Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 03 / 17.01.2005
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Johanna Metz

Wenn sieben Bademäntel noch zuwenig sind

Vor allem Frauen leiden unter Kaufsucht

Einen außergewöhnlichen Sinn für Farbkombinationen" hatte die Verkäuferin des Modegeschäfts der jungen Frau gerade bestätigt. Hocherfreut über dieses Kompliment verließ die 36-Jährige den Laden. Den ganzen Nachmittag hatte sie in den Boutiquen des Einkaufszentrums gestöbert und viel Geld ausgegeben, leider, denn das schlechte Gewissen darüber begann ihre Freude schon merklich zu dämpfen. Doch dem Drang, etwas kaufen zu müssen, hatte Frau N. entgegen aller Vernunft nicht widerstehen können. Sie ging oft einkaufen. Besonders wenn sie sich zu Hause einsam fühlte, hellte die Tour durch Shops und Schaufenster ihre Stimmung auf und milderte wenigstens zeitweise ihre Konzentrations- und Schlafstörungen. In den Geschäften nahm man sich Zeit für sie, denn schließlich war sie das, was man eine "gute Kundin" nennt: Immer an der neuesten Mode interessiert, nicht knauserig mit der Kreditkarte.

Kaufsucht nennt man dieses zwanghafte, exzessive und zweckentfremdete Kaufen, bei dem Menschen wie Frau N. immer häufiger immer teuere Dinge erstehen, die sie gar nicht brauchen oder, kaum zu Hause angekommen, samt Originalverpackung in den Müll werfen. "Da kaufen manche den siebenten Bademantel", ganz nach dem Motto, "ich kann Geld ausgeben, ich bin wer", sagt Sabine Grüsser von der Interdisziplinären Suchtforschungsgruppe Berlin (ISFB). Es gehe den Süchtigen nicht um das gekaufte Produkt, betont die Medizinerin, sondern um Aufmerksamkeit und Selbstbestätigung. Der Akt des Kaufens sei ein Aufputschmittel, um aus einem als sinnlos empfundenen Alltag auszubrechen, um eine innere Leere auszufüllen, aber auch um Unruhegefühle und Ängste zu unterdrücken.

Schätzungsweise 1,1 Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen, den größten Anteil daran, nämlich 90 Prozent, haben Frauen. Aber auch etwa sechs Prozent der deutschen Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren sind kaufsüchtig. Und selbst die Menschen in den neuen Bundesländern haben in rasender Geschwindigkeit die Konsummuster des Westens übernommen. Das erklärt unter anderem, warum die Tendenz zu krankhaftem Kaufverhalten in Deutschland seit 15 Jahren kontinuierlich steigt.

Das Krankheitsbild aber taucht in den gängigen Klassifikationssystemen des "International Classification of Diseases" (ICD) wegen fehlender empirischer Untersuchungen noch immer nicht als eigenständige Störung auf. Einheitliche Behandlungskonzepte gibt es daher auch nicht. Ein viel größeres Problem aber ist, dass Kaufsucht oft nicht als Krankheit wahrgenommen wird - oder erst viel zu spät. Das hat sicherlich mit der gewachsenen Bedeutung des Konsums in unserer Wohlstandsgesellschaft zu tun. Denn der ist heutzutage weit mehr als nur Mittel zum Zweck - er wird gesellschaftlich gebilligt, ja sogar gewünscht. In der Werbung werden nicht umsonst positive Symbole wie Belohnung, Selbständigkeit und Freiheit mit Konsum assoziiert. Kaufsüchtige fallen in diesem Umfeld gar nicht besonders auf, und wenn, sind sie gesellschaftlich weit weniger exponiert als Menschen, die zum Beispiel drogenabhängig sind. Doch Schulden, der Verlust des Arbeitsplatzes oder der sozialen Bindungen als Folge der Krankheit sind keine Bagatellen. Frau N. brauchte eine mehrmonatige Therapie, um ihre Kaufsucht zu überwinden. Zuvor hatte sie den Überblick über ihre Ausgaben gänzlich verloren, war nur noch ein Nervenbündel. Irgendwann knallte ihr Mann ihr die Kreditkartenabrechnungen auf den Tisch. Sie sei "geistig nicht normal", habe er sie angeschrien. Am nächsten Tag suchten beide eine Beratungsstelle auf.

Die Autorin ist Volontärin bei der Wochenzeitung "Das Parlament".


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