Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 08 / 21.02.2005
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Michael Hyngar

Diskussion über die NATO entfacht

41. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik

Es ist schon zu einem festen Ritual geworden, jedes Jahr, Anfang Februar. Immer dann kommt in München die weltweite Elite von Sicherheitsexperten zusammen: Botschafter und Berater, Militärstrategen und Minister. Inzwischen ist München für sie das, was für Wirtschaftsexperten das jährliche Treffen im schweizerischen Davos ist. Frei von protokollarischen Zwängen kann dann zwei Tage lang über aktuelle sicherheitspolitische Themen diskutiert werden. Keine Abschlusserklärung muss verfasst, kein gemeinsamer Standpunkt erklärt werden.

Die Prominenz der Teilnehmer zeigt, wie wichtig für Politiker inzwischen die jährliche Tagung in der Münchner Innenstadt ist: Der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow rühmte sich diesmal sogar damit, schon zum sechsten Mal in Folge Teilnehmer der Sicherheitskonferenz gewesen zu sein. Und der deutsche Außenminister Joschka Fischer ist ebenso Stammgast wie der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Dieses Mal wäre mehr Polit-Prominenz kaum vorstellbar gewesen: Bundespräsident Horst Köhler hielt die Eröffnungsrede, und mit Kofi Annan nahm zum ersten Mal ein UN-Generalsekretär an dem Sicherheitstreffen teil.

Horst Teltschik, unter Helmut Kohl Kanzlerberater und seit 1999 Organisator der Veranstaltung, hatte der 41. Konferenz drei Schwerpunkte in das Tagungsprogramm geschrieben: NATO, Naher Osten, neue UNO.

Durch die Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder - die wegen seiner Erkrankung von Verteidigungsminister Peter Struck vorgetragen wurde - geriet die Konferenz am ersten Tag fast unfreiwillig zu einer Veranstaltung über die Zukunft der NATO. Mit Blick auf den Streit um die Irak-Politik der USA hatte Schröder eine nüchterne Analyse des transatlantischen Verteidigungsbündnisses geliefert. Sein Fazit: Die NATO sei nicht mehr der primäre Ort, an dem die transatlantischen Partner ihre strategischen Vorstellungen konsultieren und koordinieren. Die Regierungen der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten sollten ein Expertengremium einberufen, das bis Anfang 2006 den Staats- und Regierungschefs Ideen für eine neue Organisationsform erarbeiten soll. Schröders Rede wurde von vielen Konferenzteilnehmern als Angriff auf die NATO und Versuch einer Schwächung der Institution gewertet. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer widersprach der Kanzleranalyse. Die Allianz wachse und gedeihe, ein Expertengremium brauche man nicht. Angela Merkel, die für die Union in München Perspektiven deutscher Außen- und Sicherheitspolitik skizzierte, warnte davor, die NATO zu einem bloßen Reservebündnis zu degradieren.

Auch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld widersprach Schröder: Die NATO sei das erfolgreichste Bündnis in der Geschichte der Menschheit. Sie habe große Erfolge im Kampf gegen den Terror errungen. In Anlehnung an eine Äußerung Winston Churchills über das atlantische Bündnis sagte er: "Wenn wir zusammen arbeiten, ist nichts unmöglich". Doch Rumsfeld machte deutlich, dass nicht immer alle Alliierten zwangsläufig zusammenarbeiten müssen. Die USA würden sich für ihre Einsätze auch in Zukunft wechselnde Partner suchen, nach dem Motto: "the mission determines the coalition" - der Auftrag bestimmt die Koalition.

