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August 07/1999
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"BLICKPUNKT BUNDESTAG" STELLTE VERTRETERN AUS POLITIK, GESELLSCHAFT UND MEDIEN ANLÄSSLICH DES 50­JÄHRIGEN BESTEHENS DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES DIE FOLGENDEN FRAGEN:

Welche Beschlüsse des Deutschen Bundestages beurteilen Sie rückblickend als für die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland besonders bedeutsam? Welche Herausforderung an den repräsentativen Parlamentarismus stellt die zunehmende Pluralisierung gesellschaftlicher Interessen dar?

Rita Süssmuth
Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D.

Von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung der Bundesrepublik sind die Beschlüsse des Parlamentarischen Rates zum Grundgesetz aus dem Jahre 1949 und der Einigungsvertrag zur Wiedervereinigung Deutschlands im Oktober 1990. Das Grundgesetz bildet die Grundlage für die 50 Jahre demokratische Innen­ und Außenpolitik, Freiheits­, Friedens­, Wirtschafts­ und Sozialpolitik.

Aussenpolitisch sind von überragender Bedeutung die Entscheidungen des Bundestages über die Rückgewinnung weit gehender staatlicher Souveränität den Beitritt zu den Römischen Verträgen (1954) und die zentralen europapolitischen Beschlüsse bis hin zur Einführung des Euro den Beschluss zur Wiederbewaffnung und die Aufstellung der Bundeswehr (1956), den Beitritt zur NATO (1955), die Ostverträge (1972), die verschiedenen deutschlandpolitischen Beschlüsse zur Nichtanerkennung der DDR, der 2+4­Vertrag und das Pariser Abkommen im Juli 1990 sowie die Beschlüsse zur Osterweiterung der Europäischen Union (1992)

Innenpolitisch wurde die Entwicklung durch die Einführung und Umsetzung der sozialen Marktwirtschaft seit 1949 geprägt. Ganz maßgeblich gehört darüber hinaus die Sozialgesetzgebung, z.B.: Rentenreform (1957), Arbeitsförderungsgesetz (1969), Einführung des Erziehungsurlaubs und der Erziehungszeiten im Rentenrecht (1985), die paritätische Mitbestimmung (1982), die Gleichberechtigungsbeschlüsse (1953, 1978, 1992), die Beschlüsse zur Verlängerung der Fristen der Verjährung der in der NS­Diktatur begangenen Verbrechen (1965), die Gesetzgebung zum §218 StGB/Schutz des ungeborenen Lebens (1975, 1994 und 1996), der Einigungsvertrag zur Erlangung der staatlichen Einheit Deutschlands (1990) und der Bonn­Berlin­Beschluss aus dem Jahre 1991, dazu.

Die Pluralisierung von Werten, Normen und Interessen relativiert den Konsens über die Geltung der für alle verbindlichen Werte und Normen. Ohne einen solchen Konsens schwinden das Verständnis und die Akzeptanz des Allgemeinwohls im Verhältnis zu den Einzelinteressen. Verfällt eine Gesellschaft aber den Einzelinteressen, wird es in der repräsentativen Demokratie immer schwieriger, die Bürgerinnen und Bürger im Parlament zu vertreten. Daher ist die Verständigung und Einigung über das Allgemeinwohl unverzichtbar.

Eberhard Diepgen
Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister von Berlin

Der Deutsche Bundestag hat in fünf Jahrzehnten eine Vielzahl bedeutender Beschlüsse getroffen. Von den Weichenstellungen der fünfziger Jahre – der Ausgestaltung der sozialen Marktwirtschaft, der Einführung der Wehrpflicht, der dynamischen Rente oder der Gründung der Europäischen Gemeinschaft – bis hin zu den historischen Entscheidungen, die zur Wiedervereinigung Deutschlands führten, kommen einem auf Anhieb zahlreiche Beschlüsse in den Sinn, die das Leben in der Bundesrepublik auf positive Weise geprägt haben. Natürlich ist aus meiner Sicht der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 von besonderer Bedeutung. Berlin wird davon ebenso profitieren wie die Bundesrepublik Deutschland insgesamt.

