Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 13 / 29.03.2005
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"Schiller - das war echt ein pfiffiger Kerl!"

Ein Gespräch mit dem Rapper und Schauspieler Tyron Ricketts, der Schiller-Verse auf seine Musik legt

Tyron Ricketts wurde 1973 als Sohn einer österreichischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters in Österreich geboren. Mit sechs Jahren zog er mit seiner Mutter nach Deutschland. Nach seinem Abitur 1992 in Aachen studierte er Design und Unterhaltungsbranche. Zu der ersten Kinorolle 1994 kam bald die Moderation und Produktion der eigenen Sendung "Word Cup" auf Viva TV und gleichzeitig die Gründung einer Entertainment-Agentur. Er veröffentlichte eigene LP\´s mit seiner Band Mellowbag. Heute lebt Ricketts in Berlin und arbeitet in verschiedenen deutschen und internationalen Produktionen als Schauspieler.

Das Parlament: Sie legen Schillerverse auf Rap-Beats? Wie geht das?

Tyron Ricketts: Das ist ein Experiment. Aber es geht gut. Es ist schön zu sehen, wie die eigene Kreativität mit Schiller mitschwingt. Und plötzlich merkt man, dass die 200 Jahre, die vergangen sind, unerheblich sind. Man nimmt die Inspiration, die Sprache von früher und vermischt es mit dem Beat der Gegenwart. Dadurch entwickelt sich etwas völlig Neues.

Das Parlament: Wie findet das Publikum das?

Tyron Ricketts: Das kommt sehr gut an. Nicht nur bei Jüngeren, auch bei Älteren.

Das Parlament: Welche Verse nehmen Sie?

Tyron Ricketts: Neulich hatte ich mir den Text "Kastraten und Männer" ausgesucht, auch weil er in A B A B Reimform geschrieben ist. Er ist so verfasst, dass man ihn im Viervierteltakt hören kann und auf ein Rapschema runterbrechen kann. Der Text ist eine Satire auf ein Gedicht, das "Männerkeuschheit" heißt. Ich fand es ganz schön, weil der Text auch so ein bisschen machomäßig ist und Rap kann auch machomäßig sein. Am Anfang erzählt Schiller in dem Text, wie er eine junge Frau mit seiner Männlichkeit betört und fast sogar ein bisschen einschüchtert. Seine Männlichkeit stellt er in den Vordergrund. Das passt sehr gut. Viele, die Rapmusik machen und mögen, wollen sich stark sehen. Sie wollen zeigen, wie toll sie sind.

Das Parlament: Hat sich Männlichkeit verändert?

Tyron Ricketts: Ja, klar. In meiner Generation weiß man ja gar nicht, was man machen soll. Ob man jetzt der tolle, verständnisvolle, emotionale Gefühlsmensch sein soll. Oder ob man auch mal sagen soll, wo es lang geht. Die Männer in Deutschland befinden sich in großer Verwirrung. Die Rollenverteilungist im Vergleich zu Schillers Zeit viel unklarer. Das stellt uns im Leben oft ein Bein. Wir Männer sind oft unsicher, welche Rolle wir einnehmen sollen und wollen.

Das Palament: Warum ist Rap so machomäßig?

Tyron Ricketts: Es ist nicht nur so. Auch was ich mache, kommt aus einer anderen Ecke. Aber der Ursprung von Rap ist halt eher von Leuten aus einer sozial unteren Schicht. Leute nutzen Rapmusik, um eine Stimme zu haben. Bei ihnen ist das Aspirationsniveau anders. Sie wollen vor allem das haben, was sie nicht haben: Fette Autos, Macht und Respekt in einem Viertel und viele hübsche Mädels.

Das Parlament: Wie sind Sie auf Schiller gekommen?

Tyron Ricketts: Zu Schulzeiten fand ich Schiller ätzend. Ich bin lieber Skateboardfahren gegangen. Der Unterricht war einfach zu langweilig. Wir konnten nichts damit anfangen. Wie ich zu ihm gefunden habe? Na ja, unter anderem auch dadurch, dass der "Spiegel" vor ein paar Monaten ein Cover mit Schiller gemacht hat. Darauf sah man ihn mit flammendroten Haaren. Darüber stand "Freiheit". Das habe ich mir genau angesehen und fand es sehr gut. Das war auf eine Art präsentiert, die mich angesprochen hat. In dem Text dazu ist mir auch die Person Schiller näher gebracht worden und ich konnte mich damit identifizieren, wie er gelebt hat. Das war echt ein pfiffiger Kerl. In der Schule kam das überhaupt nicht rüber. Man hat einfach ein gelbes Reclamheft in die Hand gedrückt bekommen, mit einer Sprache, die einem fremd war, mit einem Inhalt, den ich damals gar nicht verstehen konnte. Was hat man mit 16 Jahren denn schon erlebt? Von Freiheit und Liebe hat man keine Ahnung. Heute ist da mehr Nährboden. Jetzt interessiere ich mich dafür. In letzter Zeit habe ich sehr viele Gedichte von Schiller gelesen.

