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November 04/1998
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Erwartungen an das neue Parlament

Die politische Stimmungslage in Deutschland

Was erwartet die Bevölkerung vom neu gewählten 14. Deutschen Bundestag? Noch gibt es hierzu nur wenige repräsentative Umfragen, statt dessen überwiegen Stimmungs-bilder und Stimmungen. Im folgenden ein kleiner Überblick über die Erwartungen der deutschen Bevölkerung an die neue Bundesregierung. Dieser Überblick ist weder umfassend noch repräsentativ, doch stellt er eine ausschnittsweise Widerspie-gelung der momentanen Stimmungslage in Deutschland dar. Eine Umfrage unter 1000 Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren durch das Demoskopische Institut Emnid kommt zu folgendem Ergebnis: Fast alle Befragten sprechen sich für die Umwandlung der Bundeswehr in eine Berufsarmee und die Abschaffung der Wehrpflicht aus (96%). Ebenso wichtig ist ihnen ein steuerfinanziertes Programm zur Behebung der Jugendarbeits-losigkeit. Staatliche Zuschüsse zur Erleichterung des Einstiegs in die berufliche Selbständigkeit wünschen sich 91% der Jugendlichen, 87% sind gegen die 30-Stunden-Woche ohne vollen Lohnausgleich und den Ausstieg aus der Atomenergie halten 60% für notwendig. Einig sind sich die Befragten auch in einem anderen Punkt: Die Politiker sollten mehr mit Jugendlichen diskutieren. 37% dieser Altersgruppe wünschen sich sogar, daß Politiker häufiger in einer Fastfood-Kette essen.

Thema Nr. 1: Arbeit

Eine Zufallsumfrage in der Bonner Innenstadt: Zehnmal wurde die Frage nach den Erwartungen an den neuen Bundestag gestellt, zehnmal gab es dieselbe Antwort: Die neue Volksvertretung müsse alles tun, um die Arbeitslosigkeit zu senken und mehr wirtschaftliche Sicherheit zu garantieren. An zweiter Stelle wurde der Kampf gegen Kriminalität und Rechtsextremismus genannt. Auch die Sorge um die äußere Sicherheit sprachen die Bonner Bürger an, Anlaß war die Kosovo-Krise. Doch trotz aller Kritik an der Politik und der noch offenen Wünsche der Bürger wurde die Arbeit des Deutschen Bundestages von allen Befragten gelobt - von Politikverdrossenheit keine Spur. Ein ebenfalls zufälliger Blick in verschiedene Internet-Chat-Rooms, in denen der User mit anderen Usern online politische Gespräche führt, gibt eine ähnliche Stimmung wieder. Neu ist hier jedoch die immer wiederkehrende Forderung nach kostenlosen Surf-Möglichkeiten an allen Schulen und Universitäten sowie der Vorschlag, ein eigenes Internet-Ministerium einzurichten.

Tempolimit, Rentenfrage und Ökosteuer

All diese zufälligen oder nicht zufälligen Umfragen decken sich mit den Ergebnissen der wenigen bereits vorhandenen wissenschaftlich fundierten Befragungen. Auch dort steht die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit an erster Stelle. Weitere wichtige Themen für das Parlament: das Tempolimit, die Rentenfrage, der Zuzug von Ausländern und die Kriminalitätsbekämpfung.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund befürwortet eine Öko-Steuer, also eine Mehrbelastung der Umweltabgaben mit gleichzeitiger Ent-lastung der Lohnnebenkosten. Der Präsident des Bundes-verbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, will die Situation des Mittelstandes in den Vordergrund gestellt sehen, der "dringend entlastet werden muß". Ostdeutsche Unternehmer-verbände drängen auf die Thematisierung des "Aufbau Ost". Eine stärkere Berücksichtigung der Rentner, Sozialhilfeempfänger und Behinder-ten fordern die Deutschen Sozialverbände. Der Natur-schutzbund NABU macht sich für eine Neuordnung des Bundes-naturschutz-gesetzes stark und die Allgemeinen Ortskrankenkassen verlangen die Streichung des sogenannten Krankenhaus-Notopfers. Die Liste mit Erwartungen an das zukünftige Parlament ließe sich noch lange fortsetzen.