Der Altbundespräsident Roman Herzog hat dies einmal als "wunden Punkt moderner pluralistischer Wohlstandsgesellschaften" bezeichnet und gesagt: "Das Engagement in eigener Sache ist für jeden selbstverständlich, aber der Gemeinsinn, der über das kurzfristige Nutzenkalkül des Einzelnen hinausweist, steht nicht mehr im Vordergrund unseres Denkens und ist auch in der komplizierten Gesellschaft, in der wir leben, nicht mehr auf den ersten Blick einsichtig." Der Bundestag muss immer das Gemeinwohl im Auge haben, auch wenn er über die Regelung spezieller Interessen zu befinden hat. Das ist manchmal eine schwierige Gratwanderung, aber im Großen und Ganzen ist dies bislang zumindest gut gemeistert worden.

Bärbel Diekmann
Bärbel Dieckmann, Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn

Die Auswahl ist schwierig. Dennoch aus meiner Sicht: die Zustimmung zu den Römischen Verträgen 1957, weil damit die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland fixiert wurde, die Verträge mit Polen und der Sowjetunion 1972, weil damit ein neues, zukunftsweisendes Verhältnis miteinander gefunden wurde, das in der Wiedervereinigung mündete; mit diesen Beschlüssen hängt auch das gescheiterte Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt zusammen, die Zustimmung des Bundestages 1978 zur Einführung der europäischen Währungsschlange, die den Zug nach Europa in Bewegung setzte, der mit der Zustimmung zum Maastricht­Vertrag 1992 auf die Zielgerade kam, der Vertrag über die deutsche Einigung 1990, der die menschlich schlimmste Folge des Kalten Krieges beendete, der Beschluss "Vollendung der Einheit Deutschlands (Berlin­Antrag) vom 20. Juni 1991, der mit 338 zu 320 Stimmen entschied, den Sitz des Parlaments und den Kernbereich der Regierungsfunktionen nach Berlin zu verlagern; er stellte zugleich Weichen für die "faire Arbeitsteilung" zwischen Bonn und Berlin und für die Ansiedlung internationaler Einrichtungen in Bonn, die Beschlüsse für die deutsche Unterstützung der UN­Eingreiftruppe in Bosnien 1995 und für die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Friedenstruppe im Kosovo in diesem Jahr; damit machte die Bundesrepublik deutlich, dass sie eine neue Rolle in Europa übernimmt und bereit ist, mehr Verantwortung zu tragen.

Politik heißt heute Partnerschaft und Dialog. Das bedeutet eine enge und intensive Kommunikation zwischen Bürgern und Bürgerinnen und den politisch Verantwortlichen. Repräsentativer Parlamentarismus bedeutet aber auch, dass die mit Mehrheit gewählten Volksvertreter Entscheidungen treffen müssen, die nicht jedes Partikularinteresse berücksichtigten. Die Wähler und Wählerinnen entscheiden dann bei der nächsten Wahl über die Fortsetzung oder Nicht­Fortsetzung dieser Politik.

Helmut Herles
Helmut Herles, Chefredakteur des General Anzeiger, Bonn

Alle Beschlüsse, die seit 1949 sozialen Frieden im Inneren und damit Friedensfähigkeit nach außen gestiftet haben – vom Lastenausgleich über die Rentenreformen bis hin zur Pflegeversicherung ­ gerade weil sie zunächst umstritten waren und im Fall der Rente niemals auf ganz sicheren Füßen stehen können.

Alle Beschlüsse, die die Freiheit und den äußeren Frieden bewahrt haben und damit die Fähigkeit zur Vollendung der Präambel des Grundgesetzes von 1949; Vereinigung Deutschlands und künftige Einheit Europas. Von der Einrichtung der Bundeswehr, dem Beitritt zur NATO, von der EWG zur EU, also von der Westpolitik Konrad Adenauers bis zur Ostpolitik Willy Brandts und ihrer Synthese durch den Erfolg des Bundeskanzlers Helmut Kohl mit der deutschen Einheit im sich enger zusammenschließenden Europa. Das war eben nicht nur jeweilige Kanzler­Politik, sondern es waren Entscheidungen des Bundestages, in dem die jeweilige Opposition gestaltend mitwirken konnte. So die SPD mit Helmut Schmidt und Fritz Erler bei der Wehrerfassung oder die CDU mit Rainer Barzel beim Offenhalten der deutschen Frage in den Ostverträgen.

