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Debatte
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Wortlaut der Reden

Anke Fuchs (Köln), SPD Wolfgang Lüder, FDP >>

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, können wir treffen, lieber Hans-Jochen Vogel, weil der Einigungsvertrag dazu die Möglichkeit gibt. Deswegen werden wir uns heute nach einer langen Debatte zu einer Entscheidung durchzuringen haben. Ich stimme all denen zu, die sagen: In den vergangenen Wochen ist diese Debatte nicht gut gelaufen. Ich glaube, wir können heute nach Abwägung eine klare Entscheidung treffen.

Je mehr Abschiedspathos ich heute für die Stadt Bonn höre, desto trauriger werde ich. Bonn hat seine Schuldigkeit nicht getan. Bonn muß Regierungssitz und Parlamentssitz bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Wer sich für Bonn als Regierungssitz und Parlamentssitz entscheidet, ist nicht gegen Berlin, sondern für Berlin als Hauptstadt, als Metropole, als ökonomische und kulturelle Brücke zwischen Ost und West. Ich sage Ihnen voraus: Berlin kann diese Funktion einer Metropole dann besonders gut übernehmen, wenn es nicht auch noch die Last von Regierungssitz und Parlamentssitz tragen muß.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Daß Hilfe erforderlich ist, wissen wir alle. Seit Jahrzehnten helfen wir Berlin, niemand hat Berlin alleingelassen, und deswegen muß niemand befürchten, daß die Hilfe für diese Metropole nicht kommen wird.

Wer für Bonn eintritt, meine Damen und Herren, ist für die soziale Gestaltung der Einheit, nämlich für die Hilfe für die Menschen in den fünf neuen Ländern. Diese Menschen brauchen keine symbolischen Zeichen der Zuneigung, sondern eine solidarische Politik für Arbeitsplätze, für Kindergärten und für Wohnungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Was solidarische Politik für die Menschen in den fünf neuen Ländern bedeutet, haben heute nacht die Sozialpolitiker Rudolf Dreßler und Norbert Blüm, beide Bonn-Befürworter, bewiesen: Sie haben einen Rentenüberleitungskompromiß gefunden, der den Frauen in den fünf neuen Ländern mehr hilft als die Verlagerung des Regierungssitzes nach Berlin. Das ist praktische Politik!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Das Geld, das ein Umzug nach Berlin zusätzlich verschlingen würde, fehlt für die Hilfe in den neuen Ländern. Wir kennen die Expertengutachten zu Raumordnung, Infrastruktur und Umweltschutz. Sie sind bemerkenswert; denn sie beweisen, daß eine Machtkonzentration in Berlin die Entwicklung in den fünf neuen Ländern behindern und eben nicht fördern wird. Die Menschen in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern wissen doch aus 40jähriger eigener Erfahrung, wie benachteiligt Regionen werden, wenn die Zentrale alles an sich zieht. Dies müssen wir mit den Menschen dort drüben auch besprechen.

Ich bin, meine Damen und Herren, aus Solidarität mit den Menschen in den fünf neuen Ländern, aber auch aus eigener Überzeugung für Bonn.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Das ist etwas erstaunlich. Aber als Hamburgerin, gegen das Adenauersche Rheinland erzogen, weiß ich jetzt, was es heißt, in Bonn zu leben, in einer sozialdemokratisch regierten Region zu leben. Von dieser Region geht soviel Positives aus -- so will ich das begründen --, daß ich aus Überzeugung dafür bin, daß Bonn Regierungssitz und Parlamentssitz bleibt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Von Bonn aus sind wir in den Westen eingebunden. Von Bonn aus ist die Rolle der größer gewordenen Bundesrepublik definiert worden. Die Bonner Demokratie ist -- darauf ist schon hingewiesen worden -- Symbol des demokratischen Neuanfangs. Sie steht für die Aussöhnung mit unseren Nachbarn. Diese Bonner Demokratie steht für mich für die Entspannungs- und Aussöhnungspolitik, die mit Willy Brandt von Bonn aus gestaltet wurde. Diese junge Bundesrepublik hat er zu einem verläßlichen, friedlichen Partner gemacht.

Übrigens, auch die Menschen im Osten haben 40 Jahre in dieses Bonn Vertrauen gehabt. Deshalb ist Bonn Kontinuität und Zukunftsorientierung. Die Entscheidung für Bonn ist aus meiner Sicht die angemessene Antwort auf die Rolle der größer gewordenen Bundesrepublik, auch die Antwort des Föderalismus. Das heißt immer auch Teilung von Macht, das heißt auch Macht an verschiedenen Orten, und es heißt eben nicht Rezentralisierung, wie die Berlin-Befürworter es wollen.

Theo Sommer schrieb vor einigen Wochen von der »stillen Effizienz Bonns«. Mir gefällt dieser Ausdruck als ein Zeichen einer Politik des Augenmaßes.

Nun zu der angeblichen Ferne von den wirklichen Problemen: Müssen wir uns in den Trubel Berlins stürzen, um Probleme kennenzulernen?

(Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE]: Ja!)

Könnten wir das eigentlich tun, wenn wir gut abgeschirmt im feinen Parlaments- und Regierungsviertel arbeiteten? -- Die Probleme, meine Damen und Herren, erleben wir doch wohl in unseren Wahlkreisen, bei den Menschen vor Ort, in den fünf neuen Ländern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Aufgabe der Parlamentarier ist es, die Probleme anzupacken. Unsere Aufgabe ist es, zu Lösungen zu kommen. Unsere Aufgabe ist es, effektiv zu arbeiten. Das kann am besten von Bonn aus geschehen.

Leider ist es uns nicht gelungen, in dieser Frage einen Volksentscheid herbeizuführen. Ich bedauere das, weil mir die vielen Gespräche, die wir alle in den letzten Wochen geführt haben, klargemacht haben: Dies ist eine Angelegenheit, bei der wir die Menschen in unserem Lande hätten fragen sollen, wie sie dazu denn eigentlich stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nach meiner Beobachtung identifizieren sich die Menschen mit dieser Bonner Demokratie. Dabei spreche ich nun auch einmal für die Westdeutschen: Sie haben einen Anspruch darauf, in dieser Frage auch ihre Interessen und ihre Meinung einzubringen. Und sie sagen mir: Wir identifizieren uns mit dieser Bonner Demokratie. Wir identifizieren uns mit diesem föderativen Deutschland, mit dem Land, das seinen partnerschaftlichen Platz erarbeitet hat.

Deswegen ist es nicht Bequemlichkeit, sondern Ausdruck von Vertrauen und Zuversicht, wenn diese Menschen sagen: Wir wollen nicht rezentralisiert nach Berlin, sondern wollen, daß Bundestag und Regierung in Bonn bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Es ist kein Rückblick, und es ist auch kein Stillstand, wenn die Menschen so reden. Es ist der Blick in die Zukunft unseres Landes, das von Europa und den Regionen geprägt wird und nichts von Machtkonzentration aufweist. Ich sage deswegen: Gegen die großen Worte von der großen Geschichte, gegen die Machtkonzentration in Berlin setze ich auf die Zukunft unseres Landes, geprägt von 40 Jahren guter Bonner Demokratie, geprägt von dem Vertrauen in föderative Strukturen, in effektives Arbeiten und Augenmaß. Deswegen bitte ich Sie sehr herzlich, mit dafür zu stimmen, daß Bonn Regierungs- und Parlamentssitz bleibt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Lüder.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_018
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