Für das iranische Regime hätten die Präsidentschaftswahlen kaum besser laufen können: Mit rund 63 Prozent in der ersten und 59 Prozent in der zweiten Runde fiel die Wahlbeteiligung höher aus, als noch im Vorfeld erwartet wurde. Die Teilnahme war zwar etwas niedriger als bei den Präsidentschaftswahlen zuvor, aber doch höher als bei den Parlamentswahlen im Februar und ausreichend, um als Bestätigung des Systems interpretiert zu werden.
Durch eine großartige Demonstration von nationaler Solidarität und öffentlicher Anteilnahme habt ihr eure feste Entschlossenheit bewiesen, die nationale Unabhängigkeit zu verteidigen und tapfer die Interessen des Landes und des Systems der islamischen Republik zu sichern", dankte Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamene'i den Wählern.
Zum zweiten gelang es, einen absoluten Außenseiter in das Präsidentenamt zu hieven und damit die Macht der Konservativen zu konsolidieren. Vor den Wahlen war Mahmoud Ahmadinejad selbst in Teheran, wo er seit zwei Jahren als Bürgermeister arbeitete, weitgehend eine politisch zu vernachlässigende Größe. Im Iran werden Bürgermeister nicht direkt gewählt.
In der ersten Wahlrunde am 17. Juni überraschte er damit, dass er die zweitmeisten Stimmen erzielte und sich damit für die Stichwahl eine Woche später qualifizierte. Wahrscheinlich war nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Mitglieder der Revolutionären Garden und der Basiji, der paramilitärischen Freiwilligengruppen, hatten alle Anstrengungen unternommen, um unsichere Wähler dazu zu bewegen, sich für den "richtigen" Kandidaten zu entscheiden. Der erzkonservative Wächterrat, der eigentlich nur den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahlen zu überwachen hat, hatte die Stimmauszählung weithin in die Hand genommen. Die mit den Ultrakonservativen eng verbundene Zeitung Kayan gab schon vor Beginn der Auszählung eine Titelseite in Druck, die das völlig überraschende Ergebnis verkündete.
Mehdi Karroubi, ein populistischer, moderater Reformer, der als Dritter abschnitt, beschwerte sich in der Folge lautstark über "massive Eingriffe mächtiger Gruppen". Die von ihm angekündigten Beweise blieben allerdings aus. Die Warnung des Revolutionsführers, Kharroubi drohe das Land "ins Chaos zu stürzen und damit den ausländischen Feinden in die Hände spielen, was auch auf dich zurückfallen wird", mag zu seinem Gesinnungswandel beigetragen haben.
Auch die Stichwahl steht im Schatten erheblicher Zweifel am fairen Ablauf. Wieder traten die Revolutionären Garden und die Basiji auf den Plan, wieder wusste Kayan das Ergebnis vor Beginn der Auszählung. Das Innenministerium, für die Auszählung verantwortlich, klagte, die Wahl sei ihm in den letzten zwei Stunden vom Wächterrat vollständig aus der Hand genommen worden.
Ex-Präsident Ali-Akbar Haschemi Rafsanjani, der vorab als Favorit gehandelt worden war, in der zweiten Runde aber unterlag, hatte Mühe, seinen Groll zu unterdrücken. "Diejenigen, die unrechtmäßig die Wahl beeinflussten, sollen wissen, dass sie vom göttlichen Gericht bestraft werden."
Unabhängig von möglichen Manipulationen ist der Ausgang Anlass genug, einige liebgewordene Vorstellungen über die innenpolitische Situation im Iran zu revidieren. Zum einen hat sich eine Bevölkerungsschicht auf der politischen Bühne zurückgemeldet, die im politischen Diskurs der vergangenen Jahre weitgehend ausgeblendet wurde. Ahmadinejad präsentiert sich als ein Kandidat der kleinen Leute, der Besitzlosen und Unterprivilegierten und hatte damit Erfolg. Ihre wirtschaftliche Lage hat sich seit der Revolution nicht wesentlich verbessert und verbittert sehen sie, wie einige Privilegierte immer reicher werden, während sie zunehmend verarmen. Der unterlegene Rafsanjani ist der bekannteste Exponent dieser privilegierten Schicht, die sich selbst schamlos bereichert. Nach offiziellen Angaben leben rund 20 Prozent der Bevölkerung im Iran unter der Armutsgrenze. Zehn Prozent leben in primitivsten Behausungen.
