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Debatte
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Wortlaut der Reden

Dr. Oscar Schneider (Nürnberg), CDU/CSU Günter Verheugen, SPD >>

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was zum Lobe und zur Anerkennung Bonns gesagt worden ist, brauche ich nicht zu wiederholen. Auch ich empfinde für Bonn Gefühle herzlicher Verbundenheit und dankbarer Erinnerung.

Ich wende mich aber gegen die immer wieder vertretene Behauptung, ein Weg von Bonn nach Berlin sei der Anfang eines neuen Irrwegs, der preußische Zentralismus werde Urstände feiern, Verfassungsartikel seien außerstande, auf Dauer elementaren politischen Strömungen, die sich aus der millionenstädtischen Atmosphäre entwickeln würden, Einhalt zu gebieten.

Niemand kann ernsthaft behaupten, daß der Geist der neuen deutschen Politik seit 1949 wesenhaft mit dem Ort verbunden wäre, an dem die Organe des Bundes ihren Verfassungsauftrag erfüllt haben. Hier kann man sich weder auf Adenauer, Schumacher, Dehler noch auf die Verfassungsväter des Parlamentarischen Rats berufen. Diese kamen aus allen Teilen Deutschlands. Alle waren sie den Ideen und Idealen eines freien, demokratischen, sozialen und föderativen Rechtsstaats verpflichtet. Alle wollten sie aus den Fehlern und Erfahrungen der Weimarer Zeit Konsequenzen ziehen.

Die erste deutsche Demokratie ist nicht an Berlin, die erste deutsche Demokratie ist in Berlin gescheitert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Berlin hat nicht einen einzigen Ehrentitel des NS-Bewegung getragen. In Berlin wurde nur vollstreckt, was sich zuvor in allen Reichsteilen politisch vorbereitet hatte. In Berlin hatte sich in den Jahren der Weimarer Republik ein Kunst-, Kultur- und Geistesleben entfaltet, das weltweit Beachtung, Aufsehen und Anerkennung gefunden hat. Die Reichshauptstadt an der Spree faszinierte durch ihr liberales, weltoffenes Leben. Viele Vertreter der deutschen Literatur, die sich in anderen Reichsteilen verloren oder isoliert sahen, fanden in Berlin den Ort ihres literarischen Erfolges, ihrer künstlerischen Beachtung und ihrer gesellschaftlichen Einbindung.

Es geht nicht nur um Bonn oder Berlin. Es geht um mehr. Beide Städte tragen unverwechselbare Züge einer liebenswürdigen Stadtpersönlichkeit. Es geht um die deutsche Hauptstadt. Heute darf nur gelten, was für ganz Deutschland gut ist, was den geistigen Abmessungen unserer Geschichte gerecht wird.

Über die Auseinandersetzungen des Tages hinaus muß die Erkenntnis lebendig bleiben, daß sich im neuen und vereinten Europa die einzelnen Völker und Nationen eine gegliederte, eine föderalistische Staatsordnung mit gemeindlicher Selbstverwaltung und kultureller Vielfalt erhalten müssen.

Diese Vielfalt schließt nicht aus, daß wir auf eine Hauptstadt von Rang und Ansehen, von Klang und Namen, eine Hauptstadt höchster kultureller und urbaner Selbstentfaltung bestehen müssen. Die deutsche Hauptstadt muß die neue politische Weltlage ebenso berücksichtigen, wie sie ihren Standort zwischen den romanischen und slawischen Völkern in Europa finden muß.

Ich bin überzeugt, daß wir in Berlin nicht in die alten Fehler der deutschen Politik zurückfallen werden. Wir müssen und werden die Fenster und Türen des deutschen Hauses weit öffnen, nach Westen und Osten gleichermaßen. Daß die europäische Aufklärung von einem preußischen Professor in Königsberg wesentlich angestoßen und beeinflußt wurde, sollte uns mit dem Geiste Preußens versöhnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Immanuel Kant hat uns den kategorischen Imperativ gelehrt. Graf Hardenberg und Freiherr vom Stein haben für ganz Deutschland vorbildliche Reformen durchgeführt. Der Widerstand gegen Hitler wurde von vielen Offizieren und Beamten, die sich der preußischen Tradition verpflichtet sahen, mitgetragen. Berlin hat die Hungerblockade überstanden. In Berlin erhoben sich die Arbeiter gegen die stalinistische Tyrannis. In Berlin haben wir am sichtbarsten die deutsche und europäische Teilung erlebt und überwunden.

Meine Damen und Herren, unsere Entscheidung muß deutscher Geschichte nicht minder verpflichtet sein und gerecht werden wie der Notwendigkeit, neue Wege in die Zukunft zu öffnen, zu einer europäischen Zukunft im guten Einvernehmen mit unseren westlichen und östlichen Nachbarn. Berlin liegt im geographischen und historischen Schnittpunkt dieser neuen europäischen Chancen und Realitäten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kollege Günter Verheugen das Wort.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_036
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