Nichtregierungsorganisationen (NGO) spielen in den Nation-Building-Konzepten der internationalen Staatengemeinschaft eine zentrale Rolle. Für viele sind sie die Hoffnungsträger transnationaler Demokratisierungsprozesse schlechthin. Doch die Folgen der NGO-Aktivitäten sind nicht immer nur positiv zu bewerten. Manche Risiken werden ausgeblendet. Insbesondere das Verhältnis zwischen zivilen und militärischen Aufbauhelfern ist immer wieder mit Schwierigkeiten behaftet. Dabei lässt sich das Ziel des nachhaltigen Staatsaufbaus nur gemeinsam erreichen.
NGOs haben in den 90er-Jahren einen beispiellosen Bedeutungszuwachs erfahren. Während sie sich früher zuerst im Bereich der unmittelbaren Katastrophenhilfe engagierten, werden sie mittlerweile von der internationalen Gemeinschaft auch verstärkt in Nation-Building-Projekte eingebunden.
Weltweit existieren aktuell über 25.000 verschiedene dieser Organisationen. Die Bandbreite reicht dabei von der kleinen NGO, die nur mit wenigen Freiwilligen und sehr bescheidenen Mitteln arbeitet, bis zu den riesigen Organisationen wie beispielsweise dem Internationalen Roten Kreuz, deren Jahresbudget das mancher kleiner Staaten übersteigt.
Was diese Organisationen jedoch gemeinsam haben, ist ihre Unabhängigkeit. Das bedeutet, sie suchen sich ihre Arbeitsfelder frei aus und sind dabei an keine staatliche oder überstaatliche Autorität gebunden. Eine weitere Gemeinsamkeit fast aller NGOs ist die Selbstverpflichtung an die humanitären Ideale, was bedeutet, dass unabhängig von Rasse, Geschlecht, Religionszugehörigkeit, politischer Einstellung usw. Hilfe geleistet wird.
Das klingt auf den ersten Blick edel und in der Tat gibt es verschiedene Beispiele, wo das Engagement der NGOs positiven Einfluß auf Entwicklungsprozesse hatte. Dementsprechend sind auch Unabhängigkeit und Unparteilichkeit die "heiligen Kühe" der NGOs, die von ihren Protagonisten als der Königsweg gepriesen und entsprechend verteidigt werden. Eben genau diese Einstellung kann aber auch äußerst kontraproduktiv sein, weshalb es ebenfalls sehr kritische Stimmen über die Rolle von NGOs in Nation-Building-Einsätzen gibt.
Edward Luttwak vom Center for Strategic and International Studies in Washington, D. C. ist ein scharfzüngiger Kritiker der Arbeit von NGOs. Bereits im Herbst 2001 äußerte er die Befürchtung: "Wenn man dem gewohnten Sammelsurium konkurrierender NGOs erlauben würde, über Afghanistan herzufallen und das Land, wie kürzlich im Kosovo geschehen, mit ihrem bekannten Gemisch aus teils nützlichen, teils nutzlosen oder gar kontraproduktiven Hilfsleistungen zu überziehen, könnten die Folgen verheerend sein."
Ist eine solch pessimistische Einstellung zur Arbeit der NGOs gerechtigfertigt? Immerhin waren NGOs schon lange vor 2001 in Afghanistan aktiv, sie operieren auch sonst an Orten, die auf den "Radarschirmen" von Außenministern oder der Weltöffentlichkeit gar nicht oder nur höchst selten auftauchen. Sie haben in vielen Fällen durch ihr langfristiges Engagement vor Ort das Vertrauen der regionalen Bevölkerung gewonnen und profunde Kenntnisse über die Besonderheiten der lokalen Situation erlangt. Zusätzlich sind sie durch ihre humanitäre Ausrichtung bestrebt, den Menschen bestmöglich zu helfen. Sind das nicht die besten Voraussetzungen für eine nachhaltige und friedliche Entwicklung?
Leider nicht immer. "Das Gegenteil von gut ist gut gemeint", weiß der Volksmund, und in der Tat gilt dies leider auch bisweilen für das vielfältige Engagement der NGOs. Ein Problem liegt alleine in ihrer großen Zahl. So helfen in Afghanistan derzeit mehr als 1.200 Organisationen. Wie sich herausstellte, ist eine sinnvolle Koordinierung aller Maßnahmen dieser NGOs unmöglich, denn nahezu jede Organisation hat ihre eigene Agenda und auch Interessen und ist peinlich auf die Erhaltung der eigenen Unabhängigkeit bedacht.
Trotzdem gelingt es den NGOs, beträchtliche Mittel für ihre Arbeit zu gewinnen. Einer Berechung der afghanischen Übergangsregierung zufolge wurden von den zwischen Januar 2002 und März 2003 für Afghanistan bestimmten 1,84 Milliarden US-Dollar etwa 24 Prozent an NGOs gegeben, während die afghanische Regierung direkt nur etwa über 16 Prozent dieser Summe bestimmen konnte.
Vor dem Hintergrund weltweit verbreiteter Korruption innerhalb der lokalen Eliten scheint die Vergabe von Mitteln an weniger korruptionsanfällige NGOs durchaus sinnvoll. Das führt dann allerdings dazu, dass die Leistungsfähigkeit der NGOs oft die des schwachen Staates beträchtlich übersteigt. So werden in Afghanistan zum Beispiel etwa 70 Prozent der Gesundheitsversorgung von internationalen NGOs geleistet. Das ist zunächst eine eindrucksvolle Zahl. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass dies graviende Konsequenzen für das Nation-Building haben kann. Ein Staat, der grundlegende Bedürfnisse seiner Bevölkerung nach Sicherheit, Ernährung, Unterkunft, Bildung und Gesundheit nicht selbst befriedigen kann, besitzt bei seinen Bürgern logischerweise kein hohes Ansehen beziehungsweise Akzeptanz.
