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Mai 05/2001
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ÖFFENTLICHE ANHÖRUNG ZUM VERSAMMLUNGSGESETZ

Verfassungsrechtler äußern Bedenken gegen Gesetzentwurf der Union

(in) Bedenken von rechtswissenschaftlichen Sachverständigen mit Blick auf einen von der Fraktion der CDU/CSU vorgelegten Gesetzentwurf zum Versammlungsgesetz ( 14/4754) prägten eine öffentliche Anhörung des Innenausschusses am 16. Mai.

Während sich für Fragen zur praxisorientierten Umsetzung Eckart Werthebach, Senator für Inneres des Landes Berlin, Horst Reif für den Oberbürgermeister von München, Hans Schulze, Polizeipräsident Dortmund, und Heinz Kiefer, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, zur Verfügung gestellt hatten, hatten die Rechtswissenschaftler ihre Einschätzung aus rechtlicher und verfassungsrechtlicher Sicht auch als schriftliche Stellungnahme vorgelegt.

Professor Markus Heintzen von der FU Berlin erläutert in seiner Gesamtbewertung, der Gesetzentwurf sei untauglich, das in den beiden Kernpunkten genannte Problem – Verschärfung des Versammlungsgesetzes und befriedete Bezirke – zu lösen.

Die benannten Probleme ließen sich bereits nach geltendem Recht in rechtlich zulässigem und gebotenem Umfang erreichen. Der Entwurf stelle dagegen in Teilen sogar einen illiberalen Fremdkörper im Versammlungsrecht dar, wenn außenpolitische Interessen der Bundesrepublik erstmals als Argument zur Beschränkung von Kommunikationsfreiheit eingesetzt würden.

Rechtslage verkompliziert

Ein Versuch, die Kollision mit dem Grundgesetz durch verfassungskonforme Auslegung von Rechtsbegriffen zu vermeiden, ändere nichts an der geltenden Rechtslage, sondern mache sie nur komplizierter.

Professor Heinrich Amadeus Wolff von der Universität München bezieht sich mit seiner Stellungnahme allein auf die verfassungsmäßige Bewertung der Vorlage. Ob der Gesetzentwurf notwendig, geeignet oder der Beste zur Erreichung eines bestimmten Zieles oder im Sinne der politischen Vernunft sei, sei von einem Verfassungsjuristen nicht zu entscheiden: Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Entwurf bestünden nicht.

Für Professor Ulli Rühl von der Universität Bremen öffnet die Weite des Ermächtigungsrahmens verfassungsrechtliche Bedenken, wenn "im Grundsatz alle öffentlichen Einrichtungen mit befriedeten Bezirken umgeben und zu demonstrationsfreien Zonen erklärt werden könnten".

Vordergründige Zielsetzung

Dafür gebe es keinen rechtfertigenden Verfassungsrahmen, denn jede Behörde und jedes Gericht sei bereits eine öffentliche Einrichtung. Zwar ziele der Entwurf vordergründig nur auf rechtsextremistische und neonazistische Demonstrationen, die verfassungsrehtliche Beurteilung könne aber nicht davon absehen, dass die Regelung generell formuliert ist und damit alle Demonstrationen einer Genehmigung unterwerfe.

Eine Prüfung auf Vereinbarkeit mit nationaler Würde oder historischer Bedeutung laufe praktisch darauf hinaus, das politisch-inhaltliche Anliegen einer Demonstration zu bewerten. Dies stelle einen schwerwiegenden Eingriff in das Zentrum des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit dar und kollidiere auch mit dem Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes.

Professor Martin Kutscha von der Fachhochschule für Verwaltung in Berlin legt dar, eine staatliche Inhaltskontrolle von Versammlungen oder Demonstrationen werde von der Verfassungsrechtssprechung aus guten Gründen nur in ganz engen Grenzen zugelassen.ûDer Entwurf wolle diese strikte Grundrechtsposition offenbar zurückdrängen und dem Versammlungsrecht die "vormundschaftlichen Züge" vorkonstitutioneller Zeit verleihen. Eine entschiedene Bekämpfung des Neonazismus sei zweifellos notwendig – aber nicht durch massive Einschränkung elementarer demokratischer Grundrechte. Eine demokratische Verfassung könne nicht durch Selbst-Amputation verteidigt werden.

Ralf Poscher, wissenschaftlicher Assistent der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin, betont, beide Verbotsgründe, die der Gesetzentwurf neu anführe, seien mit der grundgesetzlich geforderten Meinungsneutralität nicht vereinbar. Dieser Grundsatz sei auch bei staatlichen Eingriffen in die Versammlungsfreiheit zu beachten.

Abweichung vom Grundgesetz

Ein zum Schutz der Belange der Bundesrepublik geltender Versammlungsverbotsgrund des Gesetzentwurfes weiche offen von der grundgesetzlich geforderten Meinungsneutralität und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ab. Regelungen zur Befriedung von öffentlichen Einrichtungen oder Orten mit herausragender Bedeutung würden gegen die vom Grundgesetz geforderte Meinungsneutralität verstoßen.

Professor Christoph Gusy von der Universität Bielefeld, verweist auf die kontroverse Beurteilung in den aktuellen Diskussionen um das geplante NPD-Verbot. Dies stütze sich darauf, dass die NPD und ihre Aktivitäten nicht Teil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung seien und den aktiven Kampf gegen diese Demokratie betrieben.

Eine Einordnung dieser Formen in das offene und lückenhaft geltende Versammlungsrecht bereite schon jetzt erhebliche verfassungs- und ordnungsrechtliche Probleme.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0105/0105066
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