Das Parlament
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Nr. 47 / 21.11.2005
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Claus Tigges

Afrika steht auf der Agenda neuerdings weit oben

IWF und Weltbank müssen sich fragen, wie sie künftig Entwicklungshilfe gestalten und aus der Kritik geraten wollen

Die internationale Entwicklungshilfe steht an einem Scheideweg. Daran besteht kaum noch ein Zweifel, seit sich die internationale Gemeinschaft kürzlich auf einen vollständigen Schuldenerlass für die ärmsten Entwicklungsländer verständigt hat. Den Staaten - die meisten von ihnen liegen in Afrika - werden in den kommenden Jahren ihre Verbindlichkeiten bei der Weltbank, der Afrikanischen Entwicklungsbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erlassen. Zusammen sind es rund 55 Milliarden Dollar. Der Verzicht dieser Institutionen auf dieses Geld soll einen wichtigen Beitrag leisten zur Erreichung der Jahrtausendziele der Entwicklungshilfe, die noch in weiter Ferne liegen. In diesen "Millennium Development Goals" hat sich die Staatengemeinschaft unter anderem dazu verpflichtet, zwischen den Jahren 2000 und 2015 die Zahl jener Menschen zu halbieren, die in bitterster Armut leben und weniger als einen Dollar am Tag zur Verfügung haben.

Insbesondere der Weltbank, aber auch dem Währungsfonds stellt sich nun die Frage, auf welche Weise künftig der Kampf gegen die Armut geführt werden soll. In den vergangenen Jahrzehnten sind schon viele Milliarden Dollar offizieller Entwicklungshilfe nicht zuletzt nach Afrika geflossen, häufig allerdings ohne den erhofften Erfolg. Unter dem Druck von verschiedenen Seiten hat die Weltbank einige Male ihre entwicklungspolitische Strategie geändert. Lange Zeit wurde den Ökonomen der Bank vorgehalten, allen Entwicklungsländern dasselbe Rezept für mehr Wachstum und weniger Armut zu verschreiben und zu wenig auf landestypische Besonderheiten Rücksicht zu nehmen. Dieser Vorwurf wurde vielfach mit der Kritik verbunden, die Weltbank diktiere den armen Ländern die Bedingungen und zwinge ihnen den notwendigen Reformkurs als Voraussetzung für die Finanzhilfe geradezu auf. Die Weltbank hat sich diese Vorwürfe zu Herzen genommen und reagiert: James Wolfensohn, der die Bank über zehn Jahre bis in den Frühsommer hinein geführt hat, betrieb eine Dezentralisierung. Es wurden Regionalbüros geschaffen, damit Weltbankmitarbeiter am Ort des Geschehens sind und dort in engem Kontakt mit den Behörden die Entwicklungshilfe planen können. Außerdem achtet die Weltbank seither viel stärker darauf, dass die Reformprogramme die Unterstützung nicht nur der Regierungen, sondern auch möglichst breiter Bevölkerungsschichten in den Entwicklungsländern haben.

Wolfensohns Nachfolger, der frühere stellvertretende amerikanische Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, hat Afrika in den ersten Monaten seiner Amtsführung auf der Agenda ebenfalls ganz nach oben gesetzt. Dabei setzt Wolfowitz den von Wolfensohn begonnenen Kampf gegen die Korruption in den Entwicklungsländern entschlossen fort. Lange Zeit war die Korruption ein Tabuthema in der Entwicklungshilfe. Inzwischen aber breitet sich die Erkenntnis immer weiter aus, dass Bestechung, Bestechlichkeit und Misswirtschaft riesige Hürden auf dem langen Weg aus der Armut sind. Verständnis zeigt der Weltbankpräsident zugleich für den Unmut, der in vielen Geberländern angesichts der als unzureichend empfundenen Erfolge der Entwicklungshilfe besteht.

