Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 41 / 10.10.2005
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"Die Aufmerksamkeit für Konflikte hält nicht lange an"

Interview mit David Harland, Leiter der "Best Practices"-Einheit in der Hauptabteilung für Friedenseinsätze der Vereinten Nationen

Immer wenn auf der Welt die Alarmglocken schrillen, wird kollektiv auf die Vereinten Nationen geblickt. Bei der friedlichen Beilegung von Konflikten und nicht zuletzt beim Aufbau neuer staatlicher Strukturen (Nation-Building) fällt den Vereinten Nationen eine Schlüsselrolle zu. Dieser Herausforderung scheinen sie allerdings nur bedingt gewachsen. Trotz kürzlicher Erfolge in der Stabilisierung von Ost-Timor und Sierra Leone, versucht die UNO vergeblich die Verbrechen im Kongo und im Sudan dauerhaft einzudämmen. Die Bilanz ihrer Arbeit ist ernüchternd: In der Hälfte aller befriedeten Staaten bricht durchschnittlich in weniger als fünf Jahren erneut ein Krieg aus. Eine weitreichende Reform soll Abhilfe schaffen. Dabei geht es nicht nur um die vieldiskutierte Erweiterung des Sicherheitsrats, sondern auch um den effizienteren Einsatz von Truppen und zivilen Hilfskräften bei der dauerhaften Schaffung von Frieden als Fundament der Staatenbilung. Über die Möglichkeiten und Grenzen des UNO-Engagements bei der Staatenbildung hat "Das Parlament" mit David Harland gesprochen. Er ist der Leiter der "Best Practices"-Einheit in der Hauptabteilung für Friedenseinsätze (Department of Peacekeeping Operations) der Vereinten Nationen.

Das Parlament: Nation-Building gehört eigentlich nicht zu den originären Aufgaben der Vereinten Nationen. Trotzdem erhebt die UNO bei ihren Einsätzen mehr und mehr den Anspruch, Staaten dauerhaft zu stabilisieren. Warum?

David Harland: Stimmt, Nation-Building steht nicht in der Charta der Vereinten Nationen. Allerdings sind auch Blauhelmeinsätze dort nicht explizit aufgeführt und trotzdem ist die Entsendung von Truppen Teil der UN-Missionen. Die Art der Kriegsführung hat sich verändert. Heute sind die meisten Kriege Bürgerkriege, die in sehr schwachen und für Gewalt anfälligen Staaten ausbrechen. An der Verbindung zwischen Afghanistan und den terroristischen Anschlägen in den USA 2001 haben wir gesehen, dass es einen Zusammenhang zwischen Staatenzerfall und kollektiver Sicherheit gibt. Da sich die UNO der Wahrung des internationalen Friedens und der kollektiven Sicherheit verpflichtet hat, müssen wir uns um diese Konflikte kümmern.

Das Parlament: Was ist die spezifische Stärke eines UN-geführten Wiederaufbaus eines Staates?

David Harland: Die Stärke der UNO ist die Bandbreite ihrer Einsatzmöglichkeiten. Wir haben das militärische, politische, humanitäre und entwicklungsmäßige Potenzial, um zerütteten Staaten, in denen die Gesellschaftsstrukturen zerfallen sind, etwas zu bieten. Wir können Gewalt eindämmen und auf dieser Grundlage Sicherheit schaffen. Wenn man sich die USA anschaut und ihren Einsatz im Irak, sieht man, wie schwierig es ist, die ganze Pallete an Maßnahmen zu beschliessen und effektiv einzusetzen. So gesehen haben die Vereinten Nationen eine gute Mischung gefunden.

Das Parlament: In Somalia, Ruanda und auf dem Balkan hat die UNO ihre Ziele nicht erreicht. Kann die UNO Völkermord und Massaker in Zukunft verhindern?

David Harland: Wir sind immer noch im Kosovo und ich hoffe, dass wir dort größere Gewalt künftig verhindern können. Generell glaube ich, dass die UNO ein relativ effektives Instrument ist, wahrscheinlich das effektivste, das wir zurzeit haben. In den letzten 15 Jahren haben wir uns zu bestimmten Zeitpunkten auf verschiedene Art und Weise in den Kreislauf eines Konflikts eingeschaltet, in Guatemala und El Salvador, Namibia und Mosambik, Kambodscha, Sierra Leone, Ost-Timor und vor kurzem in Burundi. Wir konnten diese Konflikte stabilisieren und in vielen Fällen konnten wir sie auf den Weg einer friedlichen und anhaltend positiven Entwicklung bringen.

