Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 1998 > Blickpunkt Bundestag - Juni 1998, Nr. 1/98, Seite 2, Inhalt >
Juni 01/1998
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Experten setzen sich für eine Duldung der Opfer ein

(fa) Die Aussagebereitschaft der Opfer von Menschenhandel wird sich erhöhen, wenn alle Frauen, die potentiell betroffen sind, eine automatische Duldung von mindestens sechs Wochen erhalten. Davon ging Nivedita Prasad von der Koordinierungsstelle BAN YINK e.V. in ihrer Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 27. Mai aus.
Bei der derzeitigen Praxis, wo die Staatsanwaltschaft entscheidet, ob eine Frau als Zeugin in Frage komme oder nicht, werde die psychologische Situation der Frau nicht berücksichtigt. Bei dieser Gruppe handle es sich, so Prasad, um sehr stark traumatisierte Menschen. Diese müßten zuerst einmal wieder zu sich selber finden, bevor sie entscheiden könnten, ob sie eine Aussage machen wollen oder nicht.Die Frauen stünden unter Schock, wüßten nicht, wem sie vertrauen könnten. Außerdem könnten sie kurz nach ihrer Festnahme noch nicht einschätzen, inwiefern sie sich selbst durch eine Aussage belasten würden.
Auch Belladonnan, die Koordinierungs- und Beratungsstelle für osteuropäische Frauen, die in Brandenburg vom Menschenhandel betroffen sind, fordert eine Duldung der Opfer. Außerdem setzt sich die Beratungsstelle wie auch die Vertreterin von Solwodi, Lea Ackermann, für eine Entkriminalisierung der Frauen ein. Eine erzwungene Einreise nach Deutschland dürfe nicht zu einem illegalen Status der Frauen führen und als Straftat kriminalisiert werden.
Ein fehlendes Visum dürfe die Opfer nicht zum Verhängnis werden. Es müsse vielmehr für die Frauen ein eigenständiger Aufenthaltsstatus ermöglicht werden.
Ein Bleiberecht für die Opfer fordert Bärbel Butterweck von der La Stradß Ceska Republika (La Stradß CR). Dieses Recht wie auch ein Abschiebeschutz für die Betroffenen sollten gesetzlich verankert werden. Butterweck begründet ihre Forderung damit, daß in den meisten Fällen betroffene Frauen nach ihrer Heimkehr erneut von den Zuhältern und Frauenhändler belästigt und bedroht werden. Ein Bleiberecht in den Zielländern habe daher nicht nur eine humanitäre Funktion, sondern könne weitere Fälle von Frauenhandel verhindern. Auch Nivedita Prasad hält neben einer Duldung ein Bleiberecht für die Opfer für sehr wichtig. Dies sollte allerdings allen Frauen gewährt werden unabhängig davon, ob sie bereit sind als Zeugen auszusagen oder nicht. Die Opfer von Menschenhandel hätten berechtigte Angst vor Verfolgung in ihren Heimatländern. Die Schlepper rekrutierten fast ausschließlich Frauen, deren Heimatorte und Familien sie kennen, um sie später besser erpressen zu können. Allerdings wollten die meisten Opfer so schnell wie möglich ausreisen, was nicht verwunderlich sei, bei dem was sie in Deutschland gesehen und erlebt hätten.
Demgegenüber hält es Professor Marijke van Hemeldonck, Ehrenmitglied des Europäischen Parlaments, nicht für erforderlich, grundsätzlich ein Bleiberecht zu gewähren. Die zuständigen Behörden sollten jedoch sicherstellen, daß bei einer Rückführung der Frauen in keinem Dokument die vergangenen Aktivitäten des Opfers erwähnt werden. Die Opfer selbst sollten darüber informiert werden, wie sie Erpressung und Vergeltungsmaßnahmen seitens der Händler vermeiden könnten.
Für das Bundeskriminalamt (BKA) steht die Durchführung des Strafverfahrens und der Schutz der Opfer im Vordergrund. Ein Bleiberecht nach der Zeugenaussage könne daher im begründeten Einzelfall sicherlich erforderlich werden, wenn die Frauen bei ihrer Heimkehr um Leib und Leben fürchten müßten. Eine Duldung der Opfer hält das BKA ebenfalls für sinnvoll. In der Frühphase der Ermittlungen, beispielsweise nach einer Razzia, sei es sehr schwer, Aussagen von betroffenen Frauen zu erlangen. Für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses sei Zeit notwendig, in der die Frauen in Ruhe entscheiden könnten, ob sie aussagen wollen oder nicht.
Auch Oberstaatsanwalt Egbert Bülles von der Staatsanwaltschaft Köln, hält ein Bleiberecht nur in Einzelfällen für notwendig. Ein generelles Recht sei weder erforderlich, noch werde es von der Mehrheit der Betroffenen gewünscht. Außerdem könnten Schlepperbanden dieses für sich nutzen, indem sie Frau nach Deutschland brächten, die dann hier vorgäben, der Prostitution nachzugehen. Dadurch könnten sie sich ein Bleiberecht verschaffen und einer Abschiebung aus dem Wege gehen. Es ist auch nicht auszuschließen, so Bülles, daß Anwälte von Menschenhändler vor Gericht angeben, die Beschuldigungen gegen ihren Mandanten seien nur erhoben worden, damit die Frauen nicht aus Deutschland abgeschoben werden.
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9801/9801035a
Seitenanfang
Druckversion