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Debatte
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Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Joachim Gres, CDU/CSU Claus-Peter Grotz, CDU/CSU >>

Ich stehe heute wie sehr viele der anderen Abgeordneten vor einer sehr schwierigen Entscheidung. Ich gehöre zu den jüngeren Abgeordneten, die nach dem Kriege geboren sind und deren Staats- und Politikverständnis von den Konstituanten der Bundesrepublik Deutschland -- als da sind das Grundgesetz mit seinen Grundentscheidungen für strikte Gewaltenteilung und Föderalismus, die Westbindung und die Integration in ein freies, geeintes Europa -- geprägt ist. Teil dieser Grundprägung war das unbeirrbare Festhalten an der deutschen Einheit, und Symbol der offenen deutschen Frage war 45 Jahre das geteilte Berlin in seiner Insellage.

Es ist wahr: Politik lebt nicht nur von Daten und Fakten, sondern mindestens ebenso von Gefühlen und Symbolen. Deshalb war Berlin für viele aus meiner Generation ein wichtiges, ja ein notwendiges, ein immer wieder aufrüttelndes Beispiel für das mutige Eintreten für die Sache der Freiheit, eine Stadt, in der für jedermann sichtbar durch die Mauer eben auch die Grenze zwischen Recht und Unrecht, Freiheit und Unfreiheit markiert war. In diesem Sinne haben wir uns zu Berlin bekannt. Deshalb war die Öffnung des Brandenburger Tors der symbolische Schlußakt eines langen Weges zur Einheit in Recht und Freiheit, nicht aber ein Bekenntnis zur Wiederherstellung der historischen Rolle Berlins als Sitz der deutschen Zentralregierung.

Ich verkenne dabei nicht, daß viele Bürger, vor allem die ältere Generation, diese historische Rolle Berlins anders gesehen haben und anders sehen und daß jetzt viele aus geschichtlichen Gründen und auf Grund des Bekenntnisses zu Berlin als unserer Hauptstadt die Verlegung der zentralen Staatsorgane nach Berlin fordern. Wenn man diesen aus der Vergangenheit abgeleiteten Forderungen nicht nachkommen will, muß man gute Gründe dafür haben. Welche können das sein?

Die angeführten Kosten der Verlagerung des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin sind für meine Entscheidung ebenso wenig ausschlaggebend wie die wirklichen oder vermeintlichen Strukturprobleme des Bonner Raumes bei einem Wegzug der Bundesbehörden nach Berlin. Alles dies sind wichtige Umstände und Faktoren, die nicht zu geringgeachtet werden sollen, die aber, über längere Zeiträume erstreckt, bewältigt werden können.

Für mich sind auch nicht die wirtschaftsstrukturellen Förderungsaspekte für Berlin maßgebend. Wir alle wissen, daß die Umsiedlung nach Berlin einen längeren Zeitraum benötigen würde. Wachstumsimpulse werden aber jetzt und in den nächsten vier Jahren vor allem in den neuen Bundesländern und den dort entstehenden regionalen Zentren benötigt. Dort muß vor allem investiert werden. Die Wirtschaftsmetropole Berlin wird ihren Weg auch ohne die Übernahme aller wesentlichen zentralen Regierungsfunktionen gehen können. Die Wirtschaftsindikatoren für Berlin sprechen bereits jetzt eine deutliche Sprache.

Ausschlaggebend für meine Entscheidung ist letztlich das Argument, daß Berlin auf Grund seiner schieren Größe auf lange Sicht als alles überragende deutsche Wirtschafts- und Kulturmetropole sowieso eine Gefährdung unserer sorgsam austarierten Föderalstruktur bedeutet. Berlin wird insbesondere dann, wenn es die wesentlichen zentralen Staatsorgane Bundestag und Bundesregierung mit allen Institutionen, die damit direkt und indirekt zusammenhängen, übernimmt, eine derartige Sogwirkung entfalten, daß am Ende alle dort sein werden: die großen Industrieverwaltungen bis zu den Bankenverwaltungen -- also von Mercedes-Benz bis zur Deutschen Bank --, die Verbände bis zu den Gewerkschaften -- also vom Arbeitgeberverband bis zur IG-Metall --, die Institutionen bis hin zu den Messen, die tertiären Dienstleistungsbereiche bis hin zu den innovativen neuen Technologien. Am Anfang werden es wohl nur Repräsentanzen und Niederlassungen sein, am Ende werden es die Hauptverwaltungen bzw. die Zentralinstitutionen sein.

Städte wie Hamburg und München mögen Zentren aus eigenem Recht bleiben, Frankfurt und Düsseldorf z. B. werden aber ihre heutige Bedeutung verlieren, und Dresden und Magdeburg kommen aus den Startlöchern gar nicht richtig heraus. Wer glaubt, daß Städte wie Frankfurt, Düsseldorf, Stuttgart oder Dresden ganz selbstverständlich als große Banken-, Dienstleistungs- und Verkehrsmetropolen erhalten bleiben oder sich entwickeln können, der irrt sich. Berlin wird sich wieder zu der alles dominierenden Metropole in Deutschland entwickeln. Die europäischen Beispiele London und Paris mit ihrer Auswirkung auf ihr regionales Umfeld sind für diese Entwicklung warnende Beispiele.

Wir werden in Europa um dieses in den letzten 40 Jahren gewachsene föderale und polyzentrische System beneidet. Der Föderalismus in Deutschland war eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Stabilität und Prosperität unseres Landes. Dies wiederum ist die Voraussetzung dafür, daß wir die Herstellung einheitlicher Lebensbedingungen in ganz Deutschland in diesem Jahrzehnt finanziell und wirtschaftlich meistern können.

Nach reiflicher Abwägung aller Daten, Fakten, Symbole und Prognosen werde ich mich daher in Anerkennung der in den letzten 40 Jahren gewachsenen Geschichte unseres Landes, die mit dem Symbol Bonn verbunden ist, für eine Aufgabenteilung zwischen der Hauptstadt Berlin, dem Parlaments- und Regierungssitz Bonn und den neuen Bundesländern in dem Sinne entscheiden, daß der Bundesrat und der Bundespräsident nach Berlin gehen, der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung ihren Sitz in Bonn beibehalten und eine Reihe von nationalen und internationalen Institutionen auf die neuen Bundesländer aufgeteilt werden. Nachdem eine einvernehmliche Konsenslösung zwischen den Parteien nicht gefunden worden ist -- was ich bedauere -- und uns die Entscheidung heute abverlangt wird -- was nach meiner Meinung nicht notwendig war --, halte ich nach meinem besten Wissen und Gewissen diese Entscheidung für die Zukunft unseres Landes für die richtige.

Claus-Peter Grotz, CDU/CSU >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_129
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