Mehr Initiativen für Existenzgründer

Was wünschen sich junge Unternehmer in den nächsten vier Jahren von der Politik? Bernd Lindecke, Leiter eines Zulieferungs-unternehmens für Autozubehörteile in Bad Salzuflen, verspricht sich wirtschaftliche Vorteile von einer zügigen Realisierung der gemeinsamen europäische Währung, des Euro. Für den Leiter einer Hamburger Internet-Agentur, Stephan Baltzer, gehören der Abbau von Bürokratie und Subventionen zu den dringendsten Aufgaben des neuen Bundestages. Mehr Initiativen für Existenzgründer wünscht sich die bayrische Jungunternehmerin Birgit Papcke: Ihnen würden häufig "nur Steine in den Weg gelegt. Der Vorstands-vorsitzende des Biotech-Unternehmens Moroney AG, Simon Moroney, hält vermehrte Initiativen zur Förderung "wissensbasierter Industrien" für notwendig. Ginge es nach der ostdeutschen Unter-nehmerin Kathrin Koterewa, würde die Bundesregierung mit Reformen bei sich selber beginnen und endlich das "lean management", die schlanke Verwaltung, einführen. Zusätzlich noch ein bißchen mehr "menschliche Wärme in den Unternehmen", so Frau Koterewa, schade der Motivation "ganz und gar nicht". Bernd Burger aus dem Bereich Satelliten-Technik in Brandenburg hebt die soziale Funktion eines Unternehmers hervor und meint mit Blick auf die kommende Legislaturperiode: "Wir müssen neue Arbeitsplätze schaffen."

Große Bandbreite der Bürgerwünsche

In den Büros der neuen politischen Abgeordneten stapeln sich Briefe der unterschiedlichsten Interessenvertretungen: Der neue Bundestag dürfe das von der EU-Kommission verhängte Werbeverbot für Zigaretten nicht zulassen, die neue Regierung müsse nach brasilianischem Vorbild ein eigenes Sportministerium zur Verbesserung des deutschen Fußballs einrichten und das Parlament möge für mehr Niveau im deutschen Kinofilm sorgen. Und außerdem sollten die Volksvertreter doch bitte schön nicht auf die Idee kommen, ihre Abgeordnetenbezüge zu erhöhen, es würden wirtschaftlich schwierigen Zeiten herrschen, da sollten sie ihre Vorbildfunktion nicht vergessen.
Der Berliner Senat erwartet, daß der Umzug des neuen Parlaments von Bonn an die Spree wie versprochen zur Sommerpause 1999 stattfindet. So kann das Parlament im September 1999 seine Arbeit im Berliner Reichstagsgebäude pünktlich aufzunehmen und mit den Haushaltsberatungen beginnen. Im Gegensatz dazu besteht die Stadt Bonn darauf, daß der Umzugsbeschluß vom 20. Juni 1991 in allen Punkten genau eingehalten wird. All dies stellt nur einen kleinen Ausschnitt dar aus einem umfassenden und sehr differenzierten Bürgerwillen, der die Abgeordneten des Deutschen Bundestages täglich erreicht. Hinzu kommen Forderungen aus den Ländern, Regionen und Gemeinden sowie die Initiativen der parlamentarischen Opposition, die berücksichtigt werden müssen. So ist es nun Aufgabe des 14. Deutschen Bundestages, die unterschiedlichsten Wünsche und Vorstellungen gegeneinander auszubalancieren, um die große Bandbreite der Bürgerwünsche möglichst zufriedenstellend abzudecken.
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9804/9804034
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