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Mai 05/2001
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Titelthema

Abgeordnetenbüros - Teamarbeit im Verborgenen

Ein Abgeordneter wird gewählt, setzt sich unter den Bundestagsadler, hört sich Reden an – und das war's? Oft wird die Arbeit der Volksvertreter mit den Sitzungen im Plenarsaal gleichgesetzt. Diese Debatten sind zwar wichtig, aber sie stellen nur einen winzigen Bruchteil der Abgeordnetenaufgaben dar. Die Politiker arbeiten sich in komplizierte Fachfragen ein, bilden sich in Arbeitsgruppen der Fraktionen und in Ausschüssen des Parlamentes ihre Meinung, holen sich Rat von Wissenschaftlern und Beteiligten, verhandeln mit der Bundesregierung und den Bundesländern und kümmern sich last not least um ihre Heimat, ihren Wahlkreis. Das ist so viel, dass es ein Einzelner allein gar nicht bewältigen kann. Deshalb braucht jeder Abgeordnete Mitarbeiter. Und weil jeder Mensch auf dieser Welt anders ist, organisiert auch jeder Politiker seine Arbeit anders. Blickpunkt Bundestag schaute sich in einigen Abgeordnetenbüros um: Wie funktionieren diese wenig bekannten Arbeitseinheiten, die zwar im Verborgenen wirken, ohne die der gesamte Parlamentsbetrieb aber kaum denkbar wäre?

Hefter und Ordner

Grundsätzlich ist jeder Abgeordnete frei in seiner Entscheidung, wie er das Geld für seine Helfer verwenden will: Ob er sich dafür eine einzelne herausragende Spitzenkraft leistet, es durch zwei teilt oder ob er ein halbes Dutzend studentische Teilzeitkräfte davon beschäftigt. Hauptsache, der Etat stimmt am Ende. Aber nicht nur für sein persönliches Mandat erhält er Hilfe. Wer besondere Aufgaben übernommen hat, etwa als Ausschussvorsitzender, erhält auch besondere Unterstützung. Und in den Fachthemen arbeiten dem Abgeordneten außerdem noch fachlich geschulte Fraktionsmitarbeiter zu. Aber auch das ist von Fraktion zu Fraktion unterschiedlich und hat damit zu tun, ob sie groß oder klein, in der Regierung oder in der Opposition ist.

Büroklammern

Wie solch ein Team entsteht, ist auch ganz verschieden, meist eine Mischung aus Planung und Zufall. Als Grietje Bettin für Bündnis 90/Die Grünen vergangenes Jahr in den Bundestag nachrückte, war sie froh, das Sekretariat ihres Vorgängers schon besetzt zu finden. Barbara Grasemann wusste, wie der Hase läuft. Ein unschätzbarer Vorteil für alle, die neu im parlamentarischen Geschäft sind. Das war neben der Abgeordneten selbst vor allem Thomas Peick, der mit Bettin schon seit Jahren in Schleswig-Holstein zusammen arbeitete, mit ihr Wahlkämpfe bestritt, ihren politischen Weg mal mehr oder weniger nah begleitet hatte. Und der mit ihr nun als Persönlicher Referent die Arbeit in Berlin organisiert.

Diese Organisation begann im April 2000 mit unzähligen Fragen: Was bedeutet das störende Klingeln im Flur? (Das ist der Ruf zu einer namentlichen Abstimmung im Plenum.) Wie erfahre ich von den Sitzungen, an denen meine Abgeordnete teilnehmen soll? Wie kann ich über das bundestagsinterne Computersystem am besten Themen recherchieren? Wie finde ich mich in die Strukturen ein, die sich in der Fraktion, in den Ausschüssen, im Parlament gebildet haben? Wie definieren wir "unser" Thema, bei Bettin sind es vor allem die "Neuen Medien", in Konkurrenz zu den benachbarten Themen, um die sich andere Abgeordnete kümmern?

Büro Grietje Bettin (rechts): Mitarbeiterbesprechung.
Büro Grietje Bettin (rechts): Mitarbeiterbesprechung.

