Für Verrückte, Betrunkene und die Vereinigten Staaten von Amerika hat Gott eine besondere Vorsehung." Dieser Satz wird dem deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck zugeschrieben und in den USA gerne kolportiert. Während Bismarcks vermeintliche Bemerkung auf den ersten Blick keine Schmeichelei für Amerika darstellt, verstehen indes selbst namhafte Politikwissenschaftler wie Walter Russell Mead Amerikas Sonderrolle durchaus als "göttlichen Willen" oder als "schicksalshafte Vorsehung" einer höheren Macht oder mindestens als mitverursacht von Europas Unvermögen, sein eigenes Haus in Ordnung zu halten. Aber nicht nur ein Großteil der gelehrten Elite der USA, sondern Politiker aller Couleur bis hin zur Mehrheit der rund 300 Millionen Amerikaner ist sich sicher, dass ihre Nation besser ist, als alle anderen Nationen dieser Welt. Das Empfinden, in gewisser Weise eine auserwählte Nation zu sein, ist beinahe so alt wie die Gründung der Vereinigten Staaten vor mehr als 220 Jahren.
Diese Selbsteinschätzung stellt für viele Länder eine Provokation dar und stößt insbesondere in einigen Staaten Westeuropas, allen voran in Deutschland und Frankreich, sowie in der arabischen Welt auf Ablehnung. Das traditionelle Selbstverständnis der Amerikaner klingt in diesen Ländern unzeitgemäß, wird als Überheblichkeit und als Hegemonialstreben massiv verurteilt.
Auf der anderen Seite des Atlantiks blickt man indes auf Europäer und Araber als notorische Unruhe- und Brandstifter, als "eine Masse von Skorpionen", wie es Walter Russell Mead nennt, die, wenn nicht von einer Großmacht gezähmt, sich und die übrige Welt vergiften und auffressen. Charles Krauthammer, einer der namhaftesten Kommentatoren in den USA, fasste diese Wahrnehmung einmal folgendermaßen zusammen: "Europäische Liga und Arabische Union - oder heißt es umgekehrt? Alles das Gleiche!"
Gerade der Verlauf des vergangenen Jahrhunderts hat den Amerikanern schmerzlich vor Augen geführt, dass ohne ihre Einmischung kein Weltfrieden möglich scheint. Allerdings wird ihnen dafür nicht jener Dank entgegengebracht, den sie als gebührend empfinden. Hier sei einmal nicht von dem Engagement der Amerikaner im Ersten und Zweiten Weltkrieg die Rede oder von der großzügigen Unterstützung des "Feindes Deutschland" nach dessen Niederlage. Vielmehr sei einmal die Rolle der USA seit 1945 in Nahen Osten analysiert, jener Region, von der aus spätestens seit dem 11. September 2001 eine massive Bedrohung des Weltfriedens ausgeht, mit den USA als Hauptziel, stellvertretend für die westliche Zivilisation.
Man erinnere sich beispielsweise der Suez-Krise 1956: Frankreich und England marschieren in Ägypten ein und wollen den Suez-Kanal besetzen. Das schwache Ägypten hat dieser Invasion nichts entgegenzusetzen. Hilfe von den arabischen Brüdern bleibt aus. Wer interveniert und zwingt die beiden Kolonialmächte zum Rückzug? Der amerikanische Präsident Eisenhower. Wer heftet sich diesen Erfolg an die Brust? Der damalige ägyptische Diktator Nasser.
Ein anderes Beispiel: Der Yom-Kippur-Krieg 1973: Israel wird von einer arabischen Übermacht überfallen, schafft es, die Angreifer zurückzuwerfen und tritt zur Gegenoffensive an. Kairo und Damaskus drohen von Israelis erobert zu werden. Wer zwingt die Israelis zum Rückzug und an den Verhandlungstisch? Der amerikanische Präsident Nixon und sein gewiefter Außenminister Kissinger. Dass sie die Demütigung Ägyptens und Syriens verhindert haben, wurde beiden Staatsmännern von arabischer Seite nie gedankt.