Schärfere Erfolgskontrolle

Wolfowitz hat angekündigt, die Vielzahl von Projekten der Bank einer schärferen Erfolgskontrolle zu unterwerfen. Hoffnungsvoll stimmt darüber hinaus, dass der Weltbankpräsident dem privaten Sektor als Motor für mehr Wachstum eine ganz zentrale Rolle in der Entwicklungshilfe bemisst: Jüngere Ergebnisse der ökonomischen Forschung legen nahe, dass der Strom privaten Kapitals, das zu Investitionen dient, ungleich wirkungsvoller ist als die offizielle Entwicklungshilfe. Beispiele der vergangenen Jahrzehnte - wie China und Indien - legen den Schluss nahe, dass nicht die reichen, sondern die armen Länder selbst den Schlüssel für einen Sieg über die Armut in Händen halten, mögen sich auch die Weltbank und andere noch so sehr bemühen.

Dem IWF stellen sich mit Blick auf seine künftige Arbeit ebenfalls eine Reihe von Fragen. Zum einen geht es darum, die Rolle der Institution in den Entwicklungsländern zu definieren. Der geschäftsführende Direktor des IWF, Rodrigo Rato, hat hierzu und zur strategischen Ausrichtung des Fonds insgesamt auf der Jahrestagung vor einigen Wochen Vorschläge unterbreitet. Darin nimmt Rato zum Teil die Kritik auf, die seit Jahren am Fonds geäußert wird: Dass er sich zu weit von seiner eigentlichen Aufgabe entfernt habe, seinen Mitgliedsländern im Fall einer Finanzkrise kurzfristige Hilfe zur Überwindung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten zu gewähren. Doch Rato hat nicht im Sinn, das Engagement des IWF in den ärmsten Ländern gänzlich zu beenden. Der Fonds, so argumentiert Rato, könne mit seiner Expertise in der Wirtschafts- und Finanzpolitik einen wichtigen Beitrag zur Schaffung eines Ordnungsrahmens leisten, der eine unverzichtbare Voraussetzung für mehr Wachstum und weniger Armut sei.

Interessenausgleich finden

Insbesondere die deutschen und amerikanischen Vertreter im Fonds stimmt zuversichtlich, dass unter Ratos Führung die Überwachungsfunktion der Weltwirtschaft und der Finanzmärkte ausgebaut werden soll. Daraus spricht eine der wichtigsten Lehren aus den Finanzkrisen in Asien, Lateinamerika und Russland in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre: Es ist allemal besser und vor allem billiger, eine krisenhafte Entwicklung frühzeitig zu erkennen und womöglich abzuwenden, als in einem internationalen Großeinsatz viele Milliarden zur Krisenbewältigung auszugeben. Rato hat freilich nicht kategorisch ausgeschlossen, dass der IWF nicht auch in Zukunft im Ernstfall ein Milliardenpaket für ein Krisenland schnüren werde. Auch Rato gibt sich somit nicht der Illusion hin, dass Finanzkrisen gänzlich vermieden werden können.

Der IWF steht in seiner Arbeit vor ähnlichen Schwierigkeiten wie seine Geschwisterorganisation Weltbank. Der notwendige Interessenausgleich zwischen Geber- und Empfängerländern ist nicht immer leicht herzustellen. IWF und Weltbank können nur dann erfolgreich arbeiten, wenn er von beiden Seiten als nutzbringend empfunden wird. Der sorgsame Ungang mit den finanziellen Ressourcen zählt ebenso dazu wie die verlässliche Beratung in der Wirtschaftspolitik. Bedauerlicherweise haben die traditionellen Machtstrukturen immer wieder dazu geführt, dass IWF und Weltbank von den großen Anteilseignern in Überschreitung ihrer eigentlichen Mandate zur Erreichung außenpolitischer Ziele eingesetzt wurden.

Rato und Wolfowitz haben erkannt, dass auch ihre Institutionen den Veränderungen in der Weltwirtschaft Rechnung tragen müssen. So notwendig und wünschenswert dies mit Blick auf eine Erhöhung der Stimmanteile und damit der Einflussmöglichkeiten von Regionen wie Asien, Lateinamerika oder Afrika aber auch sein mag, darf doch nicht übersehen werden, dass mit den Rechten in IWF und Weltbank auch (finanzielle) Pflichten verbunden sind.


Claus Tigges ist Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und lebt in Washington.


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