Viele Fragen. Aber das Team um Bettin ist gewohnt, die Antworten gemeinsam zu suchen. Früher ging es um die Aktivitäten der grünen Jugend in Schleswig-Holstein, heute ist die Mitgestaltung der Medienlandschaft in der Bundesrepublik das Thema. Da müssen viele Auskünfte eingeholt, Initiativen abgestimmt, Trends in den einzelnen Bundesländern beobachtet werden. Bettin ist zwar neu in Berlin, aber ihr Büro funktioniert nach alt bewährten Prinzipien. "Das ist eine seit langem gewachsene Kommunikation", unterstreicht Bettin. Auch Oliver Passek, der als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Berlin hinzukam, und Björn Pistol, der die Arbeit im Wahlkreis koordiniert, kannten Bettin und Peick von früheren Parteitreffen. Es sei zwar ein wenig übertrieben formuliert, findet Bettin, aber "im Grunde haben wir jetzt die idealen professionellen Strukturen für das gefunden, was wir früher in unserer Freizeit gemacht haben".

Klarsichthülle

Nicht ganz unbeleckt von parlamentarischer Büro-Organisation war auch Detlef Parr, als er 1994 für die FDP erstmals in den Bundestag einzog. Auch er ersetzte einen ausscheidenden Abgeordneten mitten im laufenden Geschäft, musste also ebenfalls "von heute auf morgen von null auf hundert" kommen. Obwohl Parr zuvor selbst als Referent im Düsseldorfer Landtag gearbeitet hatte, war er doch heilfroh, erfahrenen Rat zu haben, von einem "alten Fuchs ans Händchen genommen" zu werden. Daran vermochte Parr auch anzuknüpfen, als er nun in Berlin neu anfing und mit Gabriele Hauser-Allgaier als Referentin sowie Hanna Daberkow fürs Sekretariat seine "Visitenkarte" fand. Auf die Ausschreibung im Internet hatte er über 150 Bewerbungen erhalten. Viele möchten hinter die Kulissen des Parlamentsbetriebes blicken, kräftig mit anpacken, dass der Laden läuft.

Parr kann es auch noch flotter formulieren: "Wir machen das Chaos griffig." Am Anfang stand für ihn und sein Büro die Einarbeitung in ein neues Thema, die Gesundheitspolitik. "Das war Knochenarbeit." Aber nun ist Alltag eingekehrt. Und das bedeutet für Hauser-Allgaier zum Beispiel die Durchsicht Dutzender von Faxe und E-Mails, die sich schon auf ihrem Schreibtisch und in ihrem PC türmen, wenn sie morgens das Büro betritt. "Manchmal landen hier regelrechte Mail-Bomben." Auf dem Gesundheitssektor finden sich viele Interessenverbände, die zu jeder politischen Entscheidung gerne die Basis mobilisieren und die Abgeordneten mit Eingaben regelrecht unter Beschuss nehmen. Da wird das Büro auch zum Schutzwall.

Büro Detlef Parr: Telefonieren, Faxen, Mailen.
Büro Detlef Parr: Telefonieren, Faxen, Mailen.

Wer vorgefertigte Massenappelle an die Abgeordneten verschickt, bekommt eine Standardreaktion. Wer individuell seinen Volksvertreter anschreibt, erhält auch eine individuelle Antwort. Ein weiterer Job für Hauser-Allgaier: der Kontakt zu den Medien. "Man muss ja auch stattfinden in der veröffentlichten Meinung", erläutert Parr. Und so geht die Freude durchs gesamte Büro, wenn eine Pressemeldung im Blätterwald Niederschlag fand, der FDP-Abgeordnete Parr etwa mit seiner Sicht zur Handy-Strahlung registriert wurde. Sitzungsvorbereitung, Materialsichtung, Einzelrecherche. Dafür gehen viele Stunden drauf. Und für das Termin-Management. Mitunter fallen vier, fünf oder gar sechs Verpflichtungen gleichzeitig an, bei denen der Abgeordnete eigentlich Präsenz zeigen sollte. "Wenn wir Herrn Parr klonen könnten, hätten sämtliche Klone täglich mehr als genug zu tun", meint Hauser-Allgaier.

