Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 08 / 21.02.2005
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Susanne Kailitz

Redeschlacht um die Freiheit

Damals ...vor 50 Jahren am 27. Februar: Der Bundestag ratifiziert die Pariser Verträge

Es war wohl die größte Redeschlacht, die der Bundestag je erlebt hat: Über 40 Stunden - verteilt auf vier Tage - hatten die Parlamentarier gerungen, bis das Werk am Abend des 27. Februars 1955 vollendet war: Die Ratifizierung der Pariser Verträge. Von 473 Abgeordneten hatten 314 dem Vertragswerk zugestimmt, 157 dagegen. Damit waren die Weichen gestellt für die weitere Entwicklung Deutschlands: Mit der Anerkennung der Verträge endete das Besatzungsstatut. Der Deutschlandvertrag, der der Bundesrepublik weitgehende Souveränität einräumte, trat in Kraft. Gleichzeitig wurde Deutschland Mitglied der NATO und des Brüsseler Vertrags. Das Saar-Statut machte zudem den Weg frei für eine Volksabstimmung über die Rückkehr des Saarlandes nach Deutschland. So kompliziert die Vertragsinhalte und Paragrafen im Einzelnen auch waren, eines konnte im Februar 1955 die ganze Welt deutlich sehen: Deutschland hatte unwiderruflich den Weg nach Westen eingeschlagen und sich vom besiegten Feind zum militärischen Verbündeten der westlichen Staaten verwandelt.

Um diese Entscheidung war im Vorfeld der parlamentarischen Entscheidung lange gerungen worden. Schon 1952 hatte der Bundestag die Verwirklichung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft beschlossen - diese war jedoch am Widerstand der französischen Nationalversammlung gescheitert. Die Pariser Verträge stellten damit den zweiten Versuch Deutschlands dar, seine Souveränität wiederzuerlangen. Doch nicht allen im Lande erschien der Preis dafür gerechtfertigt: Insbesondere die Frage der deutschen Wiederbewaffnung sorgte für erheblichen Zündstoff, sahen viele Deutsche doch dadurch eine mögliche Wiedervereinigung beider deutscher Staaten gefährdet. Im Januar 1955 gipfelte der Protest der Wiederbewaffnungsgegner in der "Aktion Paulskirche". Oppositionspolitiker, Publizisten und Künstler appellierten in einer Resolution an die Bundesregierung, "alle nur möglichen Anstrengungen zu machen, damit die vier Besatzungsmächte dem Willen unseres Volkes zur Einheit Rechnung tragen". Die Verständigung über eine Viermächte-Vereinbarung müsse "vor der militärischen Blockbildung Vorrang haben". Unter dem Slogan "Rettet Einheit, Freiheit, Frieden!" rief die Initiative "Volk und Regierung" zu "entschlossenem Widerstand gegen die sich immer stärker abzeichnenden Tendenzen einer endgültigen Zerreißung unseres Volkes" auf.

Für Kanzler Konrad Adenauer unverständlich: "Wer glaubt, die Bundesrepublik könne in dem Stadium, in dem sie sich jetzt befindet, das heißt besetzt, unfrei und machtlos, mit Sowjetrussland erfolgreiche Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit führen, der hat keinen Blick für die Realitäten in der Politik. Eine solche Politik würde Deutschland in kurzer Zeit in die gleiche Unfreiheit bringen, in der sich die anderen Satellitenvölker Russlands befinden." Adenauer fand scharfe Worte für die Kampagne: Vor dem Bundesvorstand der CDU erklärte er, die "Volksbewegung" gegen die Unterzeichnung der Verträge erinnere an die Zeiten des Nationalsozialismus vor der Machtergreifung.

Die Diskussion wurde mit harten Bandagen geführt. Während die Polizei draußen mit Wasserwerfern gegen protestierende Vertragsgegner vorging, forderte drinnen der SPD-Politiker und Vizepräsident des deutschen Bundestags Carlo Schmid die Parlamentarier auf, "die Beratungen der ihm vorgelegten Zustimmungsgesetze auszusetzen, bis die politische Lage genügend geklärt" wäre. Seien die Verträge einmal ratifiziert, "so wird eine Einigung der Mächte nur möglich sein, wenn entweder die Sowjetunion vor den politischen Absichten des Westens kapituliert - und das ist wenig wahrscheinlich - oder wenn der Westen bereit ist, das Gebäude, auf dessen Errichtung er so viel Mühe verwendet hat, abzutragen. Auch das ist wenig wahrscheinlich."

Kurt Georg Kiesinger hingegen, damals Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags und CDU-Vorstandsmitglied, begrüßte die Pariser Verträge. Es sei gewiss, dass "unser verwirrtes und verstörtes Volk es einfach nicht mehr länger ertragen" könne, in "einem Schwebezustand des Hangs und Bangens gelassen zu werden, der nur Unheil schaffen" könne. Die Sicherheit der Bundesrepublik sei die "einzige Chance für die 18 Millionen im Osten", jemals wieder "die Freiheit zu sehen". Die CDU-Mehrheit im Bundestag sicherte trotz der tagelangen Debatten wie erwartet die Ratifizierung. Die Pariser Verträge traten am 5. Mai 1955 in Kraft. Bis zur Wiedervereinigung sollte es von da an jedoch noch 35 Jahre dauern.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.