Rumsfeld war der große Überraschungsgast der Tagung, sein Kommen war bis zuletzt offen geblieben. Das lag wohl vor allem an einer Anzeige wegen Kriegsverbrechen im Irak, die in Deutschland gegen den Amerikaner vorliegt. Erst einen Tag vor der Sicherheitskonferenz hatte Generalbundesanwalt Kay Nehm Ermittlungen gegen Rumsfeld abgelehnt - und so offenbar den Weg für einen Deutschlandbesuch des amerikanischen Verteidigungsministers frei gemacht. Rumsfeld setzte in München die amerikanische Charmeoffensive fort, die US-Außenministerin Condoleeza Rice bei ihrer Europareise begonnen hatte. Erst lobte er ausdrücklich das Engagement der Irak-Kriegsgegner Deutschland und Frankreich beim Wiederaufbau des Landes, dann bezeichnete er zurückliegende, scharfe Äußerungen von sich gegenüber Andersdenkenden als "Old Rumsfeld". In Bezug auf den Begriff "Old Europe", mit dem Rumsfeld im Streit um den Irak-Krieg Deutschland und Frankreich tituliert hatte. Das löste zwar die Stimmung im Konferenzsaal und trug ihm den Spitznamen "New Rumsfeld" ein, doch bei vielen Nachfragen reagierte er scherzhaft, ohne klare inhaltliche Antworten zu geben.

Auch in der Iran-Frage legte sich Rumsfeld nicht fest, möglicherweise, um nicht neue Gräben zwischen den USA und Europa aufzureißen. Eine diplomatische Lösung des Konflikts um das iranische Atomprogramm sei möglich - und das wollten schließlich doch auch die Europäer, so Rumsfeld.

Bestärkt wurde diese Hoffnung auch von Gholamali Khoshroo, dem stellvertretenden iranischen Außenminister. Er betonte, dass seine Regierung die internationalen Bedenken über das Atomprogramm sehr ernst nehme und den Sorgen der Welt begegnen wolle.

Als gute Nachricht werteten die mehr als 250 Konferenzteilnehmer auch die Entwicklung im Nahen Osten. Nach einem Friedensabkommen zwischen Israel und den Palästinensern sei sogar ein Einsatz der NATO in der Region vorstellbar. Man müsse schon jetzt über ein Engagement nachdenken, forderte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer. Und Verteidigungsminister Struck erklärte, dass Deutschland bei so einer Mission Verantwortung übernehmen wolle.

Prominentester Gast der Sicherheitskonferenz war in diesem Jahr UN-Generalsekretär Kofi Annan. Er wurde mit einer Friedensmedaille geehrt. Die Auszeichung, die erstmals vergeben wurde, war vom Königlich Bayerischen Hofgoldschmied Heiden im Auftrag der Konferenz angefertigt worden.

Annan nutzte seinen Auftritt, um für die bevorstehende Reform der Vereinten Nationen zu werben - die für ihn - sollte sie gelingen, die "weitreichendste Reform des internationalen Sicherheitssystems seit der Gründung der Vereinten Nationen 1945" bedeutet. Der Generalsekretär präsentierte die Empfehlungen einer 16-köpfigen Reformkommission, die bereits im kommenden Monat den Mitgliedsstaaten vorgelegt werden. Demnach sollen die Vereinten Nationen im Kampf gegen Terror und Bürgerkriege gestärkt werden. Dabei solle in Zukunft auch der Einsatz von Gewalt möglich sein. Wenn ein Staat seine Bürger nicht vor Völkermord oder Massenvernichtungswaffen schütze, müsse das der UN-Sicherheitsrat übernehmen. Doch zur Frage, wie dieses wichtigste Entscheidungsgremium in Zukunft zusammengesetzt sein soll, schwieg Annan. Trotzdem erhielt er von allen Seiten Beifall für seine ambitionierten Pläne - auch von amerikanischer Seite, vorgetragen von US-Senatorin Hillary Clinton, die erstmals in Deutschland zu außenpolitischen Themen sprach. Clinton setzte sich nachdrücklich für eine Stärkung der UNO ein: Amerika habe durch eine effektivere UNO mehr zu gewinnen als zu verlieren.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.