem parteiinternen Fahrplan, eine Entscheidung getroffen werden.

Wehrgerechtigkeit: Genau genommen trifft das Wort den Sachverhalt nicht richtig. Denn es geht nicht nur darum, den wehrpflichtigen Soldaten Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, sondern auch jenen, die ihrer staatsbürgerlichen Pflicht als Zivildienstleistende nachkommen. Wer ausgemustert wird, verheiratet oder schlicht zu alt für den Wehrdienst ist, kommt gänzlich "ungeschoren" davon, muss weder das Fleck-tarn-Anzug überstreifen, noch den weißen Kittel eines Pflegers im Krankenhaus.

Doch das eigentlich Problem mit der Wehrpflicht liegt in der veränderten Aufgabenstellung der Bundeswehr. Der Dienst an der Waffe wurde letztlich immer mit dem Notfall, dem Verteidigungsfall legitimiert. Nun mag nach der veränderten sicherheitspolitischen Lage, "die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt werden", um es mit den Worten von Verteidigungsminister Peter Struck zu sagen, aber genau dort kommen Wehrpflichtige nicht zum Einsatz.

Umbau der Streitkräfte

Die Bundeswehr soll in den kommenden Jahren - so sieht es auch die Personal- und Materialplanung der Hardthöhe vor - zu einer professionellen Eingreiftruppe umgebaut werden. Struck hat schlicht und ergreifend zu wenig Platz für all jene, die prinzipiell Wehrdienst leisten könnten. Mehr Wehrpflichtige ließen sich nur dann ziehen, wenn die Dienstzeit noch einmal verkürzt würde - doch dies wäre kaum sinnvoll. Bei einer derzeitigen Dienstzeit von neun Monaten, verbleibt nach Abzug von Grundausbildung, Urlaub und Krankheitstagen schon jetzt sehr wenig Zeit, die Soldaten für höher qualifizierte Aufgaben in der Truppe vorzubereiten. Für den Zivildienst gilt dieses Problem ebenso.

Die sich auftuende Gerechtigkeitslücke in Sachen Wehrdienst und Zivildienst ließe sich letztlich nur durch die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht beheben. Doch eine solche Dienstpflicht ist zum einen im Grundgesetz nicht vorgesehen und fände auch nicht die benötigten Mehrheiten. Sie würde auch nur eine weitere Gerechtigkeitsfrage aufwerfen: Müssen Frauen diesen Dienst auch leisten? Nachdem Deutschland wegen eines entsprechenden Urteils des Europäische Gerichtshofes die Kasernentore in Deutschland auch für Frauen hatte öffnen müssen, wurden Stimmen laut, die bereits hierin eine Ungleichbehandlung erkannten: Frauen dürfen, Männer müssen.

Alexander Weinlein ist Redakteur bei "Das Parlament".


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