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Debatte
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Wortlaut der Reden

Gernot Erler, SPD Dr.-Ing. Dietmar Kansy, CDU/CSU >>

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, selten ist in diesem Hause über eine Entscheidung debattiert woren, bei der so viele Beteiligte zunächst im Herzen entschieden und erst nachher im Kopf nach Argumenten gesucht haben.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist unwahr!)

Im Herzen bewahrt man gute Gefühle und Erinnerungen, und jeder von uns hat solche, die sich mit dem Namen Bonn verbinden. Nur ganz wenige von uns können solche positiven Erinnerungen und Empfindungen mit Berlin in Verbindung bringen.

(Anhaltende Unruhe)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Erler, ich muß Sie einmal unterbrechen. Es ist zu laut. -- So. Bitte sehr!

Gernot Erler (SPD): Insofern sind wir alle befangen -- mit schlechten Chancen für Berlin.

Kann man also Klarheit über den Austausch von Argumenten für und gegen eine der beiden Städte finden? Mir scheint das ein willkürliches Unterfangen zu sein.

Der Föderalismus als ein Stück Politik auf der Habenseite unserer 40jährigen Republik wird gern als Argument für Bonn bemüht. In Wirklichkeit hat aber nicht der bisher provisorische Parlaments- und Regierungssitz Bonn den Föderalismus garantiert, sondern allein eine in diesem Punkt entschiedene Verfassung und ihre ebenso entschiedene Umsetzung in Bund und Ländern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Insofern kann der Föderalismus bei unserer heutigen Entscheidung Bonn nicht helfen, vielleicht sogar eher noch Berlin; denn alles, was nach einer Bonn-Entscheidung der vorgeblichen Hauptstadt Berlin ab morgen an Kompensation angeboten wird, könnte wirklich eine föderative Verteilung von Bundeseinrichtungen auf alle Bundesländer in Frage stellen.

Auch die immer wieder vorgetragene Behauptung, Bonn stehe für Bescheidenheit und Selbstbeschränkung einer stärker gewordenen europäischen Mittelmacht, während Berlin neue Machtansprüche und ein für die Nachbarn bedrohlich wirkendes Deutschland versinnbildliche, prallt an den Realitäten ab. Amerikas Weltrolle wäre nicht geringer, wenn das Weiße Haus in Ann Arbor stände. Moskaus Einfluß würde uns auch beschäftigen, wenn Gorbatschow seine Zelte in Kaluga aufschlagen würde. Es ist wie bei dem Föderalismus: Nicht die Mauern einer Hauptstadt entscheiden über die Ausstrahlung einer Republik, sondern die Frage, ob die Inhalte der Politik humane Ziele verfolgen oder nicht. Weder Bonn noch Berlin werden als Städte über diese Frage entscheiden; dafür tragen vielmehr allein wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages die Verantwortung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wenn also Argumente für oder gegen eine Stadt so wenig Auskunft geben über die Richtigkeit einer Entscheidung, dann bleibt die Frage nach den Wirkungen. Als Gesetzgeber muten wir alle in diesen Monaten den Menschen in der ganzen Bundesrepublik, besonders im Osten, aber auch im Westen, erhebliche Opfer zu. Wahrscheinlich werden wir das, um den Prozeß der tatsächlichen Einheit in Deutschland zu vollenden, sogar noch über Jahre hinweg tun müssen. Die Entscheidung für Berlin heißt in diesem Zusammenhang nicht nur einfach, ein tausendmal gegebenes Versprechen einzulösen; diese Entscheidung gibt vielmehr das Signal, daß alle in dieser Zeit zu den notwendigen Opfern bereit sind, auch die Berufspolitiker,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

die politischen Beamten und Angestellten, denen die Stadt Bonn zu Recht ans Herz gewachsen ist.

(Zustimmung des Abg. Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD])

Bei einer Entscheidung für Berlin gibt es keine Gewinner; denn auch danach werden an Spree und Havel und ringsherum diejenigen sitzen, die noch für Jahre die meisten Opfer im Prozeß des deutschen Zusammenwachsens werden bringen müssen.

Eine Entscheidung für Bonn dagegen erweckt den Eindruck, daß diejenigen, die durch das Mandat über die Entscheidung verfügen, für sich in Anspruch nehmen, sich aus der allgemeinen Notwendigkeit, Opfer zu bringen, heraushalten zu können. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, wie eine solche Verweigerung auf all jene wirken wird, die nicht das Privileg haben, sich verweigern zu können.

Noch eine andere Wirkung verdient unsere Aufmerksamkeit. Jahrzehntelang ist in Berlin der Kampf um die Zusammengehörigkeit ganz Deutschlands ausgetragen worden. Heerscharen von befreundeten Politikern haben wir nach Berlin geschleppt und ihr Bekenntnis zu Berlin immer als Bekenntnis zu dem Wunsch des ganzen Deutschland nach Selbstbestimmung und Freiheit gewertet. Wäre es nicht so gewesen, hätten wir Kennedys hier schon zitierten Ausspruch als nichts anderes als eine Falschaussage in aller Öffentlichkeit betrachten müssen.

Mühsam haben wir den Alliierten abgerungen, wenigstens symbolische parlamentarische Akte in Berlin durchführen zu dürfen. Jetzt steht uns die Tür weit offen, von dieser Stadt aus das angefangene Werk der Freiheit, Selbstbestimmung und tatsächlichen Einheit zu vollenden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir durch diese Tür nicht gehen, entwerten wir nachträglich den jahrzehntelangen Kampf, bei dem wir so viele Freunde mit Erfolg einbezogen haben. Es gibt nicht nur ein Versprechen an Berlin, das zu halten ist, sondern auch eine in Jahrzehnten aufgebaute internationale Gemeinsamkeit für Berlin, der man mit der Verleihung eines bloß symbolischen Hauptstadttitels nicht gerecht werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster der Abgeordnete Dietmar Kansy.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_073
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