Das Problem, das wir haben - im Übrigen nicht nur wir, sondern auch viele andere internationale Akteure -, sind diejenigen Fälle, in denen man die Staaten stabilisieren kann, aber in denen Stabilität nicht ausreicht. Wenn wir das Engagement beenden, können diese Staaten sehr leicht wieder in einen Krieg zurück-fallen. In Haiti zum Beispiel hatten die UNO, die USA und die multinationalen Truppen mehrere Einsätze und sind wieder abgezogen. In Haiti sind jedesmal wieder Unruhen ausgebrochen, weil staatliche Institutionen fehlen, die Wirtschaftswachstum lenken und soziale Stabilität garantieren können. Die Herausforderung für die Vereinten Nationen besteht darin, Methoden zu finden, wie man mit solchen Problemen des Rückfalls in einen Konflikt umgehen kann.

Das Parlament: Zurzeit liegt die Rückfallquote bei 50 Prozent.

David Harland: Richtig, etwa die Hälfte der Friedensabkommen werden innerhalb von fünf Jahren gebrochen. Statistisch gesehen gibt es zwei Zeitspannen, die uns Sorgen machen. Die erste Phase sind die ersten sechs bis zwölf Monate nachdem ein Friedensabkommen unterzeichnet wurde. Es gibt noch große Teile der Bevölkerung, die bewaffnet sind, es herrscht eine sehr labile politische Situation und oft gibt es ein legales Vakuum. In dieser ersten Zeit besteht die Herausforderung darin, Sicherheit zu vermitteln, Sicherheit vor einer Einmischung von außen, als auch Sicherheit innerhalb eines Landes. Kämpfer müssen entwaffnet, demobilisiert und in die Gesellschaft reintegriert werden. Die Menschen müssen das Gefühl bekommen, dass Frieden ihnen mehr bietet als der Krieg. Dazu zählen auch Bemühungen, Arbeitsplätze zu schaffen, wenn auch erstmal für kurze Zeit.

Die zweite riskante Phase beginnt drei Jahre nach dem Friedensabkommen, wenn sich das internationale Interesse und die Aufmerksamkeit der Geldgeber verlagert hat. Für die Außenwelt sind diese Länder stabil, aber oft sind die Erwartungen der Bevölkerung nicht erfüllt worden. Wir als internationale Gemeinschaft müssen den Einsatz in beiden Phasen verbessern, sowohl wenn es um die Schaffung von Sicherheit geht, als auch wenn es darum geht, eine anhaltende Hilfe zu gewähleisten und das Wirtschaftswachstum zu fördern.

Das Parlament: Sind Konzepte, wie Entwaffnung von Kombattanten, Rechtsstaatlichkeit und funktionierende staatliche Institutionen für ein UN-Engagement überhaupt realistische Ziele?

David Harland: Die Entwaffnung von Kämpfern ist ein Bereich, in dem wir mittlerweile sehr viel Erfahrung haben. In Kambodscha, Mosambik und gerade in Sierra Leone haben wir Entwaffnungsprogramme erfolgreich abgeschlossen. Es gibt keinen Zweifel, dass diese Programme beim Übergang zum Frieden helfen können. Allerdings muss man sehen, dass sich diese Programme nicht in allen Ländern gleich umsetzen lassen. Nur wenn der Wille der Bevölkerung da ist, daran mitzuwirken, können sie erfolgreich sein. Wo es diesen Willen nicht gibt, kann eine gezwungene Entwaffnung den Konflikt noch verschlimmern. In Haiti ist es zum Beispiel gerade so, aber auch in der von den USA geführten Koalition in Somalia hat eine gezwungene Entwaffnung den Friedensprozess eher erschwert als erleichtert.

Das Parlament: Ost-Timor, noch immer eines der ärmsten Länder der Welt, wird heute als großer Erfolg der UN-Maßnahmen bezeichnet. Warum?

David Harland: Als wir nach Ost-Timor kamen war das Land am Boden. Ich bin selbst im November 1999 zusammen mit Sergio Vieira de Mello (früherer UN-Hochkommissar für Menschenrechte, der im August 2003 bei einem Anschlag im Irak getötet wurde; Anm. d. Red.) dort gewesen und wir haben die blaue Flagge über einem Gebiet gehisst, dass nur noch ein Schutthaufen war. 60 Prozent der Häuser waren komplett zerstört oder stark beschädigt. Die Verwüstung war unbeschreiblich. Einige Jahre später ist Ost-Timor unabhängig, die Gewalt ist beendet, ein demokratischer Prozess hat stattgefunden und es gab die ersten Wahlen. Das ist, gemessen an der Ausgangssituation, sicherlich ein Erfolg.

