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Debatte
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Wortlaut der Reden

Markus Meckel, SPD Michaela Geiger, CDU/CSU >>

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Tatsache, daß wir heute über diese Frage hier diskutieren müssen, ist für mich selbst schon ein Skandal im Prozeß der deutschen Einigung. Auch der Verlauf dieser Debatte offenbart, wie fremd die deutsche Einheit vielen hier im Westen in den letzten 40 Jahren geworden ist und noch ist -- trotz mancher Bekenntnisse und Ergebnisse der letzten zwei Jahre. Das ging nicht nur ihnen so, und das geht über Parteigrenzen hinweg.

Als mein Freund Martin Gutzeit und ich vor zwei Jahren die Initiative zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR ergriffen haben, war das erste Ziel, wie Sie wissen, nicht die Einheit Deutschlands, sondern der Sturz der Diktatur, der Aufbau einer parlamentarischen Demokratie, der Aufbau von Selbstbestimmung, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des

Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP])

Wir glaubten damals nicht, daß die deutsche Einheit so schnell möglich werden würde, und stellten den Frieden und den europäischen Einigungsprozeß vor die deutsche Einheit. Doch bekannten wir uns damals gleich am Anfang ebenso zur Einheit der deutschen Nation, zur gemeinsamen deutschen Geschichte und zu der daraus erwachsenden Verantwortung für die Zukunft dieses Volkes und Europas.

Dann wurde die deutsche Einheit wie ein Geschenk möglich. Wir wollten, daß es eine wirkliche Vereinigung wird, in der die Deutschen aus Ost und West als Partner zusammenkommen.

Es war für mich neben manchem anderen ein Schock, als ich dann mitbekam, daß für viele Westdeutsche plötzlich nicht mehr das gelten sollte, was mit dem Bekenntnis zur deutschen Einheit unwiderruflich schien und mehrfach in diesem Hohen Hause beschlossen worden war: Plötzlich sollte Berlin nicht mehr die wirkliche Hauptstadt des geeinten Deutschland sein.

Das verriet und verrät viel. Die unschuldige Formulierung eines Schülers für die deutsche Einigung beschreibt einen weitverbreiteten Bewußtseinsstand. Er sagte: Als die DDR zu Deutschland kam . . . -- Das heißt doch: Wir im Westen sind schon das Ganze; ihr könnt euch anschließen, mehr nicht.

Das ist der wahre und für viele von uns Ostdeutschen erschütternde Hintergrund dafür, daß diese heutige Diskussion stattfinden muß. Das geeinte Deutschland soll nur die vergrößerte alte Bundesrepublik sein.

Ich denke, mit der Entscheidung heute geht es mit weitreichenden Folgen darum, ob das Parlament das bekräftigt, was ohnehin das Erleben vieler ist, die die Einigung Deutschlands nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch praktisch nur noch als Anschluß erfahren, als einen großen Akt bürokratischer Eingliederung. Was nicht paßt, wird ausgesondert. Was es im Westen schon gibt, wird im Osten abgewickelt. Was 40 Jahre klar war, gilt nicht mehr.

Die Besitzstandswahrung im Westen scheint oft die Hauptsorge zu sein -- und Besitzergreifung ein angenehmer und erhoffter Nebeneffekt. An der einzigen Stelle, wo es im Westen wirklich weh tut -- das leugnet ja niemand --, weigert man sich einfach, für die Einheit das zu tun, was jahrelang Bekenntnis war.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Diese -- wie es sich für viele von uns darstellt -- Ignoranz und dann -- ich muß es so sagen -- auch der Egoismus angesichts dessen, was sich bei uns mit vielen Menschen abspielt, sind schwer verkraftbar.

Andererseits muß ich gestehen: Irgendwie kann ich auch diese Haltung ganz gut verstehen. Im Grunde haben Sie hier im Westen bis auf wenige wichtige Ausnahmen die deutsche Einheit nicht mehr für möglich gehalten

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist

Geschichtsklitterung!)

und trotz des Gebots des Grundgesetzes vielfach auch nicht mehr als wirkliches Ziel angesehen. Dabei kann ich durchaus auch nach rechts bis in die Regierungsbank sehen.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist

Geschichtsklitterung!)

Ich will das auch keinem zum Vorwurf machen. Doch müßte man es einmal ehrlich zugeben; man dürfte sich nicht nur auf Sonntagsreden berufen und heute dann etwas anderes tun.

Sie sind im Westen in der Gesamtgesellschaft, glaube ich, von dem massiven Willen zur Einheit im Osten überrascht und aufgerüttelt worden. Das betrifft auch nicht wenige von uns, die wir schon vorher gegen den Staat in der DDR eingetreten sind. Auch wir waren davon überrascht, daß es so schnell ging.

Sie im Westen sind ja im Grunde nicht gefragt worden. Sie haben die Einheit akzeptieren müssen. Jetzt ist sie da, und wir sind alle dankbar dafür. Wir haben jetzt die Aufgabe, die Einheit zu vollenden und den Prozeß des Zusammenwachsens zu fördern. Das ist nicht nur wirtschaftlich, sondern mehr noch in den Köpfen und Herzen der Menschen ein langer und schwieriger Weg.

Ich bin sicher: Mit einer Entscheidung für Berlin wird keines der wirtschaftlichen Probleme Berlins und des Ostens automatisch gelöst.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Doch wäre diese Entscheidung ein Akt der Anerkennung der Einigung Deutschlands und ein Akt der Bereitschaft, dafür etwas auf sich zu nehmen.

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Meckel, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Markus Meckel (SPD): Die Entscheidung für Bonn aber wäre -- ich bin gleich fertig --, wie ich denke, ein erneuter Verrat -- jedenfalls würde es so aufgefaßt werden -- und eine Mißachtung derer,

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die im Osten die Einheit wollten und erkämpft haben. Sie würde das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit von Politik schwer beschädigen, was gerade jetzt, wo das Vertrauen in frei gewählte Politiker und in die Demokratie wachsen muß, verheerende Folgen hätte.

Berlin war das Symbol der Trennung Deutschlands.

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Meckel, Sie sind jetzt weit über Ihre Redezeit!

Markus Meckel (SPD): In der Haltung zu Berlin entscheidet sich heute die Bereitschaft zu einer wirklichen, Neues gestaltenden Einheit.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Herren, die Fünf-Minuten-Runden machen das Geschäft der Sitzungsleitung natürlich nicht leicht. Wenn jemand bei fünf Minuten weit über eine Minute überzieht, dann überzieht er um 25 %. Wenn jeder das tut, kommen wir in eine sehr späte Stunde, und das ist nicht fair gegenüber jenen Kollegen, die sich an die Regeln halten.

Die zweite Bemerkung, Herr Meckel: Zu dem ernsten parlamentarischen Bemühen um eine zugegebenermaßen weitreichende Entscheidung passen Ausdrücke wie »Skandal« oder »Verrat« nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Michaela Geiger.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_055
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