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Dezember 05/1998
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Kanzler Schröder: "Soziale Gerechtigkeit wieder herstellen"

(bn) "Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben die Wählerinnen und Wähler durch ihr unmittelbares Votum einen Regierungswechsel  herbeigeführt." Das betonte der neue Bundeskanzler, Gerhard Schröder, bei seiner ersten Regierungserklärung im Deutschen Bundestag am 10. November. Jetzt erwarteten die Menschen allerdings eine bessere Politik, beschrieb Schröder die Anforderungen an die neue Regierung. Staat und Gesellschaft müßten modernisiert, soziale Gerechtigkeit wiederhergestellt und gesichert sowie das europäische Haus wirtschaftlich, sozial und politisch ausgebaut werden. Die innere Einheit Deutschlands sei voranzutreiben und die Arbeitslosigkeit zurückzudrängen. Dieses gelänge nur, indem die schöpferischen Kräfte der Menschen entfaltet würden.
Auch bräuchte man neue Unternehmen, neue Produkte, schnellere Innovationen, eine bessere Ausbildung sowie eine Steuer- und Abgabenpolitik, die insbesondere die Kosten der Arbeit entlaste. Die Startbedingungen seien alles andere als günstig gewesen, konstatierte der Regierungschef. So habe die alte Bundesregierung "kein bestelltes Haus hinterlassen". Angesichts dieser "finanziellen Erblast" müsse die neue Regierung einen entschlossenen Konsolidierungskurs einschlagen. Anstelle von Stagnation und Sprachlosigkeit wolle man eine Politik der Neuen Mitte, die niemanden ausgrenze, für Solidarität und Innovation, für Unternehmungslust und Bürgersinn stehe. Ihr großes Projekt sei die ökologische und solidarische Erneuerung der Gesellschaft und Ökonomie zu einer modernen, sozialen Marktwirtschaft.

CDU/CSU kündigt Wächteramt an

Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Wolfgang Schäuble wünschte Deutschland auch unter der Regierung Schröder eine gute Zukunft. Dabei werde seine Fraktion "das Wächteramt" kämpferisch und kritisch wahrnehmen.
Die Regierungserklärung habe ihn enttäuscht. Sie sei eine "Ansammlung von Überschriften und Absichtserklärungen". Dort, wo es um inhaltliche Substanz gehe, bliebe sie "bemerkenswert blaß".
Es ginge der neuen Bundesregierung nicht um Entlastung, sondern um eine Umverteilung. Das allerdings sei "keine Neue Mitte, sondern alte Linke".
Dem Vorwurf Schröders vom unbestellten Haus und einer angeblichen Erblast wies Schäuble zurück. Er hielt ihm stabile Preise und die niedrigste Preissteigerungsrate seit vielen Jahren, ein solides Wirtschaftswachstum, eine rückläufige Arbeitslosigkeit, niedrige Zinsen und geordnete Staatsfinanzen entgegen. Hinzu kämen weniger Kriminalität und eine höhere Aufklärungsquote sowie weniger Zuwanderung nach Deutschland. An diesen Trends werde sich die neue Regierung in Zukunft messen lassen müssen.

SPD: Kanzler ist realistisch

Peter Struck, SPD, warf Schäuble Angriffe auf die SPD-Fraktion vor. Seine "Tiraden" seien nur dadurch zu erklären, daß Schäuble die Regierungsmacht verloren habe und "selbst nicht Bundeskanzler" geworden sei. Struck betonte, er freue sich geradezu, daß sich die F.D.P. zum ersten Mal seit 29 Jahren nicht mehr in der Regierungsverantwortung befinde.
Das Vierjahreskonzept von Schröder sei sehr realistisch. Er glaube, so Struck, daß Rot und Grün hierbei das rechte Augenmaß für Kontinuität und Erneuerung gehabt hätten. Was das "Desaster der Union" angehe, so sei es nicht seine Aufgabe, Ursachenforschung zu betreiben. Die Union hätte jedoch eine Politik gemacht, die gegen die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung gerichtet gewesen sei.

Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Kerstin Müller, entgegnete Schäuble, er habe aus der Wahlniederlage offenbar nicht gelernt. Schröder habe dagegen unter "Berücksichtigung der vollen Breite der gesellschaftlichen Aufgaben" deutlich gemacht, was sich diese Regierung vorstelle. Die neue Regierung handele schon in den ersten Tagen. Ihr Eindruck sei, daß es Schäuble schwer falle, sich daran zu gewöhnen.
Am 27. September hätten sich die Wählerinnen und Wähler für eine Politik der Reformen entschieden. Es gehe um die ökologische und soziale Erneuerung Deutschlands. Dazu gäbe es keine Alternative. Zuvor jedoch, gab Frau Müller zu verstehen, müßten die "schlimmsten Altlasten" der alten Regierung, nämlich ungerechte und unsinnige soziale Einschnitte, aus dem Weg geräumt werden.

Liberale wollen flexibel sein

Für die Liberalen wünschte Wolfgang Gerhardt dem neuen Bundeskanzler Erfolg bei seiner Arbeit. Allerdings werde die F.D.P. seine Politik kritisch begleiten. Wo immer es möglich sei, werde man zustimmen, wann immer es notwendig sei, sie aber auch ablehnen.
Die deutsche Öffentlichkeit habe, so erklärte Gerhardt, nicht den Eindruck, daß mit der neuen Regierung ein Reformbündnis angetreten sei. Selbst in der Presse mache sich eine "gewaltige Enttäuschung breit". Mit der Wahl seien bei den Menschen Hoffnungen verbunden gewesen, nicht alles sollte anders, sondern einiges besser gemacht werden. Jetzt mache Oskar Lafontaine "alles anders, aber überhaupt nichts besser". Gerhardt warf der neuen Regierung vor, sie habe die deutsche Öffentlichkeit "gewaltig getäuscht".

Gregor Gysi, PDS hielt in seiner Rede fest, seine Fraktion werde die neue Regierung immer dann unterstützen, "wenn sie Verhältnisse demokratischer" gestalte und "Bürgerrechte" erweitere, wenn es mehr soziale Gerechtigkeit gebe, Friedenspolitik gemacht und Außenpolitik als "nichtmilitärische Politik" verstanden werde. Sie würden jedoch immer dann deutlich Opposition beziehen, wenn Schröder dem neoliberalen Zeitgeist nachgebe und letztlich fortsetze, was die alte Bundesregierung an "verfehlter Außen- und Innenpolitik betrieben" habe.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9805/9805017
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