Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 13 / 29.03.2005
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Kirsten Jüngling

Eine imaginäre "Ménage à trois" über den Tod des Dichters hinaus

Schillers Liebe zu den Lengefeld-Schwestern

Aber bei diesem Mannheim fällt mir ein, daß ihr mir doch manche Thorheit zu verzeyen habt, die ich zwar vor der Zeit, eh wir uns kannten, begieng, aber doch begieng! Nicht ohne Beschämung würde ich Euch auf dem Schauplatz herum wandeln sehen, wo ich als ein armer Thor, mit einer miserablen Leidenschaft im Busen, herumgewandelt bin." Was immer den Dichter bewogen haben mochte, Mannheim aus der Liste möglicher Wohnorte für sich und seine beiden Lieben zu streichen, Charlotte, die Braut, war entschlossen, es zu ignorieren: "Erwähne nicht mehr, mein Lieber, von dem was Dir sonst begegnete, was Dir vielleicht keine angenehmen Erinnerungen giebt ..."

Caroline, ebenfalls Adressatin des Briefes, wie es sich für eine geplante "Ménage à trois" gehört, schwieg dazu. Die Phantasie der unglücklich Verheirateten mochte weiter reichen als die ihrer jüngeren Schwester, die lediglich mit der Erfahrung einer heftigen, aber vergeblichen Schwärmerei für einen Schotten in die Ehe mit Schiller gehen würde.

Dessen "Éducation sentimentale" war turbulent verlaufen. Als Schiller mit 21 Jahren die Militärakademie verließ, kannte er Frauen nur als Mütter oder Schwestern. Umstandslos machte er sich daran, das zu ändern. Auf körperliche Schönheit kam es ihm dabei nicht an, und sein Umgang mit garstigen Weibern waren seinen Jugendfreunden Beweise für mangelndes Feingefühl im Sinnlichen. Ein paar Sprünge mit Soldatenweibern, auch "en compagnie", habe es gegeben und, zur Not, unbändige Imagination, die aus seiner Hauswirtin, "einem wie an Geist so an Gestalt gänzlich verwahrlosten Weibe, einer wahren Mumie" die Laura seiner Gedichte machte.

Das war noch in Stuttgart. Und die Mannheimer "Thorheiten"? Dachte Schiller da an begehrte Schauspielerinnen? An Karoline Ziegler, Katharina Baumann, Sophie Albrecht? Oder an gescheiterte Versuche, eine ganz junge Frau zur Frau zu nehmen wie beispielsweise Margarete Schwan? Oder doch an die eine, die - das war neu für ihn - sah, dass mehr in diesem schlaksigen, steifen, uneleganten Menschen steckte, die sich an roten Haaren, Sommersprossen, spitzer Nase und dünnen Lippen nicht störte und erkannte, dass dieser Friedrich Schiller, wenn auch unangenehm kreischend, etwas zu sagen hatte?

Charlotte von Kalb war 22, unglücklich verheiratet, im fünften Monat schwanger. Sie wurde seine Mentorin in mehrfacher Hinsicht. Die Beziehung zu ihr überstand einen Fluchtversuch des Dichters und dessen weitere mehr oder weniger ernst gemeinten Anläufe, sich vernünftig - will sagen mit einer reichen oder doch wenigstens braven, jedenfalls seiner Arbeit förderliche Frau - zu verheiraten: "Eine Frau, die ein vorzügliches Wesen ist, macht mich nicht glücklich oder ich habe mich nie gekannt", wusste der Achtundzwanzigjährige, und: "Bei einer ewigen Verbindung, die ich eingehen soll, darf Leidenschaft nicht seyn."

Das hinderte ihn nicht, sich romantischen Vorstellungen von einer Dreiecksbeziehung hinzugeben, denn Herr von Kalb blieb ihm gewogen, auch noch als er von des Dichters Beziehung zu seiner Frau wusste. Zwei entschlossene Schwestern schafften es dann doch, Schiller aus der Verbindung mit Frau von Kalb zu lösen, dabei Unfeinheiten nicht scheuend.

Caroline, verheiratete von Beulwitz, und Charlotte waren die einzigen Töchter des hochangesehenen Carl Christoph von Lengefeld, Jägermeister des Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt. Zwölf und neun Jahre alt waren die Mädchen, als der Vater starb und die finanzielle und gesellschaftliche Basis ihrer Existenz weitgehend zerbrach. Die Rettungsversuche der Mutter - sie drängte Caroline zur Heirat mit einem Mann aus etablierter Familie, versuchte mit Hilfe der Goethe-Freundin Frau von Stein Charlotte als Hofdame nach Weimar zu bringen und ging schließlich selbst zur finanziellen Absicherung als Prinzessinnen-Erzieherin ans heimische Fürstenhaus - prägten die Töchter: sie wurden kritische, selbständige junge Frauen mit einer ausgeprägten Sehnsucht nach einem irgendwie besonderen Leben.

Da sie zwar klug und auch gebildet waren, aber nicht schön und auch nicht mehr wohlhabend, war nur eine dem Zeitgeist entsprechende romantische Erfüllung dieser Sehnsucht denkbar. Sie kam am 6. Dezember 1787 in Gestalt zweier Reiter. Wilhelm von Wolzogen - er würde Carolines zweiter Ehemann werden - wollte seinem Freund Friedrich Schiller seine klugen Cousinen vorführen. Diese erfassten sofort, dass diese neue Bekanntschaft geeignet war, sie ganz nach ihrem Geschmack zu zerstreuen, wie sie auch Schiller nicht mehr aus dem Kopf gingen! Als er und Charlotte in Weimar auf einer Faschingsveranstaltung einander wiedersahen, als sie sich bis in den Frühling hinein trafen, festigte sich ihre Bekanntschaft so, dass Schiller beschloss, den Sommer auf dem Lande in ihrer Nähe zu verbringen.