Aufgrund der langen Geschichte dieses ständigen "Undanks" der arabischen Seite entschloss sich die Bush-Regierung nach ihrem Amtsantritt im Januar 2001, ihr Engagement im Nahen Osten niedrig zu halten. Nicht noch einmal sollte ein amerikanischer Präsident von dort düpiert werden, war die Haltung im Weißen Haus, um am 11. September 2001 feststellen zu müssen, dass die USA bereits tief in die konfliktreiche Gemengelage des Orients hineingezogen waren. Ein Heraushalten war gar nicht mehr möglich. Der Terror-Chef der islamischen Welt hieß nicht mehr Jassir Arafat, sondern Osama Bin Laden. Und der dachte nicht daran, den Amerikanern zu gestatten, sich aus der Region zurückzuziehen, auch wenn er in seinen offiziellen Botschaften genau das Gegenteil fordert.
Warum? Weil Bin Ladens eigentlicher Kampf ein außerhalb seiner Heimat Saudi-Arabien geführter Bürgerkrieg gegen das Königshaus Saud ist.
Kritik an Saudi-Arabien
Das zutiefst korrupte und tyrannische Königshaus konnte sich bislang nur an der Macht halten, weil es von den USA stets militärisch gestützt und verteidigt wurde, zuletzt gegen eine drohende Invasion des irakischen Diktators Saddam Hussein im Jahr 1991. Indem Bin Laden jedoch die USA terroristisch angriff und für die insgesamt 19 Attentäter 15 Saudis auswählte, trieb er erfolgreich einen Spalt-Keil zwischen die Allianz Riad-Washington. Tatsache ist: Seit dem 11. September ist der Honey Moon zwischen Amerikanern und Saudis zu Ende. Die Kritik an dem fundamentalistischen Saudi-Regime ist nirgendwo so groß wie in den USA. Worin sich der Terroristenchef Bin Laden indes verrechnet hat, ist, dass sich die Amerikaner nicht schockiert aus der Region zurückgezogen haben, sondern auf den Terrorangriff offensiv und militärisch reagierten.
Ob die Bush-Regierung nach der raschen Beseitigung des Taliban-Regimes in Afghanistan überreagiert hat, indem sie auch noch im März 2003 den irakischen Diktator aus dem Amt jagte, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Allerdings: Auch wenn sich der ursprüngliche Grund - das Aufspüren und Beseitigen von angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak - als hinfällig erwiesen hat, teilen immer mehr Beobachter der Region - Journalisten wie Politiker - die Ansicht, dass die Transformation des Iraks zu einer Demokratie eine nachhaltige und tiefgreifende Veränderung des gesamten Nahen Ostens herbeiführen kann. Und zwar nicht so, wie früher die Kolonialmächte Frankreich und England dies taten. Sondern das Eigeninteresse der USA an dieser Veränderung liegt im Sicherheitsbereich. Präsident Bush betont seit drei Jahren, er sei zutiefst davon überzeugt, dass von Demokratien keine Kriege ausgehen, sondern nur von autoritären Regimen. Deshalb müsse die arabische Welt demokratisiert werden, dann würde den islamistischen Terroristen der Zulauf entzogen werden.
Abzug der Syrer aus dem Libanon
Auch wenn eine Reihe europäischer Staaten diese Argumentation nicht teilt, kann bereits festgestellt werden, dass Irakis offenkundig trotz Todesdrohungen gerne wählen gehen und für die Demokratie aufgeschlossen sind. Auch die plötzliche Ankündigung Syriens, seine nahezu 30-jährige Besatzung des Libanons aufzugeben, ist wohl eher darauf zurückzuführen, dass 130.000 amerikanische Soldaten im Nachbarland Irak stehen - die Vereinigten Staaten sozusagen selbst eine "arabische Macht" sowie ein Nachbar von Syrien geworden sind. Gleiches gilt für die ruhigen Wahlen der Palästinenser. Die Nachfolge Arafats führte nicht, wie von europäischen Kommentatoren befürchtet, ins Chaos, sondern wurde überzeugend demokratisch durchgeführt. Im Juli oder August wollen die Palästinenser freie Wahlen für ihr Autonomie-Parlament - dem Palästinensischen Legislativrat - abhalten, auf Druck der Amerikaner, wie Fatah-Abgeordnete zugeben. Und in Ägypten hat der seit 1981 dauergewählte "Präsident" Hosni Mubarak vor kurzem die Verfassung dahingehend geändert, dass in diesem Jahr erstmals Präsidentschaftswahlen mit Gegenkandidaten abgehalten werden können. Alles Zufall?