Ordner aus der Innenansicht

"Ich stöhne nicht darüber, aber zwischen 8 und 23 Uhr sind wir immer verplant", sagt auch der CDU-Abgeordnete Werner Lensing. Und damit meint er nicht einen Termin am Morgen und einen am späten Abend. Das geht manchmal im Zehn-Minuten-Takt. Welche Themen stehen im Forschungsausschuss an? Was kommt auf den Verteidigungspolitiker Lensing zu? Wie geht es weiter bei der Bio-Ethik, wofür Lensing Sprecher seiner Fraktion in der Enquete-Kommission ist. Welche der Interviewanfragen an Lensing als Sprecher der interfraktionellen Initiative zum Nichtraucherschutz können in der Mittagszeit angenommen werden? Wann muss Lensing im Bundestag sein, wo die Regierung gerade seine Anfrage beantwortet? Was behandelt der Stiftungsrat der Stiftung Deutsche Friedensforschung, in der Lensing als Abgeordneter mitwirkt. Und während er von 15 bis 17 Uhr im Plenum seinen Dienst als Schriftführer verrichtet, ist in seinem Büro schon die Einladung zu einer spontan einberaumten Beratung über die Medizin-Ethik eingetroffen. Und so weiß er, dass er die Karten für die Theateraufführung am Abend einmal mehr vergessen kann. Fazit: "Ich könnte mein Mandat verantwortlich nicht ausüben, wenn ich nicht qualifizierte Zuarbeiter hätte."

Qualifizierte Zuarbeit. Das leistet zum Beispiel Ute Ahlberg. Sie jongliert permanent mit den Terminen, arbeitet die Postberge durch, die mehrfach täglich eintreffen und organisiert die sonstigen Abläufe – zum Beispiel die Betreuung der Besuchergruppen.

Büro Werner Lensing: qualifizierte Zuarbeit.
Büro Werner Lensing: qualifizierte Zuarbeit.

Das können pro Jahr auch schon einmal 2.000 Westfalen sein, die "ihren" Abgeordneten in der Hauptstadt sehen wollen. Und auch ohne Dietmar Niedziella wäre Lensings Arbeit kaum denkbar. Als ehemaliger Zeitsoldat und Student der Staatswissenschaften an der Bundeswehrhochschule passt er ideal zum Arbeitsfeld Lensings, zieht für seinen Chef in konzentrierter Form zusammen, was der für seine Fachberatungen braucht. "Das geht hier um 8 Uhr jeden Morgen los und endet regelmäßig im Open End", sagt Niedziella. Sein Profil: Allrounder. "Meistens weiß man morgens noch nicht, was einen mittags oder abends erwartet." Aber es hat für ihn einen ganz besonderen Reiz, "als ganz kleines Rädchen an dem ganz Großen hier mitzudrehen und dabei vielleicht doch das eine oder andere bewirken zu können."

An der Art, wie der Abgeordnete sein Büro organisiert, lässt sich mitunter auch sein politischer Werdegang ablesen. Zum Beispiel bei Rolf Niese. Der Hamburger SPD-Abgeordnete hatte schon einen reichen Erfahrungsschatz als Kommunal- und Landespolitiker, als er 1987 in den Bundestag gewählt wurde. Ob Mitglied der Bürgerschaft oder Fraktionschef in Bergedorf, er hatte diese Aufgaben gewissermaßen "nach Feierabend" bewältigt. Jede Sitzung bereitete er selbst vor, jeden Antrag setzte er selbst auf, jeden Brief beantwortete er selbst. Das prägt. Und so kann er es sich nicht anders vorstellen, als die Bereiche des Bundeshaushaltes, für die er nun die Berichterstattung übernommen hat, selbst mit spitzem Bleistift Posten für Posten durchzuprüfen. Aber um dann sämtlichen Fragen nachzugehen, die sich daraus ergeben, greift auch er gerne auf qualifizierte Hilfe zurück. Kay Wahlen ist dies, und der wollte "schon immer denen über die Schulter schauen, die die Entscheidungen treffen". Deshalb hat er über Praktika schon bei der Hamburger Bürgerschaft reingeschnuppert, bei der Europäischen Union, bei den Vereinten Nationen. Und nun ist er bei einem Haushaltspolitiker gelandet. Also dort, wo das Parlament seine Kernkompetenz ausspielt.