Nicht zuletzt alle Beschlüsse und Debatten, die über den Tag hinaus geführt wurden. Vom Schutz des ungeborenen Lebens, an den Grenzfällen der Forschung und Technik bis zum Zustand der deutschen Einigung und den Entscheidungen über Berlin und Bonn, von der inneren Sicherheit (Notstandsgesetzgebung und Terrorismusabwehr) bis zur Verantwortung der wohlhabenden Bundesrepublik für die Nord­Süd­Politik oder den Einsatz der Bundeswehr zur Verteidigung der Menschenrechte.

Das ist nur ein Ausschnitt aus einer Fülle weiterer denkbarer und sinnvoller Antworten.

Mögliche Antworten:

Hermann Rudolph
Hermann Rudolph, Herausgeber des Tagesspiegel, Berlin

Die großen Richtungsdebatten über die West­ und Ostverträge in den frühen fünfziger beziehungsweise siebziger Jahren. Denn das waren ja nicht nur außenpolitische Debatten, sondern Selbstverständigungs­Debatten, in denen die Bundesrepublik sich neu­ und umgründete. Insofern waren sie auch innenpolitisch folgenreicher als die großen Auseinandersetzungen um Fragen der inneren Gestaltung – dynamische Rente, Verjährung oder Asyl.

Die zentrale Herausforderung des repräsentativen Parlamentarismus ist das Verblassen seines Grundgedankens: dass das Parlament überhaupt in der Lage und befugt ist, die Gesellschaft – das "Volk" – zu repräsentieren. Das verstand sich nie so ganz von selbst und ist ja auch ein anspruchsvoller, schwieriger Gedanke. Die zunehmende Pluralisierung schwächt dieses Grundverständnis, das den repräsentativen Parlamentarismus trägt.



Bischof Karl Lehmann
Bischof Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Dazu gehören m. E. die Grundentscheidungen für die Westbindung und die Einbeziehung Deutschlands in die europäisch­atlantische Wertegemeinschaft einschließlich des NATO­Beitritts und für die europäische Einigung sowie die Beschlüsse zur Aussöhnung mit unseren westlichen, später auch mit unseren östlichen Nachbarn, und vor allem auch zur Herstellung besonderer Beziehungen zu Israel. Innenpolitisch waren für die weitere Entwicklung besonders bedeutsam die Weichenstellungen für die Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft (u.a. Kartellgesetz 1957), für die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge (Lastenausgleichsgesetz 1952) sowie für die Herstellung der deutschen Einheit 1990.

Die Erfolgsbilanz des Bundestages könnte noch besser sein, wenn nicht manche Versäumnisse ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung unseres Landes gehabt hätten; als Beispiel nenne ich insbesondere einen unzureichenden Familienlastenausgleich. Zutiefst bedaure ich es schließlich, dass der Deutsche Bundestag noch 1995 einem Gesetz zugestimmt hat, das nicht geholfen hat, den Schutz des ungeborenen Lebens in der gebotenen Weise zu gewährleisten.