Gleichzeitig haben die NGOs aber auch ein existenzielles Interesse daran, die geleistete Arbeit mit viel Publicity zu verkaufen. Da sie von privaten Zuwendungen abhängig sind, müssen sie bei ihrer wichtigsten Klientel, den westlichen Spendern und Förderern, Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit herstellen, um finanziell überleben zu können. Dementsprechend haben sie kein Interesse daran, ihren Anteil an der geleisteten Arbeit im Lande klein- und den des Staates großzureden.
Somit können NGOs trotz allen guten Willens und des bewundernswerten Engagements der Kräfte vor Ort letzten Endes in ihrer Wirkung kontraproduktiv sein, weil sie dem Staat wichtige Quellen der eigenen Legitimation entziehen. So bleibt das Problem, einen Staat neu- oder wiederaufbauen zu wollen, gleichzeitig aber NGOs mit der Durchführung staatlicher Aufgaben zu betrauen, ein kaum zu lösender Widerspruch.
NGOs bringen Ressourcen vor Ort, die natürlich auch für die Konfliktparteien äußerst interessant sind. Das führt dazu, dass NGOs regelmäßig Erpressungen ausgesetzt sind, dass Hilfskonvois an den diversen Checkpoint "Wegezoll" entrichten müssen und darüber hinaus die Flüchtlingscamps der NGOs in vielen Fällen ideale Bedingungen für die Rekrutierung von Kämpfernachwuchs bieten.
Auf diese Weise tragen die NGOs direkt zur Unterstützung der Konfliktparteien und damit zur Verlängerung des Konfliktes bei. Damit schüren sie das Feuer, dessen Folgen sie gleichzeitig zu bekämpfen bemüht sind. Somit wird deutlich, dass auch die humanitäre Hilfe, die für viele NGOs ein identitätsstiftendes Merkmal ist, politisch und militärisch entscheidende Dimensionen annimmt und gar nicht neutral sein kann.
So wäre beispielsweise der Völkermord in Ruanda 1994 in der bekannten Form ohne das Zutun der NGOs nicht möglich gewesen. Erst die von NGOs betriebenen Flüchtlingscamps entlang der Grenze von Zaire, in denen etwa eine Million Hutus lebten, ermöglichten es verbrecherischen Hutu-Führern, diese als perfekte Rekrutierungs- und Trainingsbasis für ihre Milizen zu nutzen, die später dann die unvorstellbaren Grausamkeiten an der Tutsi-Bevölkerung begangen.
Vor diesem Hintergrund ist es recht verwunderlich, dass sehr viele NGOs bis vor kurzer Zeit die Kooperation mit westlichen Streitkräften mit dem Hinweis auf ihre humanitären Prinzipien abgelehnt haben. In diesem Zusammenhang sei an den Streit im Herbst 2003 über die Einrichtung eines deutschen "Provincial Reconstruction Teams" (PRT) erinnert. Beinahe unisono warnten Vertreter verschiedener NGOs davor, ein Einsatz der Bundeswehr sei äußerst schädlich, da hierdurch die Arbeit der NGOs kompromitiert würde und die Mitarbeiter großer Gefahr ausgesetzt seien.
Mittlerweile stellt sich die Situation anders dar. Seit dem Engagement der Bundeswehr im afghanischen Kunduz und Feyzabad haben sich Dutzende Hilfsorganisationen in der Region neu oder wieder angesiedelt. In wöchentlichen Treffen werden Maßnahmen untereinander koordiniert und selbst viele NGOs haben mittlerweile erkannt, dass auch eine Kooperation mit Streitkräften durchaus Sinn macht, eben genau deshalb, weil sich die Fähigkeiten ergänzen. So sorgt die Bundeswehr nicht nur für ein sicheres Umfeld, sie kann auch Aufklärungs-, Transport- und Versorgungsfähigkeiten zur Verfügung zu stellen, die viele Maßnahmen der NGOs überhaupt erst ermöglichen und auch Redundanzen vermeiden helfen.
Verschiedene NGOs betrachten das Militär aber weitherhin als einen unliebsamen Konkurenten, insbesondere deshalb, weil die durch zivil-militärische Kooperationen zustandegekommenen Projekte in der eigenen Bilanz fehlen und damit der Kampf um die begrenzten Spendentöpfe erschwert wird. Im Großen und Ganzen jedoch ist vorsichtiger Optimismus angebracht. Wenn einerseits viele NGOs die Arbeit der Bundeswehr vor Ort loben und andererseits die eingesetzten Soldaten zufrieden über die Zusammenarbeit mit den NGOs sind, dann ist dies ein Grund zur Hoffnung.
Brauchen die Helfer also Waffen? Nicht immer und überall - aber meist geht es nicht ohne. Wer also sein Milchpulver nicht verpulvern will, sollte über trockenes Pulver verfügen. Nur Waffen können bisweilen sicherstellen, dass die eingesetzten Mittel auch wirklich da ankommen, wo sie gebraucht werden. Deshalb wird in Zukunft bei Nation-Builing-Projekten die zivil-militärische Zusammenarbeit immer wichtiger werden.
Jonas Böttler, Deutsche Gesellschaft für
Auswärtige Politik, Berlin.