Das Parlament: Der Blauhelmeinsatz wurde im April diesen Jahres in eine politische Mission überführt mit 130 militärischen und zivilen Hilfskräften. Kofi Annan hat vor der noch angespannten Situation in Ost-Timor gewarnt. Kommt der Abzug der Truppen nicht zu früh?

David Harland: Wir sollten nicht für immer in Ländern bleiben. Aber ich sehe schon die Gefahr, dass man ein Land zu früh verlassen kann, nämlich wenn man geht, bevor der Frieden die Möglichkeit hatte, sich zu etablieren. Die Europäer und die NATO sind zum Beispiel seit mittlerweile zehn Jahren in Bosnien. Speziell bei Bürgerkriegen ist es hilfreich eine Art Sicherheitsgarantie über eine längere Zeit zu gewähren.

Das Parlament: Wenn man aber auf der anderen Seite keine Ergebnisse vorweisen kann, wird ein langer Aufenthalt von der Bevölkerung abgelehnt, gerade in Bosnien, aber auch im Kosovo, sind die Menschen frustriert.

David Harland: Sicher, in Bosnien sind die Menschen seit einem Jahrzehnt frustriert, aber die Präsenz der NATO-Truppen - IFOR und SFOR - früher und der europäischen Truppen - EUFOR - heute sind wichtig, damit die Menschen merken, dass sich die Zeit nicht zurückdrehen lässt, und dass sich Probleme nicht durch Gewalt lösen lassen.

Was den Kosovo betrifft, stellt sich die Frage nach dem endgültigen Status des Landes. Es wird große Spannungen geben, solange nicht geklärt ist, ob der Kosovo unabhängig sein wird oder nicht. Diese Frage wurde vom Sicherheitsrat 1999 nicht gelöst und gerade wird diskutiert, ob es dazu eine Resolution geben wird. Wir müssen alle einsehen, dass uns eine schwierige Zeit bevorsteht, bis Kosovos Status geklärt ist.

Das Parlament: Der Kosovo ist ein relativ kleines und überschaubares Gebiet verglichen mit großflächigen Staaten wie der Demokratischen Republik Kongo oder dem Sudan. Kann man in solchen Ländern mit vergleichsweise wenigen Truppen dauerhaften Frieden schaffen?

David Harland: Das ist in der Tat ein riesengroßes Problem. Traurige Gewissheit ist, dass den Ländern, die die Ressourcen haben, der Frieden in Afrika nicht so wichtig ist wie der in Europa. Im Kosovo zum Beispiel verfügt man über mehr multinationale Truppen als in der Demokratische Republik Kongo, aber der Kongo ist 250 mal so groß wie der Kosovo. 300 mal mehr Menschen sind im Kongo im Krieg gestorben. Im Kosovo und im Kongo muss man mit verschiedenen Strategien arbeiten. Im Kosovo kann man einen ressourcenintensiven Einsatz verfolgen, während wir im Kongo ein Tropfen auf dem heißen Stein sind. Die Tatsache, dass es in Afrika keine optimalen Bedingungen geben wird, macht unsere Arbeit natürlich sehr viel schwerer.

Das Parlament: Die Möglichkeit eine eigene UN-Truppe aufzubauen wird seit langem diskutiert. Wäre das eine Option?

David Harland: Es wäre eine tolle Sache, aber ob das eine realistische Möglichkeit ist oder nicht weiß ich nicht. Wenn ein Konflikt ausbricht werden wir allerdings immer wieder mit einem Problem konfrontiert: Wir müssen Wochen, manchmal Monate, damit verbringen Länder zu finden, die willens sind, uns ihre Truppen zur Verfügung zu stellen. Wenn wir gleich zu Anfang einer Krise einige Truppen zu unserer Verfügung hätten, würden viele unserer späteren Probleme erheblich reduziert.

Das Parlament: Die Blauhelme, die heute in den meisten Krisengebieten eingesetzt werden, kommen größtenteils aus Entwicklungsländern. Scheuen sich Deutschland und andere Industrienationen davor, mehr Verantwortung zu übernehmen?

David Harland: Die drei größten Truppensteller kommen aus Südost-Asien, die drei größten Beitragszahler sind die USA, Japan und Deutschland. Da gibt es ein enormes Missverhältnis. Das System wäre sicher erfolgreicher, wenn diese Länder auch mehr Personal zu den Blauhelmeinsätzen beitragen würden. Mittlerweile stellen die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats mehr und mehr personelle Ressourcen zur Verfügung. Großbritannien hat Truppen in Zypern und geht jetzt auch in den Sudan, Frankreich engagiert sich in der Elfenbeinküste und China entwickelt sich ebenfalls zu einem wichtigen Partner. Ich glaube, wir können diese Länder dazu bringen, sich mehr und mehr einzumischen wenn nötig.