Das Parlament: Schiller war immer ein Rebell ...

Tyron Ricketts: Ja, genau das ist es doch, was die jungen Leute mögen. Schiller hat man doch sonst immer nur durch den Mund eines verstaubten Deutschlehrers gehört, der selbst kein Feuer versprüht. Wenn der dann sagt: Schiller ist toll, wirkt das bereits wie ein Filter. Schiller an sich kommt dann gar nicht mehr bei jungen Leuten an. Ich kann mich noch gut erinnern: Die Verpackung damals hat den Inhalt schon uninteressant gemacht. Schiller muss anders rüber gebracht werden, dann wird man ihn auch hören und sich für ihn interessieren.

Das Parlament: Wenn Sie Jugendlichen Schiller nahe bringen sollten, wie würden Sie es machen?

Tyron Ricketts: Wenn ich mich als Schauspieler auf eine Rolle vorbereiten muss, schreibe ich erst mal eine Paraphrase. Ich schreibe den Text, der da steht, mit meinen eigenen Worten. Und ich würde die Kinder bitten, das genauso zu tun: Drückt das in euren eigenen Worten in Reimform aus. Das macht einfach Spaß. Das war auch immer mein Ansatz beim rappen. Seitdem es deutschen Rap gibt, finden es auch junge Leute cool, sich mit deutscher Sprache zu beschäftigen. Das war fast 60 Jahre lang anders. Deutsche Kultur wurde nun mal seit dem Zweiten Weltkrieg sehr verhalten rezipiert. Und diese Lücke kann man jetzt das erste Mal wieder durch eine neue Bewegung schließen, die viel näher an den jungen Leuten dran ist. Wenn man einen Text selbst bearbeitet hat, kann man sich auch damit identifizieren.

Das Parlament: Wodurch kam dieser Aufbruch, diese Trendwende, deutsche Musik wieder cool zu finden? Es hat bis vor wenigen Jahren nur die deutsche Schlagerparade gegeben. Das war etwas für ein Publikum, das nicht gerade zur Avantgarde gehörte.

Tyron Ricketts: Das ging Ende der 90er-Jahre los. Für junge Leute war deutscher Rap auf einmal in und für die Industrie der größte Markt. Es gibt dafür verschiedene Gründe: Deutschland kann erst jetzt die Vergangenheit bewältigen, nachdem es wieder eins ist. Alle Versuche, die vorher unternommen worden sind, waren legitim und notwendig, aber erst jetzt, nach der Wiedervereinigung, kann der Krieg und die Nachkriegszeit wirklich verarbeitet werden. Außerdem sind es die jungen Leute überdrüssig, mit einem Schuldgefühl durch die Gegend zu laufen. Denn mittlerweile werden selbst die Großeltern, die im Krieg waren, immer weniger. Und dieses verkrampfte Verhältnis, das Deutschland zu sich selbst hat, zur eigenen Kreativität, zum eigenen Deutschsein, diese Art, sich ständig zu verstecken, verstockt darauf zu reagieren, wenn jemand im Ausland fragt, wo man her kommt, das wollen viele junge Leute einfach nicht mehr. Vielleicht liegt es auch daran, dass Amerika mittlerweile für viele Menschen ein neues Feindbild abgibt und man sich von der "Wir sind die bösen Deutschen" - Sichtweise langsam trennen kann. Junge Leute aus Deutschland wollen einfach sagen: Wir sind toll, wir sind gut, wir freuen uns, hier zu sein.

Dass man das nicht kann, auch gerade im künstlerischen Bereich, geht vielen auf die Nerven. Grade als junger Mensch hat man einen Drang, sich zu präsentieren. Als Schiller "Die Räuber" geschrieben hat, war er gerade mal 21 Jahre alt. Und gerade Rap-Musik ist etwas für junge Menschen, weil es relativ einfach zu machen ist. Wenn du 14 Jahre alt bist und einen Stift und ein Blatt hast, kannst du loslegen. Es ist viel einfacher, als ein Instrument zu spielen. Rap bietet eine Brücke an, über die viele Leute gehen können, um sich dann auch wieder mit der eigenen Kultur zu identifizieren.

Das Parlament: Welche Botschaft hat deutscher Rap?

