Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 16 / 18.04.2005
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Tilmann P. Gangloff

Journalismus soll alle Seiten zeigen

Jugendliche wollen Inhalte

Fernsehjournalisten haben von den konkreten Erwartungen Jugendlicher an die Medien nur eine höchst diffuse Vorstellung. Dies ist ein Fazit des Projekts "Journalismus mit Jugendlichen für Jugendliche". Ausgangspunkt der Studie, die das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung durchgeführt hat, war die Erkenntnis, dass Jugendliche zwar viel fernsehen, öffentlich-rechtliche Informationsprogramme jedoch kaum wahrnehmen. Gruppendiskussionen im Rahmen des IZI-Projekts zeigten nun, dass das Interesse der Jugendlichen wächst, wenn die Beiträge "an ihre eigene Alltagswelt anschließen". Besonders wichtig sei ihnen die Authentizität der Protagonisten.

Zur Überraschung der Forscher wünschen sich die Jugendlichen nicht nur eine klare Strukturierung der Beiträge, sie kritisieren auch die modische Bildgestaltung: "Dynamische Kameraführung, stark bewegte Hintergründe und ungewöhnliche Kameraeinstellungen, die von den Autoren als besonders frische Elemente eingesetzt wurden, kamen bei den Jugendlichen nicht gut an", heißt es in einem ersten Entwurf des Berichts, der demnächst in Buchform erscheinen soll. Auch von den Beiträgen in Jugendmagazinen erwarten die jungen Zuschauer in erster Linie Information: "Der Unterhaltungswert und ästhetische Aspekte spielen eher eine untergeordnete Rolle." Spätestens jetzt, heißt es in der Studie, sei deutlich geworden, dass Redakteure und Autoren von den konkreten Kriterien der Jugendlichen bezüglich der inhaltlichen und ästhetischen Gestaltung "nur sehr wenig wissen". Im Verlauf des Projekts kamen an die 370 Jugendliche im Alter von durchschnittlich 16 Jahren zu Wort.

Aus diversen Jugendstudien weiß man, dass Freundschaft, Musik, Liebe und Partnerschaft sowie Ausbildung und Beruf die großen Jugendthemen sind. Selbst bei solchen Berichten aber schalten Jugendliche offenbar ab, "wenn der Bezug zur eigenen Lebenswelt nicht deutlich wird". Politische Themen hätten durchaus eine Chance, die Aufmerksamkeit zu erregen, wenn es den Autoren gelinge, "Jugendliche und ihre Perspektiven in den Mittelpunkt zu stellen oder ihnen zumindest Anknüpfungspunkte zu bieten". Außerdem erwarteten sie fundierte Information: Sie "möchten meist möglichst umfassende Einblicke in ein Thema erhalten. Deshalb wird häufig kritisiert, dass nur ein bestimmter Aspekt und nicht die gesamte potenzielle Bandbreite eines Themas dargestellt wird."

Besonders wichtig sei den jungen Zuschauern "die große Bandbreite unterschiedlicher Positionen". Dabei wollten sie nicht nur "O-Töne" von Gleichaltrigen, sondern auch Statements von Personen mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten: "Auf diese Weise erhalten sie Einblicke in Denkweisen und Standpunkte, die ihnen aus ihren eigenen Erfahrungen nicht vertraut sind." Je vielschichtiger der Kreis der befragten Personen sei, desto besser werde ein Beitrag von den Jugendlichen bewertet. Dies sei vor allem bei Themen der Fall, zu denen sie die Meinungen ausgewiesener Experten wünschten, und zwar "die gesamte Bandbreite von absoluter Zustimmung bis zu kategorischer Ablehnung". Die Jugendlichen wollten sich als Rezipienten ihre eigene Meinung bilden und nicht das Gefühl bekommen, es werde ihnen "eine einseitige Sichtweise aufgedrückt". Sie erwarten von den Medien einen anwaltschaftlichen Journalismus, der aber "nicht wertet, sondern unparteiisch sein Thema aufrollt".

Nicht minder verblüffend, jedenfalls für Fernseh-redakteure, dürften die Ergebnisse anderer Studien sein, die vom IZI zum Themenkreis "Erotik" in Auftrag gegeben wurden. Nicht nur bei der Bildgestaltung für Jugendliche liegt das Fernsehen falsch: Die Tatsache, dass die - überwiegend amerikanischen - Videoclips in den Musiksendern gern und viel nackte Haut zeigen, ist der Zielgruppe ebenfalls nicht recht. Auch für Filme gilt: Erotik ja, Sex nein. Jungen und Mädchen ist offenbar am liebsten, wenn es bei Andeutungen bleibt und den Rest die Fantasie erledigt. Was darüber hinaus geht, finden sie rasch "eklig".

Laut Jugendforscherin Anne Schwarz (social business, Stuttgart) wollen die Mädchen, dass Erotik verpackt ist, etwa in Humor oder schöne Bilder. Pornografie finden sie widerlich, Sex in Verbindung mit Gewalt lehnen sie generell ab. Erotik spüren sie bereits in Dialogen, aber vor allem in Musik- und Tanzfilmen. Ihre Mütter dürften das kaum anders sehen: "Dirty Dancing" (1987) wird von den 12- bis 17-Jährigen am häufigsten genannt.

Die Ansichten der Jungs fallen überraschenderweise kaum anders aus. Sie wissen durchaus, wann und wo das Fernsehen expliziten Sex zu bieten hat, distanzieren sich aber davon: "Das ist vor allem was für Ältere." Auch den Jungs sind Andeutungen viel lieber; "Mondscheinerotik" schätzen sie genauso wie die Mädchen. Die Sexwelle im Fernsehen ist ihnen sogar unsympathisch: "Ständig laufen Nackte rum." Die Kritik richtet sich interessanterweise vor allem gegen Videoclips, deren Macher ja überzeugt sind, mit viel Sex mehr CDs zu verkaufen. Die Zielgruppe empfindet das als Überdosis, wehrt sich zudem gegen "standardisierten Sex" und will mehr Abwechslung. "Erotik soll ?embedded' sein", so die Jugendforscher Reinhard Winter und Gunther Neubauer, gemeinsam Leiter des Sozialwissenschaftlichen Institut Tübingen (SOWIT).

Da die deutsche Jugend schon seit Generationen in Sachen Sex vor allem von der "Bravo" lernt, überrascht es nicht weiter, dass sich Kinder am liebsten durch Medien aufklären lassen: weil's nicht so peinlich ist. Auch und gerade "Daily Soaps" - die RTL-Serie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" ist seit Jahren mit Abstand die erfolgreichste - werden in dieser Hinsicht gern genutzt. Allerdings darf die Aufklärung, wissen die Autoren, nicht aufgesetzt wirken. Ganz gleich, ob es um Sexualität, Drogenkonsum oder Rassismus gehe: "Die Kinder wollen lernen, aber nicht belehrt werden." Die Botschaft dürfe nicht klingen, als habe ein Sozialarbeiter das Drehbuch geschrieben.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.