Mit 10,2 Milliarden Euro ist Sachsen-Anhalts jährliches Haushaltsbudget bundesweit vergleichsweise gering. Eigentlich - so könnte man meinen - spielen da 40 Millionen Euro mehr oder weniger kaum eine Rolle. Doch im Bundesland zwischen Elbe und Harz gibt es mächtigen Streit um diese 40 Millionen, weil es Kosten für Kinderbetreuung sind (siehe auch "Das Parlament" Nr. 38/2004).
Während die Landesregierung von einer bundesweit vorbildlichen Kinderbetreuung spricht, sammelte eine Initiative "Bündnis für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt" immerhin 260.588 gültige Stimmen gegen das im März 2003 beschlossene Kinderbetreuungsgesetz. Im Landtag stellte sie ihrer Meinung nach einen "besseren" Gesetzentwurf als direkten Bürgerwillen vor, den jeder zehnte Sachsen-Anhalter mit seiner Unterschrift unterstützt hatte.
In der Folgezeit aber gab es zwischen Regierung und Volksinitiative keine Einigung, viele Debatten jedoch keinen Kompromiss. Am 23. Januar wird es nun zu einem Volksentscheid kommen, dem ersten in der Geschichte dieses Landes.
Probleme für den Finanzminister
Für oder gegen das gültige Gesetz zur Kinderbetreuung sollen die 2,2 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben. Sie wissen, dass im Land gegenwärtig eine Regelung besteht, die einen Rechtsanspruch auf einen zehnstündigen Ganztagsplatz bereits von Geburt an und bis zum Übergang in den siebten Schuljahrgang sichert, wenn die Eltern erwerbstätig, in der Aus- oder Weiterbildung seien. Nun sollen sie entscheiden, ob künftig auch wieder Kinder nicht erwerbstätiger Eltern eine Ganztagsbetreuung erhalten sollen. Oder ob sie - wie es das gegenwärtig bestehende Gesetz bei Einsparung von eben jenen 40 Millionen Euro vorsieht - nur noch einen Rechtsanspruch auf eine Betreuungszeit in Kindergärten und Krippen von lediglich fünf Stunden pro Tag haben.
Schon hat sich in der Landeshauptstadt eine Gruppe zusammen gefunden, die auf Plakaten ein "Nein" beim Volksbegehren fordert. Sie gehört zu den Befürwortern, die meinen, es müsse arbeitslosen Eltern möglich sein, ihre Kinder halbtags in der eigenen häuslichen Umgebung zu betreuen.
Kippen jedoch die Sachsen-Anhalter das jetzige Gesetz, hat Finanzminister Karl-Heinz Paqué (FDP) ein Problem. Noch kurz vor Weihnachten hatte er bei der Verabschiedung des ersten Doppelhaushalts 2005/2006 in Sachsen-Anhalt von "einer konsequenten Fortsetzung der Konsolidierungspolitik dieser CDU/FDP-Landesregierung" gesprochen. Wohl kein Bundesland in Deutschland würde, Paqué zufolge, den Kampf gegen das Ausufern konsumtiver Ausgaben härter führen als Sachsen-Anhalt.
Zwar beklagte der Finanzminister die ohnehin "katastrophalen Einnahmesituation bei den Steuern", die nicht aufzufangen sei. "Dennoch arbeiten wir uns nach vorn, der Ruf unseres Landes verbessert sich", sagte Paqué und fügte hinzu: "Schritt für Schritt verschwinden die roten Laternen im Archiv der sozialdemokratischen und sozialistischen Vergangenheit." Damit spielte der Finanzminister auf die Arbeit der von der PDS tolerierten SPD-Vorgänger-Regierung an. "Wirtschaftlich sind wir seit einiger Zeit nicht mehr das Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit, bildungspolitisch haben wir den erfolglosen sozialdemokratischen Experimenten wie 13. Schuljahr und Förderstufe ein Ende gesetzt und finanzpolitisch haben wir unsere Ausgaben endlich unter Kontrolle - besser als jemals in der sozialdemokratischen Vergangenheit", sagte Paqué.
Widerspruch der Opposition
SPD-Fraktionschef Jens Bullerjahn kontert: "Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen sind sie gescheitert, Herr Paqué." Zwar sehe auch er, dass durch die demographischen Veränderungen im Land "jedes Jahr Millionen Euro verloren gehen werden" und das das gegenwärtig schwache Wirtschaftswachstum mit geringem Steueraufkommen einher gehe.
Doch Bullerjahn verhehlt nicht, dass seine Fraktion in den Haushaltsberatungen eine "konstruktive Opposition" mit zahlreichen Gegenvorschlägen betrieben habe. Der Landesregierung hält er vor: "Sie haben Wahlversprechen gemacht, die niemand einhalten kann." Seine Regierung aber hätte die Neuverschuldung zurück geführt und begonnen, die Schulden abzubauen. Dem Finanzminister rief er zu: "Sie aber haben alle Wahlversprechen über Bord geworfen und keine nachhaltige Finanzpolitik betrieben."
Auch PDS-Fraktionschef Wulf Gallert hat beim Doppelhaushalt Vorbehalte. Er mahnt in der Debatte um die Finanzen "ausdrücklich mehr ostdeutsches Selbstbewußtsein und Souveränität in der Debatte" an. "Aus Sicht des Landeshaushalts gesprochen, beschert uns Eichels Steuerpolitik einen jährlichen Verlust von einer Milliarde Euro, also so viel, wie wir an Nettoneuverschuldung aufnehmen müssen," übte Gallert Kritik an der jetzigen Bundesregierung.
Mit der Mehrheit von Christ- und Freien Demokraten wurde der Doppelhaushalt bestätigt. Führt jedoch der Volksentscheid zur Annahme des Gesetzentwurfs der Volksinitiative, müssten gerade die durch die Einschnitte bei den Betreuungsleistungen eingesparten 40 Millionen Euro wieder in die Jahreshaushalte eingehen.
Noch aber sind hier alle Fragen offen, die Oppositionsparteien im Landtag, SPD und PDS, sind sich uneins in der Bewertung der Volksinitiative. Während der SPD-Mann Bullerjahn ausdrücklich hofft: "der Volksentscheid kriegt keine Mehrheit", will PDS-Mann Gallert "den hervorragenden Stand der Kinderbetreuung, den wir in Sachsen-Anhalt bis März 2003 hatten" als Indiz dafür sehen, das er auch im Westen zukunftsorientiert aufgebaut werden müsste.