Auffällig ist, dass ihre Enttäuschung noch nicht soweit umgeschlagen ist, dass sich der Zorn gegen die Revolution selbst und ihre Vertreter richtet. Die Unzufriedenheit sitzt zwar tief, aber dennoch hatte sich Ahmadinejad nicht allein schon dadurch disqualifiziert, dass er im Wahlkampf auch weiterhin das Banner der alten Ideale vor sich hertrug.
Anders herum war eine Stimme für Ahmadinejad nicht unbedingt auch Ausdruck der Zustimmung zum System. Viele Wähler suchten vielmehr nach einer Alternative, nachdem sie sich sowohl vom alten Apparat wie von den Reformern enttäuscht fühlen. Ahmadinejad galt als frisches Gesicht, der zudem durch sein einfaches Auftreten und seinen bescheidenen Lebensstil Sympathien für sich gewann. Auch Karroubi hatte auf diesen Effekt spekuliert. Er versprach, jedem erwachsenen Iraner monatlich rund 50 Euro aus den Öleinnahmen zu zahlen und schaffte es damit auf den dritten Platz.
Auch wenn das Regime nach wie vor äußerst unpopulär ist, hat sich doch gezeigt, dass Voraussagen in- wie ausländischer Beobachter, sein Ableben sei nur noch eine Frage der Zeit, verfrüht sind. Immerhin ist es der Machtelite gelungen, einen Außenseiter in das Präsidentenamt zu bringen und damit seine Macht über alle staatlichen Institutionen auszudehnen. Das Parlament wurde bereits im Februar vorigen Jahres zurückerobert, nachdem der Wächterrat alle Reformkandidaten von der Wahl ausgeschlossen hatte.
Die Reformer sind dagegen weit schwächer als gern angenommen wurde. Ihr Kandidat Mustafa Moin landete abgeschlagen auf dem fünften Platz. Aus der heutigen Perspektive wird deutlich, dass der überwältigende Wahlerfolg des nun aus dem Amt scheidenden Präsidenten Mohammad Khatami das Resultat einer ähnlichen Protestbewegung war, die nun Ahmadinejad nach oben gebracht hat. Khatami hat zwar einige wirtschaftliche Verbesserungen wie den Abbau der Auslandsverschuldung, verbesserte Bedingungen für Auslandsinvestitionen und den Beginn der Privatisierung eingeleitet, aber diese Maßnahmen kamen der Unterschicht nicht direkt zugute.
Im Wahlkampf hatte Moin die wirtschaftliche Situation nicht einmal angesprochen, sondern Themen wie bürgerliche Freiheiten und Demokratisierung in den Mittelpunkt gestellt. Dies sind eher die Belange der gebildeten Mittel- und der Oberschicht.
Auch die europäischen Regierungen werden ihre Annahmen ein wenig korrigieren müssen. Sie hatten auf einen Wahlsieg von Rafsanjani gesetzt und seine Selbstdarstellung für bare Münze genommen, er verfüge über ausreichend Erfahrung und Einfluss, um eine Annäherung an den Westen auch gegen die Hardliner im Regime durchzusetzen. Weder seine Erfahrung noch sein Einfluss reichten aus um zu verhindern, dass er bei der Wahl von der erzkonservativen Machtelite, die mit ihm nicht auf gutem Fuß steht, ausgebootet wurde.
