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10/2001
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Interview

Krieg gegen den Terrorismus

Was macht Europa?

Vizepräsidentin Anke Fuchs im Gespräch

Martin Schulze: Europa steht zurzeit Seite an Seite mit den Amerikanern im Krieg gegen die Terroristen und ihre Helfer in Afghanistan. Sollte Europa dabei eine aktivere Rolle spielen?

Anke Fuchs: Ja, wir müssen eine aktivere Rolle spielen, weil es darauf ankommt, dass wir nicht ausschließlich militärisch denken, sondern nach einer politischen Lösung suchen. Da kann Europa eine besondere Rolle spielen. Die EU muss sich zusammenraufen, auch in dieser schwierigen Zeit mit einer Stimme sprechen und selbstbewusst ihre eigenen Vorstellungen vertreten.

Der ehemalige ARD-Korrespondent Martin Schulze interviewt Anke Fuchs.

Der ehemalige ARD-Korrespondent Martin Schulze interviewt Anke Fuchs.

Bis zum 11. September hatte sich Europa ein wenig von Amerika emanzipiert. Jetzt ist der Atlantik wieder enger geworden. Entsteht eine neue Abhängigkeit zwischen Amerika und Europa?

Nein, ganz im Gegenteil. Wir haben jetzt gemeinsame Herausforderungen, um den Terrorismus zu bekämpfen, aus Solidarität gegenüber Amerika, aber auch zur Verteidigung unserer eigenen Freiheit. Und wenn diese Gefahren vorbei sind, dann wird es wieder um andere Fragen gehen. Zum Beispiel: Wie halten wir es mit dem Weltklimaschutz, dem Kyoto-Protokoll? Welche Wertegemeinschaft wollen wir? Und da wünsche ich mir, dass Europa kritische Dialoge mit Amerika entwickeln kann. Wir haben ja zum Teil unterschiedliche Wertvorstellungen.

Welche eigenen Werte repräsentiert Europa?

Ich sag's mal in meiner alten Sprache: Ich will keinen Kapitalismus pur. Und ich will keinen freien Welthandel, ich will einen fairen Welthandel. Wenn Europa mit einer Stimme spricht, werden internationale Organisationen wie zum Beispiel die Welthandelsorganisation oder die Internationale Arbeitsorganisation sich ändern und auch soziale Kriterien und Umweltfragen einbeziehen müssen. Ich möchte auch, dass der Internationale Währungsfonds von uns getrieben wird, soziale Aspekte in die Finanzpolitik einzubringen. Das ist eine sehr europäische Frage, jedenfalls etwas anderes, als viele Amerikaner sich vorstellen.

Wie soll Europa mit einer Stimme sprechen, wenn die Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich wachsen?

Ich habe andere Beobachtungen gemacht. Wir treffen uns als Präsidium des Deutschen Bundestages jährlich mit dem Präsidium der französischen Nationalversammlung. In den drei Jahren, die ich dem Präsidium angehöre, habe ich gespürt, dass die französischen Abgeordneten ihren Weg nach Europa jetzt konsequenter gehen. Die Franzosen wollen mit uns enger zusammenarbeiten, als ich mir das vor Jahren vorstellen konnte.

Könnte es sein, dass jetzt die Stunde der Parlamentarier gekommen ist, die untereinander eine Solidarität organisieren, wo sich die Regierungen noch immer misstrauen?

Wir sind ja Abgeordnete, die viel reisen, was ja manchmal zur Kritik führt. Aber ich glaube, dass die häufigen Kontakte zu den Parlamenten gerade der europäischen Länder schon etwas bringen. Die Parlamentarier haben sich schon ein Netzwerk geschaffen. Jetzt geht es darum: Wie schaffen wir es, dass die Menschen in Europa diesen Weg mitgehen?

Finden Sie in der Tat, dass es eine gute Idee ist, derzeit die europäische Einigung voranzutreiben und zu vertiefen, wo verschiedene Nationen, zum Beispiel Frankreich, in ihrem Nationalstolz tief verletzt sind?

Ich sage, das europäische Zusammenwachsen ist eine Entwicklung, die unter anderem durch die gemeinsame Währung unumkehrbar geworden ist. Das Wichtigste ist, dass es keinen Stillstand gibt. Die Franzosen werden – soweit noch vorhanden – aus Nationalismus Patriotismus machen. Wir können uns und unseren Nachbarn nicht ersparen, dass sie auch in ihren Köpfen und Herzen den Weg nach Europa gehen. Ein bisschen weniger Nationalismus ist schon richtig. Das verstehe ich unter Vertiefung der europäischen Einigung.

Soll am Ende dieser Entwicklung eine gemeinsame europäische Regierung stehen?

Ich bin da noch nicht sicher. Ich glaube, das muss man jetzt nicht entscheiden, sondern wir sollten die Entwicklung weitergehen lassen. Das Wichtigste ist, dass die Entwicklung die Völker und die Menschen zusammenbringt, die Zukunft friedlich gestaltet wird und Wohlstand für alle bringt.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0110/0110084a
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