Gerade angesichts der Pluralisierung gesellschaftlicher Interessen halte ich es für überaus wichtig, dass der Grundwertkonsens und die Grundüberzeugungen, von denen unser freiheitlicher und sozialer Rechtsstaat lebt, gehütet und gewahrt werden. Dazu gehört insbesondere die unbedingte Anerkennung des Vorrangs der Menschenwürde und ihrer Unantastbarkeit. Einer besonderen Förderung bedürfen diejenigen Institutionen, die noch am ehesten Verlässlichkeit, Orientierung und Geborgenheit garantieren; ich denke dabei vor allem an die Ehe und die Familie. Von den Parlamentariern verlangt die Situation Gestaltungswillen und ­kraft. Sie müssen in überzeugender Weise dem Gemeinwohl dienen und das politisch Gebotene auch gegen den Widerstand von Partikularinteressen durchsetzen. Es fördert das Ansehen und die Akzeptanz des repräsentativen Parlamentarismus, wenn in den politischen Grundfragen im Parlament – nach durchaus kontroverser Diskussion – letztlich doch ein Konsens hergestellt wird. Schließlich gilt es, die Bürger vermehrt in den politischen Diskurs einzubeziehen, ohne der Versuchung populistischer Anpassung zu verfallen.

Präses Manfred Kock
Präses Manfred Kock, Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Von herausgehobener Bedeutung für die Entwicklung und Festigung unseres demokratischen Gemeinwesens sind für mich die Beschlüsse des Deutschen Bundestages zu Europa, zur Westintegration, zur Wiederbewaffnung, die Ostverträge und natürlich die Beschlüsse zur Wiederherstellung der deutschen Einheit.

Ich sehe die Notwendigkeit, dass einer Reihe von Menschen hierzulande erst einmal das Funktionieren des repräsentativen Parlamentarismus besser erklärt werden muss. Denn nur dann werden sie Verständnis für dieses System aufbringen und bereit sein, sich in ihm auch zu engagieren.

Eine andere Frage ist: Wie viel direkte Beteiligung der Staatsbürger, beispielsweise in Gestalt von Volksbefragungen und Volksentscheiden, verträgt sich mit dem repräsentativen Parlamentarismus? Der Prozess der politischen Willensbildung – Herzstück einer freiheitlichen Demokratie – muss über die bekannten Formen des politischen Engagements hinaus lebendiger gestaltet werden. Bürgerbeteiligung und Bürgernähe haben große Bedeutung für unser Gemeinwesen. Demokratie darf keine Expertenangelegenheit sein, sie muss im besten Sinne populär gemacht werden, damit sie funktionieren kann und ihre Legitimation unbestritten bleibt.

Wie gehen unsere Staatsbürger mit dem Parlamentarismus um, wenn sie mit den parlamentarisch getroffenen Entscheidungen nicht einverstanden sind? Ich halte es für problematisch, dass die Atomisierung gesellschaftlicher Interessen dazu führt, dass unterlegene Minderheiten eine Verweigerungshaltung einnehmen, wie sie in einer bestimmten Phase der Auseinandersetzung politisch sinnvoll sein kann. Der demokratische Grundkonsens gerät in Gefahr, wenn die Berechtigung von Regelverletzungen daraus abgeleitet wird, dass die je eigenen Interessen sich auf dem parlamentarischen Weg nicht hätten durchsetzen lassen. Dagegen wäre zu wünschen, dass auch eine Abstimmungsniederlage, so schmerzhaft sie in der Sache sein mag, für die Verlierer immer noch als ein Sieg der Demokratie wahrnehmbar bleibt. Derzeit scheint unser parlamentarisches System jedoch genügend gefestigt, um einzelnen Belastungsproben gewachsen zu sein.

Schließlich möchte ich hervorheben: Es gehört zur Stärke des repräsentativen Parlamentarismus, wie er mit Herausforderungen und Krisen umgeht. Da gibt es ermutigende Zeichen. Sie machen deutlich, dass wir mit diesem System in unserem Land nicht nur auf dem richtigen Weg, sondern bereits eine gute Strecke vorangekommen sind.

Ignaz Bubis
Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland

Der entscheidende Beschluss war die Annahme des Grundgesetzes in der Form, welche die Entwicklung der repräsentativen Demokratie ermöglicht hat und sich in 50 Jahren Bundesrepublik Deutschland auch stets bewährt hat.

Es gibt sicherlich eine ganze Reihe von weiteren richtungsweisenden Beschlüssen. Hervorheben will ich jedoch insbesondere den über die deutsche Einheit, der gerade jetzt bei der Konsolidierung des Zusammenlebens bzw. bei der Verwirklichung dieser Einheit von entscheidender Bedeutung ist.