Tyron Ricketts: In Amerika war das für die Leute ein Sprachrohr. Rap hat sich zu einer eigenen Kultur entwickelt. Das schwarze Amerika hat sich durch diese Kultur unheimlich verändert. Und warum soll das nicht hier auch der Fall sein? In Deutschland sind es vor allem die weißen Mittelklasse Kids, die sich das zu Nutze gemacht haben. Die Message von Rap ist unterschiedlich. Es gibt Max Herre, der seine revolutionären Gedanken, wie er sich das System vorstellt, einfließen lässt. Die türkische Community benutzt Rap, um ihre Wut heraus zu lassen. Ich persönlich finde das nicht so geil, aber es hat auch seine Legitimation. Wir Afrodeutschen, besonders mit unserem Projekt "Brother Keepers", wollen auch die Stimme erheben und Rap dazu nutzen, um auf Missstände wie Diskriminierung und Rassismus aufmerksam zu machen.

Das Parlament: Wenn Sie Schiller treffen würden, worüber würden Sie sich mit ihm unterhalten?

Tyron Ricketts: Oh. Mmmmh. Doch klar. Ich würde mich mit ihm wahrscheinlich über das fehlende Selbstbewusstsein in Deutschland unterhalten, weil ihn das sicher erschrecken würde. Und ihn würde sicher erschrecken, was in der Zwischenzeit passiert ist.

Das Parlament: Ist Schiller ein typisch deutscher Dichter?

Tyron Ricketts: Das war eine ganz andere Zeit, in der Schiller gelebt hat. In ganz vielen Gedichten teilt er dauernd Seitenhiebe auf andere Länder aus. Er macht sich lustig und das eben aus einem gesunden Selbstbewusstein heraus.

Das Parlament: Was ist denn typisch deutsch?

Tyron Ricketts: Das Rationale, Beherrschte, bloß nicht über die Strenge schlagen, lieber so mitten drin schwimmen. Das, was sich schon mal bewährt hat, das macht man lieber nochmal. Gefühle nicht zu sehr zeigen. Sich nicht zu extrem freuen, aber auch nicht zu extrem zeigen, dass es einem schlecht geht. Die Kopfenergie ist für mich ganz stark deutsch. Aber leider nicht mehr so blühend wie früher, sondern beschnitten. Und auch in der Kreativität, tja mein Gott. Große Sender drehen lieber einen Film nach, der in Amerika schon mal funktioniert hat, anstatt sich mal wirklich etwas Eigenes zu trauen. Wie will man da große Dinge schaffen?

Das Parlament: Sind andere da anders?

Tyron Ricketts: Ich glaube, dass die Leute, die in Deutschland wohnen und noch einen anderen Kulturanteil in sich haben - ob das Afrodeutsche, deutsche Türken oder Jugoslawen sind - die beschäftigen sich ja in der Regel auch mit der anderen Kultur in ihnen. Ich bin auch in sehr vielen Eigenschaften sehr deutsch, beispielsweise in meiner Zielstrebigkeit, ich bin pünktlich. Das finde ich auch gut. Aber mein Vater kommt aus Jamaika, und da bekomme ich auch andere Impulse. Mehr Lebensfreude und vor allem, nicht immer alles so pessimistisch zu sehen. Die Deutschen sind ja auch super im Nörgeln, dieses Unzufriedene. Jammern auf hohem Niveau! Da haben wir als Afrodeutsche einen Vorteil, weil man aus einer größeren Palette aussuchen kann. Wir alle, die auch eine andere Kultur in uns tragen, sind eine Chance für Deutschland. Wir können ein bisschen befreiter sagen: Wir finden Deutschland gut.

Wenn sich Til Schweiger hinstellt und sagt: Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein, steht am nächsten Tag in der Bild-Zeitung: Til Schweiger ist ein Nazi. Wenn Xavier Naidoo die Nationalhymne singt, bietet er auch dem offiziellen Deutschland eine Möglichkeit, über diese Brücke zu gehen. Auf der anderen Seite ist es auch wichtig, dass man auch als Afrodeutscher oder Deutsch-Türke als Deutscher akzeptiert wird. Ein schwarzer Franzose ist ein Franzose. Ein türkischer Deutscher ist ein Ausländer. Wenn sich beide Gruppen öffnen würden, wäre das für beide Seiten etwas.

Das Parlament: Wie würde Schiller denn dieses Deutschland finden?

Tyron Ricketts: Er fand ja auch damals schon viele Sachen traurig. Deshalb hat er ja auch diese revolutionäre Ader. Aber jetzt würde er bestimmt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Der hätte genügend Stoff für 100 neue Theaterstücke und Ideen, wie man das Land verändern kann. Aber genau das ist jetzt unsere Aufgabe.


Das Interview führte Annette Rollmann


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.