Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 13 / 29.03.2005
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Manfred Funke

Ein Angebot vom Katheder in Jena an die ganze Welt

Schiller als Historiker der Freiheit

Den "Räubern" von 1781 setzt der 22-jährige Schiller eins drauf, indem er noch im selben Jahr Jean Jacques Rousseau "zum Monument von unserer Zeiten Schande" erhebt. Er feiert den geistigen Wegbereiter der Französischen Revolution, weil dieser "aus Christen Menschen wirbt". Schiller rüstet zum Aufruhr - im Gedicht.

Dass er kein Volksheld als Sozialrebell werden will, geht bereits aus der Vorrede zu den "Räubern" hervor. Darin wünscht er sich keine Bewunderung, wohl aber Hochschätzung "des rechtschaffenen Mannes in mir". Zur Rechtschaffenheit zählen nicht nur grader Sinn, sondern auch Bürgerstand und Einkommen. Im "Don Carlos" beweist er Geschichtskompetenz; Goethe spricht Goethe für Schiller gut, so dass er 1789 in Jena eine außerordentliche Professur (zunächst ohne Salär) für Geschichte und Philosophie erhält.

Doch gleich in der Antrittsvorlesung über Sinn und Zweck der Universalgeschichte, ein damaliges Modethema, fällt Schiller die Kollegen "Brotgelehrte" an. Statt abgenutztes "System"-Wissen zu repetieren, habe der Historiker seine Liebe und Pflicht zur Wahrheit zu beglaubigen. Geschichte müsse im Zeitalter der Vernunft über Weg und Ertrag des Aufstiegs vom Wilden zum Gebildeten im Prozess "der außerordentlichen Anstrengung zur politischen Gesellschaft" Auskunft geben. Denn "die Weltenuhr" treibe hin zum "vernünftigen Zweck", zur Entfaltung eines "teleologischen Prinzips".

Dies besteht für Schiller in der Befreiung des Menschen von geistiger Unmündigkeit und aus politischer Unterwerfung. Das ihm von Kant zufließende Vertrauen in die Wandlung des Untertans zum freien Bürger beflügelt Schillers emanzipatorischen Einsatz für Menschenbildung und Freiheitswürde. Im Befreiungskampf der Niederlande vom spanischen Joch sieht er "ein schönes Denkmal bürgerlicher Stärke".

Heldenmütige Beharrung

"Groß und beruhigend", so lesen wir, "ist der Gedanke, dass gegen die trotzigen Anmaßungen der Fürstengewalt endlich noch eine Hilfe vorhanden ist, dass ihre berechnetsten Plane (so im Original) an der menschlichen Freiheit zuschanden werden, dass ein herzhafter Widerstand auch den gestreckten Arm eines Despoten beugen, heldenmütige Beharrung seine schrecklichen Hilfsquellen endlich erschöpfen kann". Das Recht auf Widerstand soll indes nicht zum Ersatz besiegter Despotie durch neue Tyrannei verleiten. Aus dem Kampf für die Freiheit darf nicht wie in Paris eine Herrschaft des Schreckens werden. Ehrverletzung der Freiheit ist tabu.

In Schillers Werk, hebt Golo Mann hervor, fehle es nicht an Ausdrücken, wie sie vor allem in der protestantischen Literatur der Zeit gängig waren: österreichische Ländersucht, spanische Arglist, blinder Eifer der Pfaffen, giftvolle Beredsamkeit der Jesuiten und so fort. Golo Mann bündelt ein Vielfaches davon, um Schiller den "Historiker der Freiheit" zu nennen.

Das strenge Handwerk des Historikers ist indes nicht Schillers Sache. Ohnehin sind Textkritik, Quellenforschung, die Fußnoterei noch nicht kanonisiert. Gleichwohl vergewissert sich Schiller nach Abschluss des "Don Carlos": "Auch der Geschichtsschreiber muß wie der Dichter und Historienmaler genetisch und dramatisch zu Werke gehen; er muß die produktive Einbildungskraft des Lesers ins Spiel zu setzen wissen, und bey der strengsten Wahrheit ihr den Genuß einer ganz freyen Dichtung verschaffen."

Ideale Welt

Damit der Leser und Zuschauer sich selbst als Subjekt und Objekt, als Teil und Akteur der Geschichte begreife, inszeniert Schiller aus Konstruktion und Empirie gewaltige Spannungsbögen. Etwa indem er zu Beginn seiner Geschichte des Dreißigjährigen Krieges dem Leser verspricht, von der "siegenden Gewalt der Wahrheit" zu erfahren und davon, "was mit Wahrheit verwechselt wurde".