Hakki Keskin
Hakki Keskin, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland

Wenn ich nach den Beschlüssen des Deutschen Bundestages gefragt werde, welche die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig beeinflusst haben, so fallen mir spontan zwei Ergebnisse ein:

Uneingeschränkt positiv beurteile ich die "Ostverträge" unter der Kanzlerschaft von Willy Brandt. Gegen den erbitterten Widerstand der Unionsparteien setzte die sozial­liberale Koalition Anfang der 70er Jahre der so genannten "Hallstein­Doktrin", die von Adenauer bis Kiesinger auf Isolierung der DDR setzte, den Dialog über die Systemgrenzen hinweg, den "Wandel durch Annäherung" entgegen. Historisch betrachtet hat sich diese Sicht als richtig erwiesen. Es war die Politik Willy Brandts, die dafür sorgte, dass demokratische Ideale langsam aber unaufhaltsam den "Eisernen Vorhang" durchdrangen und schließlich zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten und zum Zusammenbruch der Sowjetunion führten.

Äußerst problematisch beurteile ich hingegen die Änderung von Art. 16 GG. Vor dem Hintergrund wachsender Asylbewerberzahlen gab Deutschland seine eigene Geschichte preis, indem es die Erfahrungen der Nazi­Diktatur, aufgrund derer die "Väter des Grundgesetzes" 1949 eine der weltweit liberalsten Asylgesetzgebungen geschaffen hatten, beiseite schob und einer opportunistischen "das Boot ist voll"­Mentalität das Wort redete. Insbesondere die im Vorfeld dieses Beschlusses vom 26. Mai 1993 geführte Diskussion zwischen den Parteien gab den rechtsradikalen Kräften in Deutschland großen Auftrieb. Ohne diese Monate andauernder Diskussion wäre es meines Erachtens nicht zu den Ereignissen von Hoyerswerda und Rostock gekommen, wo Anwohner dem rechtsradikalen Mob applaudierten.

Dieter Hundt
Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände

Für mich hat die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu den "Römischen Verträgen" und damit zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) am 5. Juli 1957 herausragende Bedeutung. Diese Entscheidung steht für die Einbindung Deutschlands in die westliche Wertegemeinschaft und hat zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungskraft und damit letztlich auch zur Erfolgsgeschichte der zweiten deutschen Demokratie in hohem Maße beigetragen. Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Europäischen Währungsunion 1998: mit der Einführung des Euro ist eine neue Stufe des europäischen Zusammenwachsens erreicht.

Verbände sind ein konstitutiver Bestandteil der Demokratie: Ohne die pluralistische Vielfalt der Interessengruppen kann die demokratische Ordnung gar nicht bestehen. Hinter der Generalkritik an den Interessenverbänden versteckt sich oft das Missverständnis eines "durchgreifenden" Obrigkeitsstaates. Die Politik entsteht im Prozess; sie tut gut daran, sich bei den Verbänden zu informieren, sich zu beraten und dadurch schließlich eine größere Legitimation ihrer weit reichenden Entscheidungen zu erzielen.

Dieter Schulte
Dieter Schulte, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Zu den großen Weichenstellungen zähle ich die Westintegration, den Wandel durch Annäherung an Osteuropa, die Europäische Union und schließlich die Wiedervereinigung. Für die innere Ordnung sind aus gewerkschaftlicher Perspektive der Sozialstaat, die Mitbestimmung, die Betriebsverfassung und die Tarifautonomie zentral.

Die Herausforderung besteht meines Erachtens darin: Es genügt nicht mehr, politische Beschlüsse zu fassen und sie anschließend als gut und vernünftig darzustellen. Die Öffentlichkeit muss von Anfang an über den Entscheidungsprozess informiert und so weit wie möglich mit einbezogen werden. Gesetze werden nie Beifall von allen Seiten bekommen, aber alle müssen das sichere Gefühl haben, dass ihre Belange in den Beratungen ernsthaft bedacht wurden.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9907/9907060a
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