Das Parlament: Könnte sich Deutschland dann nicht gerade jetzt - mit Blick auf den Wunsch nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat - bei der Übernahme von mehr Verantwortung profilieren?

David Harland: Wir würden natürlich eine Teilnahme Deutschlands an diesen Missionen begrüßen. Der Sudan im nördlichen Afrika liegt beispielsweise im Wirkungskreis des deutschen Militärs. Dort könnte Deutschland eine große Rolle übernehmen. Deuschland ist schließlich bereits stark als Geldgeber engagiert.

Das Parlament: Heute schon übernehmen regionale Organisationen, wie die AU (African Union) und ECOWAS (Economic Community of West African States) Verantwortung auf dem afrikansichen Kontinent. Werden solche Einsätze in Zukunft zunehmen?

David Harland: Es gibt genug Konflikte auf dieser Welt, um auch den Rest der Welt noch zu beschäftigen. Das Problem sind nicht zuviele Akteure und nicht genügend Arbeit. Wir müssen uns bei der Zusammenarbeit verbessern. Dabei müssen wir aufpassen, dass wir nicht hinnehmen, dass in Afrika die Qualität der Blauhelmeinsätze geringer ist, nur weil es dort weniger zu holen gibt. Wir bewegen uns allmählich in eine solche Richtung. In Bosnien und im Kosovo investieren wir Milliarden in die Einsätze. In Afrika hingegen, wo die Konflikte viel ausgeprägter sind, das Leid und die Anzahl der Toten weitaus größer, sind wir mit weniger Truppen vor Ort. Die regionale Hilfe ist deshalb sicher willkommen, sie sollte aber trotzdem in die globalen Bemühungen integriert werden, um eine gerechte Verteilung der Aufgaben zu garantieren.

Das Parlament: Kümmert es die Europäer zu wenig, was in Afrika passiert?

David Harland: Menschen neigen dazu, sich für ihren Hinterhof zu interessieren. Das ist verständlich und muss uns auch klar sein. Wo es möglich ist, müssen wir aber die Menschen auch in die globale Pflicht nehmen. Die von Javier Solana [Hoher Vertreter für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP); Anm. d. Red.] vertretene europäische Sicherheitspolitik sieht eine sehr ambitionierte Rolle der EU auf diesem Gebiet vor. Einen regionalen Fokus zu besitzen und ein verstäktes Engagement in einem Gebiet ist an sich nichts Schlechtes, wenn man auch die globalen Aufgaben darüber nicht aus dem Auge verliert. Ich bin sehr optimistisch was die Europäische Union und ein Engagement in Afrika angeht, obwohl es ab und an Probleme gibt.

Das Parlament: Was kann die Peacebuilding Commission bei der Stabilisierung von Staaten besser machen als bisher?

David Harland: Die Peacebuilding Commission soll eine wichtige Rolle in der Koordination unterschiedlichster Akteure spielen. Sie soll dabei zwischen sicherheitspolitischen Maßnahmen, den Geberländern, den Staaten, die die Truppen stellen und den internationalen Finanzinstitutionen, die meist sehr lange im Land bleiben, vermitteln.

Ein Problem, das wir schon sehr lange in der internationalen Gemeinschaft haben ist sicherzustellen, dass die verschiedenen Teile im internationalen Mechanismus, das Militär, die Polizei, die Wahl- und Verfassungsorgane und die humanitäre Hilfe ineinandergreifen und sich nicht gegenseitig in ihrer Arbeit behindern. Wir versuchen, dieses Ziel zu erreichen, aber es gelingt uns nicht immer. 1996 in Bosnien zum Beispiel haben wir sehr früh eine Wahl durchgeführt und ich glaube, dass die Zeit noch nicht reif war. Dadurch wurden die ethnischen Differenzen im Land noch verstärkt. Die Peacebuilding Commission könnte ein sehr nützliches Instrument sein, um eine Kontinuität der Bemühungen zu gewährleisten, aber vor allem um eine internationale Konfliktinervention zu planen und die verschiedenen Elemente aufeinander abzustimmen.

Das Parlament: Wie kann man diese Konzepte, die in der Theorie gut klingen, in der Realität auch wirklich umsetzen?

