Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 03 / 17.01.2005
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Johanna Metz

Nichts geht mehr: Spielsucht treibt viele Menschen in den Ruin

Vor allem Automaten-Junkies spielen sich um ihre Existenz

"Mit welcher Gier blicke ich auf den Spieltisch, wo die Louisdore, die Friedrichsdore, die Taler umherliegen, wie blicke ich auf die Stapel goldner Münzen, wenn sie unter der Krücke des Croupiers auseinanderfallen. (...) Schon wenn ich mich dem Spielsaal nähere und, noch zwei Zimmer von ihm entfernt, das Klirren des Geldes höre, dass hingeschüttet wird, packt es mich wie Krämpfe."

Als der russische Autor Fjodor Dostojewski diese Zeilen 1866 in seinem Roman "Der Spieler" schrieb, hatte er beim Roulette bereits sein ganzes Vermögen verspielt und reiste hoch verschuldet auf der Flucht vor seinen Gläubigern durch halb Europa. Der Literat litt unter Glücksspielsucht. Dem unwiderstehlichen Drang zu spielen folgend, verprasste er bei seinen Europaaufenthalten in den Casinos von Wiesbaden oder Bad Homburg verlässlich die Vorschüsse seiner Verleger.

Wie er leiden auch heute viele Menschen unter dieser Verhaltenssucht, mit steigender Tendenz. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren schätzt die Zahl der beratungs- und behandlungsbedürftigen Spieler in Deutschland mittlerweile auf 90.000 bis 150.000, der Großteil davon ist männlich. Über 80 Prozent der Betroffenen sind Automaten-Junkies, die stundenlang vor so genannten "Slot Machines" oder anderen Geldspielautomaten sitzen und sich Münze für Münze an den Rand ihrer Existenz spielen. Inzwischen ist die Spielsucht als eigenständiges Krankheitsbild innerhalb der psychischen Störungen anerkannt. Nur Anlaufstellen und Therapieangebote für die Kranken gibt es bislang kaum. Dabei sind die Folgen der Sucht durchaus verheerend: Schuldgefühle, Betrügereien, hohe Schulden und Depressionen bis hin zu Selbstmordgedanken bestimmen das Leben der Betroffenen, nicht selten steht am Ende einer im Schnitt fünf- bis zehnjährigen Suchtkarriere der soziale und berufliche Abstieg. "Die ruinieren sich spielend", sagt Sabine Grüsser von der Interdisziplinären Suchtforschungsgruppe Berlin (ISFB). Viele Spielsüchtige verschuldeten sich schnell, nähmen dann Kredite auf oder pumpten Freunde an, um an Geld zu kommen.

In der ebenso fatalen wie irrationalen Annahme, "ein gutes Händchen" zu haben und Spielergebnisse voraussagen zu können, spielen die Süchtigen immer öfter mit immer höheren Einsätzen. Bald setzen sie ohne mit der Wimper zu zucken an mehreren Roulettetischen oder Spielautomaten gleichzeitig. Suchtmediziner sprechen dann von Toleranzentwicklung. Es kommt sogar zu Entzugserscheinungen wie Unruhegefühlen und Schlafstörungen, wenn das so dringend benötigte "Kickerleben" ausbleibt, denn auch bei den so genannten stoffungebundenen Süchten werden dopamin- oder opiatähnliche Stoffe im Gehirn freigesetzt. Sie sorgen für eine anregende, euphorische Stimmung und nicht zuletzt für ein gesteigertes Selbstwertgefühl.

Da setzt auch die Therapie an. Spielsüchtige lernen dort, sich mit ihren Problemen offensiv auseinanderzusetzen, anstatt sie "wegzuspielen". "Der Mensch will ins Gleichgewicht kommen", erklärt Sabine Grüsser, und um dieses Gleichgewicht abseits des Spieltisches wieder zu finden, muss der Süchtige nach alternativen Entspannungsmethoden oder Belohnungsmomenten suchen und lernen, sich wieder über einfachste Dinge, wie ein Glas Wein oder einen Kinoabend, zu freuen.

Doch das ist ein langer Prozess. Dostojewski war erst nach acht Jahren seine Spielsucht los - und sein Vermögen auch. "Der Spieler" allerdings wäre ohne seine Krankheit wohl nie in 24 Tagen geschrieben worden, zwang ihn doch dieser Umstand, immer neue Geldquellen zu erschließen. Wenigstens der Weltliteratur hat der ewig klamme Geldbeutel Dostojewskis also nicht geschadet.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.