Zwar beherzigt Schiller, dass ohne Rücksicht darauf, was war und ist, nicht überzeugend zu vermitteln sei, wie idealiter die Welt bestellt sein soll. Ihretwegen steigert der Dichter seine historiografische Imagination über bloße Faktenpflicht. Als Belege nennt der Schiller-Forscher Norbert Oellers Wallensteins Sternenglauben, mit dem Schiller spielt, Maria Stuarts Zeugen, die zu spät sprechen, Johannas Schweigen zum Vorwurf, sie sei eine Hexe .

Schillers Figuren sind erregend modern. Schiller erschließt sie aus ihren historisch-sozialen Bindungen und den ihnen abgeforderten Entscheidunen. Sie sind nicht gerundet, sondern oft angelegt in einer "Ellipse von beträchtlicher Exzentrizität" (Oellers). So werden Schillers Figuren im "Don Carlos" später Richard Wagner höchste Bewunderung entlocken. Schillers Kunst der Modulation und Nuancierung zumal der historischen Gestalten charakterisiert Wagner als "so fein, witzig und sinnvoll vieldeutig, so ungezwungen würdevoll und doch so kenntlich erhaben, so drastisch ungemein sich ausdrückend". Schiller stehe höher als Calderon oder selbst Shakespeare.

Stand Schiller bei der dramatischen Verstofflichung über der Realität? Gilt Goethes Votum, dass Schiller in seiner Phantasiewelt verschlossen war und ein Fremdling in der wirklichen? "Schiller empfiehlt", so sein Biograph Rüdiger Safranski, "im politischen Tumult die Andacht vor dem Schönen". Wirklichkeitsflucht?

Wer Schiller auf den Barrikaden vermisst, übersieht seine Lebenssituation: Der Revolutionsterror in Frankreich beleidigte seine Menschheitsidee. Der Aufstand der Massen gerade in Deutschland lag noch weit hinter dem Horizont. Wenn, so Schillers Ehefrau, den Dichter auch der Gang "an Hof" zuweilen krankmachte - wie übrigens auch Goethe -, so fühlt sich Schiller doch in Weimar "völlig frey" (1804 aus Berlin an Körner). Die große Idee einer Humanisierung des Politischen durch einen neuen Adel des Geistes ist noch nicht an der Dämonie der Macht zerschellt, was später Heinrich von Treitschke dazu veranlassen wird, Schillers "ästhetische Erzählungen" als Stoffe "eines unpolitischen Geschlechts" abzutun.

Für Schiller ist jede Art von Staat nur "Notstaat", nur da als "Regelungszwang" der Lebensbedürfnisse des Menschen. "Zu essen gibt ihm, zu wohnen/Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst". Deutsches Reich und deutsche Nation sind ihm zweierlei Dinge. "Die Majestät der Deutschen ruhte nicht auf dem Haupte seiner Fürsten. Abgesondert vom Politischen hat der Deutsche sich einen eigenen Wert gegründet, und wenn auch das Imperium unterginge, so bliebe die deutsche Würde unangefochten. Sie ist eine sittliche Größe, sie wohnt in der Kultur".

Blatt, Blüte und Kern

Der Historiker Schiller sah in der Verspätung und Langsamkeit deutscher Nationsbildung sogar Vorteile. Mochten Frankreich und England auch mächtiger sein, so waren sie für Schiller gleichwohl nur "Blatt" und "Blüte". Deutschland aber "der Kern der Menschheit". Während die Anderen durch Siege und Niederlagen eilen, arbeitet Deutschland am ewigen Bau der Menschenbildung: "Jedes Volk hat seinen Tag in der Geschichte, doch der Tag der Deutschen ist die Ernte der ganzen Zeit." Die Ernte war Angebot für die ganze Welt. Denn ein Jeder trägt nach Schillers Überzeugung in Anlage und Bestimmung "einen reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderbarer Einheit in allen seinen Abwechselungen übereinzustimmen, die große Aufgabe seines Daseins ist".

Dies mag heute unzeitgemäß klingen, doch strömt aus Schiller die Idee einer Zivilisation der Liebe, die er in seinen historischen Sujets veranschaulichte. Und dies werktreu bis zur Erschöpfung. Für Jean Paul strebte Schiller himmelwärts, "obgleich sein siecher Körper sich schwer an seine Flügel hing". Die großen Produktionen rang sich Schiller in einem letztlich "vierzehnjährigem Sterben" (Oellers) ab.

Nicht selten werden Schillers Beiträge zur Geschichte einer Übergangsphase zwischen dem frühen und dem reifen Dramatiker zugeordnet. Doch Schillers Stoffe waren meistens historisch durchwirkt. Geschichte war ihm die große Inspiration. So waren die Jahre als erzählgewaltiger Historiker auch Orte kritischer Vergewisserung durch Empirie und deren Umsetzung zur Freiheitswürde als Auftrag für die moralische Entgiftung der Welt.


Der Autor ist emeritierter Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Willhelms-Universität Bonn.


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