Und diesen Sommer wussten die Schwestern wohl zu gestalten: Schlichte ländliche Feste im Wechsel mit anspruchsvollen, Französisch-Assembléen, zu denen Caroline als Frau von Beulwitz bei schönem Wetter in den Garten bat: in den "englischen" ihrer Mutter, wo der Holunder duftete und ein großes Gartenhaus zur Not Obdach bot, oder in den um den verschachtelten Gebäudekomplex in der Neuen Straße, wo Eglantinen und Centifolien über strenge Buchseinfassungen wucherten. Dort, in gemieteten Räumen, wohnten Caroline mit Ehemann und Charlotte mit Mutter.

Von dort aus konnten sie übers freie Feld sehen, wenn ihnen der Freund von seinem Sommerwohnort Volkstedt aus entgegen kam. Dann gingen sie ihm bis zu einer kleinen Brücke, die über den Waldbach Schaale führte, entgegen. Beide. Denn inzwischen hatte Schiller sich von Caroline fesseln lassen, von ihrer Begabung für intellektuelle und erotische Abenteuer. Und so wanderten die drei durch die sommerlichen Fluren, Schiller und Caroline ins Gespräch vertieft, Charlotte fast immer einen Schritt hinterdrein. Schweigend.

Und doch sollte die jüngere der Lengefeld-Schwestern entscheiden, ob es zu der von Schiller ersehnten Ménage à trois kommen konnte. Leicht war sie dazu nicht zu bewegen; ihr Ziel war, den Mann für sich allein zu haben. Doch akzeptierte sie den Umweg, den ein günstiges Geschick den Dreien wies. Das kommende Jahr schenkte Freiheiten: Die Mutter lebte als Erzieherin der Prinzessinnen im fürstlichen Schloss, Beulwitz war mit den Prinzen auf Grand Tour. Caroline und Charlotte waren allein - während Professor Schiller in den Semesterferien seine Jenaer Wohnung zunächst mit dem alten Volkstädter Domizil und dann mit einem Zimmer ganz in der Nähe der Schwestern vertauschte.

Er besuchte sie, als beide in Bad Lauchstädt kurten. Da war das Verhältnis schon so weit gediehen, dass Caroline ihm die Idee schmackhaft machen konnte, Charlotte zu heiraten, um so mit seiner Doppelliebe leben zu können. In Mannheim oder anderswo. Es blieb dann bei Jena und bald bei Charlotte als der einzigen. Die hatte darum gekämpft und, armiert durch ihren Status als Ehefrau, gewonnen.

Gut ein Jahr konnte sie diesen Sieg genießen und hatte Schiller für sich alleine - während Caroline einen anderen ausprobierte, Dalberg, den Kirchenfürsten, keinen Mann zum Heiraten also. Dann war klar: die junge Ehefrau war an einen Schwerkranken gefesselt. Diese Herausforderung bestand sie glänzend, zwei Söhne und zwei Töchter rundeten das Bild einer gelungenen Verbindung ab. Doch Caroline konnte nie vergessen, dass es ihrer Bereitschaft zum Verzicht zu verdanken war, dass Charlotte den Umgang mit einem Schiller genießen durfte.

"Hast Du ihn nie Caroline küssen sehen und dann Lotten?" fragte einst Wilhelm von Humboldt seine mit den Schwestern befreundete Braut. "Schiller hat seine Lage, sein schweres, vielleicht einziges Verhältnis gegen beide ganz durchschaut. Ich habe mich bei seinem Hiersein davon überzeugt. Carolinens Ruhe gründet sich auf die Zufriedenheit, das Glück ihrer Schwester ..." war ihr Eindruck. Der wohl trog. "Elle a commencé à coucher avec Schiller, et plus tard avec Dalberg", so Alexander Humboldt.

Und dann wieder Schiller, "denn dass Schiller in solchem Betreff nicht eben streng war, ist genugsam bekannt, und Frau von Wolzogen machte sich schwerlich ein Gewissen aus einer Untreue, in der sie sogar eine Art Berechtigung sehen konnte", urteilte ein anderer Beobachter, Rahel Varnhagens Mann. Carolines Sohn hatte tatsächlich mehrere mögliche Väter - von Wolzogen, der offizielle, zählt nicht dazu.

In der Sterbestunde Schillers am 9. Mai 1805 waren beide Schwestern - angeblich, denn es mögen auch zwei Bedienstete gewesen sein - zugegen. Charlotte wollte noch einen letzten Kuss von ihm empfangen haben, während Caroline, ihm ein wärmendes Kissen um die erkaltenden Füße legend, auf ihre Frage, wie es ihm gehe, "Immer besser, immer heitrer" als Antwort erinnerte unmittelbar bevor er verschied. Charlotte würde es künftig nicht ungern sehen, wenn sie als legitime Schiller-Witwe verehrt wurde, während Caroline ihn auf eigene Weise in ihr weiteres Leben einbezog: als seine Biografin.


Die Literaturwissenschaftlerin Kirsten Jüngling arbeitet als freie Publizistin in Köln. Unter dem Titel "Schillers Doppelliebe", erschienen im Propyläen-Verlag, hat sie zusammen mit Brigitte Rossbeck diese "Ménage à trois" ebenso ausführlich wie amüsant beschrieben.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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