buntes Schubladenelement

Auch Niese hat sich am Anfang von einem erfahrenen Mitarbeiter helfen lassen, "der schon gut wusste, wie die Kiste hier läuft". Dessen Nachfolger Wahlen hat sich schnell an die spezifische Arbeitsweise seines Chefs gewöhnt. Die "Kernarbeit" macht Niese eben selbst. Es gibt keine Terminzusage, zu der er nicht selbst sein Okay gegeben hat. Auch sämtliche Post will Niese sehen. Zumindest sehen. "Ich will wissen, was hier landet." Meistens reist der Hamburger schon sonntagsabends in die Hauptstadt, der Montag ist dann bei ihm klassischer Bürotag. Es wird gesichtet – und zusammen mit dem Mitarbeiter gewichtet. Der Kontakt mit einem weiteren Mitarbeiter im Wahlkreisbüro ist durch elektronische Verknüpfung garantiert. So hat der Abgeordnete grundsätzlich Zugriff auf seine Berliner Dokumente auch von seinem Wahlkreis aus. Aber meistens greift man zum Telefon oder bedient das Fax. Klare Aufgabentrennung zwischen Bundestags- und Wahlkreisbüro erleichtert bei Niese die Abwicklung. "Deswegen brauchen wir auch kaum Datenaustausch zwischen Hamburg und Berlin." Und mittlerweile kommt der Abgeordnete auch mit der elektronischen Bürohilfe, der Recherche per Internet oder Intranet, selbst immer besser klar. "Letztens war er sogar schon einmal schneller als ich", lobt Wahlen.

Büro Rolf Niese: Der Mitarbeiter kennt die Arbeitsweise des Chefs.
Büro Rolf Niese: Der Mitarbeiter kennt die Arbeitsweise des Chefs.

Zu den Grundvoraussetzungen, die die Mitarbeiter mitbringen müssen, gehören nicht nur schnelle Auffassungs- und Organisationsgabe, gehört nicht nur eine Persönlichkeit, durch die "die Chemie stimmt". Es sollten auch schon verwandte politische Einstellungen da sein. "Sonst wird der Mitarbeiter nicht glücklich", meint Niese. Im Team müsse nicht jeder alles gleich sehen, unterschiedliche Auffassungen im Detail befruchteten eher die Diskussion und führten oft zu neuen, interessanten Ideen. "Aber es sollte schon die gleiche Couleur sein."

Kein Wunder also, dass sich Andreas Keller, der sich in Marburg mit "linker, emanzipatorischer Hochschulpolitik" befasste, nun als Referent bei der PDS wohl fühlt. Er kümmert sich hier um die Hochschulpolitik, sein Referentenkollege Peer Kösling, der in der DDR eine Uni-Laufbahn absolvierte, um die Bildungs- und Kulturpolitik. Sie sind die wesentlichen Teile der fachlichen Unterstützung für die PDS-Abgeordnete Maritta Böttcher. Ihre persönliche Mitarbeiterin ist Adelaide Grützner. Sie hatte durch ihren Mann, der in einem Wahlkreisbüro arbeitete, schon einen gewissen Einblick in die parlamentarischen Büroabläufe. "Aber hier ist es doch ganz anders." An der Basis sei der Kontakt mit den Bürgern und Wählern wesentlich direkter, in Berlin müsse man "vieles mehr in Strukturen übersetzen".

Büro Maritta Böttcher: Die Chefin setzt auf Teamarbeit.
Büro Maritta Böttcher: Die Chefin setzt auf Teamarbeit.

Das Böttcher-Team bereitet gerade eine Klausur der PDS-Arbeitsgruppe aus dem weiten "Kultus"-Feld vor. Abgeordnete, Persönliche Mitarbeiter und Fachreferenten werden dort außerhalb der festen Büroabläufe mit externem Sachverstand den Kulturföderalismus unter die Lupe nehmen – und neben Impulsen für die politische Arbeit sicher wieder ein noch stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl von dort mitbringen. "Wir kommen in unserer Arbeit nur voran, wenn wir uns gegenseitig aufeinander verlassen können", sagt Böttcher. Deshalb kehrt sie auch selten die Chefin heraus. "Ich bin doch nur in dieser Rolle, weil auch meine Mitarbeiter einen erfolgreichen Wahlkampf gemacht haben. Im Grunde könnte es auch andersherum sein." Die Philosophie aller Abgeordneten, gleich wie unterschiedlich ihre Büros organisiert sind, bringt sie auf einen gemeinsamen Punkt: "Wir ziehen als Team an einem Strang."

Gregor Mayntz

 

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0105/0105004
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