David Harland: In Ost-Timor hatten wir ein gutes Konzept, wo wir viele Ressoucen von anderen Staaten und Organisationen geliehen haben. Wenn wir eine Zentralbank brauchten, haben wir beim Internationalen Währungsfonds angefragt, Neuseeland hat uns beim Bau eines Gefängnisses unterstützt, andere Regierungen haben zum Aufbau des Polizeiwesens beigetragen. In Zukunft müssen wir eine große Bandbreite von Elementen der Staatenbildung entwickeln, die je nach Bedarf der einen Organisation entnommen werden können, um einer anderen zur Verfügung gestellt zu werden.

Das Parlament: Die Peacebuilding Commission soll im Falle eines Konflikts Informationen sammeln und an den Sicherheitsrat zur Einschätzung der Lage weiterleiten. Verkompliziert ein solches Procedere nicht ein schnelles und unbürokratisches Eingreifen?

David Harland: Meiner Meinung nach würde es der Sicherheitsrat nicht zulassen, dass ihn eine andere Institution wie die Peacebuilding Commission an einer schnellen Entscheidung hindert. Wenn ein sofortiges Eingreifen gefragt ist, dann übt der Sicherheitsrat sein Mandat aus. Ich sehe die Stärken der Peacebuilding Commission nicht unbedingt in den Fällen, in denen ein schnelles Eingreifen gefragt ist, sondern im Langzeitengagement. Ein großes Problem der langfristigen Friedensbemühungen ist, dass die Aufmerksamkeit für bestehende Konflikte nicht lange anhält. In diesem Jahr und vielleicht noch im nächsten gibt es ein großes Interesse am Kosovo, aber dann zieht möglicherweise Afghanistan die Aufmerksamkeit für gewisse Zeit auf sich, danach möglicherweise der Irak. Wir wissen nie ganz sicher, was als nächstes kommt. In der Zwischenzeit gibt es nicht abgeschlossene Fälle, die wir hinter uns lassen. Eine Peacebuilding Commission könnte internationale Akteure für längere Zeit bei der Stange halten. Dann würden wir viel besser dastehen, vor allem in Hinblick auf die hohe Rückfallquote von Staaten in einen Konflikt nachdem die internationale Gemeinschaft abgezogen ist.

Das Parlament: Das bedeutet auch, dass höhere Hilfen bei der dauerhaften Stabilisierung eines Staates notwendig werden. Wie kann man ein Engagement, das Jahre oder sogar Jahrzehnte dauert und Milliarden kosten kann, den zahlenden Ländern "schmackhaft" machen?

David Harland: Im Grunde bin ich mir nicht sicher, dass mehr Geld benötigt wird. Ich vermute, dass es mehr darauf ankommt wie man das Geld ausgibt. Das ist nicht nur eine Kritik an den Geldgebern, sondern an uns allen. Wir könnten Steuergelder viel besser nutzen, wenn wir unsere Einsätze besser aufeinander abstimmen würden, wenn also die linke Hand wüsste, was die rechte Hand macht. Auf der einen Seite das Militär, die Polizei und die politischen Institutionen und auf der anderen Seite die humaniäre Hilfe und die ökonomischen Entwicklungsmaßnahmen. Das ist meiner Meinung nach die Rolle, die die Peacebuilding Commission spielen kann und soll.

Das Parlament: Kritiker behaupten die UNO eigne sich eher zum Feuerlöscher als zum Rauchdetektor. Ist an diesem Bild was dran?

David Harland: Da ist mit Sicherheit etwas Wahres dran. Konfliktfrühwarnung ist sehr schwierig. Zum anderen ist Konfliktprävention vom wirtschaflichen Wachstum in einem Land abhängig. Da kommt es mehr auf eine effektive Regierungsführung an als auf direkte Hilfen. Wenn die UNO mehr Ressourcen zur Verfügung hätte, dann müsste sie nicht immer nur reagieren, sondern könnten Entwicklungen zuvorkommen. Im Bereich des Peacekeeping sind die vom Sicherheitsrat authorisierten Einsätze ein Minimum an benötigten Truppen, um gerade einmal die erforderliche Arbeit zu leisten, wenn nichts schief geht. Das ist keine besonders gute Ausgangsposition um Kämpfer und Plünderer in Schach zu halten. Eine größere Investition vorab, kann viele Probleme im nachhinein verhindern. Aber wir haben mittlerweile gelernt mit solchen Problemen zu leben.

Das Parlament: Mr. Harland, wir danken für dieses Gespräch.


Das Interview führte Agnes Ciuperca

Agnes Ciuperca ist freie Journalistin und arbeitet derzeit bei der luxemburgischen UN-Vertretung in New York.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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