Jahrzehntelang war es den USA genauso gleichgültig wie den Europäern, wer im Nahen Osten regierte. Die Fatwa des Fanatikers und selbsternannten Scheichs Osama bin Laden, mit der er offiziell am 23. Februar 1998 den "Heiligen Krieg aller Moslems gegen die Juden und Kreuzritter" ausrief, stieß bis 2001 auf keine Resonanz. Erst als Bin Laden nicht länger dulden wollte, dass er von der Welt ignoriert wurde, und die USA zur Heimat der "neuzeitlichen Kreuzritter" bestimmte, hoben die USA den ihnen hingeworfenen Fehdehandschuh auf. Bin Laden wusste, dass Europa auf keine wie auch immer geartete Provokation reagieren würde. Nur die USA waren und sind selbstbewusst und mächtig genug, - wie von Bin Laden gewünscht - das Schwert mit ihm zu kreuzen. Und zur vollsten Zufriedenheit des Terroristen ließ sich Präsident Bush in seinem ersten Statement nach dem Terrorangriff dazu hinreißen, von einem "Kreuzzug" gegen die Terroristen zu sprechen. Allerdings hat Bush, oder besser gesagt haben die Amerikaner die Islamisten dahingehend überrascht, dass sie den "Kreuzzug" in die Region der Terroristen trugen. Die Bilanz dreieinhalb Jahre nach dem 11. September 2001 lautet: Die sichere afghanische Basis Bin Ladens sowie das Taliban-Helfershelfer-Regime ist zerschlagen, er selbst seither auf der Flucht; weltweit werden Al-Qaida-Mitglieder festgenommen, Gelder eingefroren, zahlreiche neue Anschläge wurden aufgedeckt und vereitelt; kein neuer Anschlag auf die USA gelang, und die Amerikaner sind im Nahen Osten präsenter denn je. Bin Laden hat sich verrechnet, ebenso wie einige europäische Mächte. Von dem deutschen Außenminister Joschka Fischer ist zum Beispiel bekannt, dass er im Februar 2003 überzeugt war, ein Krieg der Amerikaner gegen Saddam Hussein werde Jahre dauern. Fakt ist: Die Irak-Invasion dauerte knappe vier Wochen. Der Irak steht zwei Jahre später kurz vor der Selbstregierung.
Die USA fühlen sich allein gelassen
Beunruhigend für die Zukunft bleibt allerdings, dass sich die USA seit der Irak-Invasion allein gelassen fühlen. Sowohl die Mehrheit der Bevölkerung als auch die Politik gehen davon aus, dass Amerika in keinem für ihn essentiellen Ernstfall - mit Ausnahme Großbritanniens - auf verlässliche Verbündete zählen kann. Die Strategien, die sich aus solch einer Erkenntnis ableiten, liegen auf der Hand: Während die übrige Welt mehr und mehr Bündnisse schließt, die Staaten Europas in die politischen Bündnisse der Europäische Union und der NATO drängen, sieht das allein gelassene Amerika sich an immer weniger internationalen Verpflichtungen gebunden und stellt immer hemmungsloser seine eigenen Interessen in den Vordergrund. Die große Herausforderung für die Weltgemeinschaft besteht also darin, Amerika wieder jenes Vertrauen zu geben, das es braucht, um sich durch Bündnisse "binden" zu lassen.
Josef-Thomas Göller berichtete zwischen 2000 und 2004 für
"Das Parlament" aus Washington.