Mit Ahmadinejad haben sie es jetzt mit einem Präsidenten zu tun, der sich in den ersten Tagen nach der Wahl darum bemühte, sich ein freundlicheres Image zuzulegen. Von seiner Biografie her ist er ohne Frage ein Hardliner. Er gehörte zu den revolutionären Studenten, die als Freiwillige im Krieg gegen den Irak an die Front gingen. Er schaffte es bis zum Chefingenieur der 6. Armee der Revolutionären Garden, 1987 promovierte er an der Teheraner Universität für Wissenschaft und Technik. Danach wurde er Gouverneur der im Nordwesten gelegenen Provinz Ardebil. Nach einem Zwischenaufenthalt an der Universität löste er schließlich einen Reformer als Bürgermeister von Teheran ab.
In seiner ersten Ansprache nach dem Sieg versprach er "einen fortgeschrittenen, modernen und islamischen Iran", der für die ganze Welt ein Beispiel geben würde. In seiner ersten Pressekonferenz blieb er in den Einzelheiten aber vage. Immerhin kündigte er an, die Verhandlungen mit den Europäern über das iranische Atomprogramm fortsetzen zu wollen. Er begrüßte ausländische Investitionen und den Ausbau von wirtschaftlichen Beziehungen und dementierte, er sei ein Feind der Börse oder der Privatisierung der iranischen Wirtschaft. Nur den Amerikanern zeigte er die kalte Schulter. "Wir können auch gut ohne bessere Beziehungen leben", behauptete er kühn.
Seine zukünftige Politik wird Mahmoud Ahmadinejad sicher in vielen Punkten noch selbst formulieren müssen, nachdem er so plötzlich vom Regionalpolitiker zum Präsidenten katapultiert wurde. Große Kurswechsel sollten allerdings nicht erwartet werden. Er ist ein Mann der konservativen Machtelite um Revolutionsführer Khateme'i. Dieser Kreis, durch keine demokratische Wahl legitimiert, hat ihn aufgebaut und er wird ihre Politik umsetzen.
Innenpolitisch bedeutet das einen Stillstand in der Öffnung der Gesellschaft. Extremisten werden die Gelegenheit nutzen, um in der Kultur, bei den Rechten der Frauen oder bei den persönlichen Freiheiten das Rad wieder ein Stück zurück zu drehen. Das Regime wird sich aber hüten, die offene Konfrontation zu riskieren, noch kann es sich gegen den allgemeinen Trend der zunehmenden Liberalisierung sträuben. Dissidenten und die kritischen Medien sehen schweren Zeiten entgegen.
Wirtschaftpolitisch deutet sich eine Politik des "Iran first" an. Das Regime weiß, dass es auf ausländische Kooperation und Investitionen angewiesen ist, um seine wachsenden wirtschaftlichen Probleme zu lösen und damit das eigene Überleben zu sichern. Gleichzeitig verfolgt es aber eine Politik der wirtschaftlichen Eigenständigkeit. In der Praxis bedeutet dies, dass bei Partnerschaften auf einen Technologietransfer großes Gewicht gelegt wird. Der steigende Rohölpreis bringt zudem Geld in die Kassen, mit dem sich einige Sozialprogramme finanzieren lassen werden.
Außenpolitisch hat auch in der Vergangenheit der Revolutionsführer die Linie bestimmt. Es wird beim tiefen Misstrauen gegenüber den USA und der Strategie bleiben, Bündnispartner im Osten durch den Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen zu suchen. Ein Ausbau der Beziehungen mit den europäischen Staaten ist für Teheran äußerst attraktiv. Davon würde nicht nur die eigene wirtschaftliche Entwicklung profitieren, sondern es würde es Washington auch erschweren, aggressiv eine Politik des Regimewechsels zu betreiben.
Wie viele Zugeständnisse man dabei den Europäern zu machen bereit ist, ist im Regime selbst umstritten. Mit Ahmadinejad haben sich die Akzente ein wenig zugunsten der Befürworter einer härteren Linie verschoben. Die Atomgespräche, die im August fortgesetzt werden sollen, werden ein erster Testfall sein.