Wir wissen ganz genau, wie sie aussehen. Glatze, Springerstiefel, Hakenkreuz-Tatoo. Und sie reden auch alle den gleichen Schwachsinn. Von Vaterland, von Kameradschaft, von den Ausländern, die an allem schuld seien. Hören dieselben Hardcore-Bands. Saufen bis zum Umfallen. Das sind die einen, die dumpfen Schläger von der Straße. Die anderen, die selbst ernannten, aber letztlich nicht besonders intelligenten Vordenker der extremen Rechten, sind auf den ersten Blick eigentlich nicht so leicht zu erkennen. Wenn sie auf der Kinoleinwand oder auf dem Fernsehbildschirm erscheinen, wissen wir trotzdem sofort, wen wir da vor uns haben. Neonazis im Film: Hohle Skinheads und biedere Brandstifter - ist das die komplette rechtsextremistische Szene?
Nein", sagt Frank Lesske, Dozent am Institut für Politikwissenschaft der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. "Die rechtsextreme Szene ist keineswegs so homogen, wie sie in vielen Filmen dargestellt wird." Auch in der rechtsextremen Szene gebe es Auseinandersetzungen, zum Beispiel über Gewaltanwendung oder über die Selbstdarstellung nach außen. "Im Film allerdings werden Rechte auf ganz bestimmte Art und Weise gelabelt", hat Lesske beobachtet. "Die Darstellung der Rechtsextremen als kahlköpfige Schläger, die Hakenkreuze schmieren, erweckt bei den Zuschauern den Eindruck, als ob man die Rechtsextremen auf der Straße automatisch erkennen könnte." Und selbst wenn "Salon-Nazis", wie Lesske sie bezeichnet, gezeigt würden, sind sie unvorteilhaft aufgenommen und ihr Auftritt mit einer bestimmten Musik unterlegt. "Eine dramatische Krimi-Musik suggeriert, dass da etwas Bedrohliches auf uns zukommt", sagt Lesske. Das gebe der ganzen Situation wiederum etwas Fiktives. Und der Zuschauer könne dann davon ausgehen, "dass das alles schon irgendwie ein Happy-End haben wird".
Ein falsches Bild des Rechtsextremismus in Film und Fernsehen? Lesske verneint abermals: "Eher ein unvollständiges." Filmemacher stünden vor der Aufgabe, bestimmte Ereignisse visualisieren zu müssen. Das funktioniere am besten über Stereotype. Sonst müsse man zu viel erklären. Für den Zuschauer sei es so einfacher, die Charaktere zu erkennen. "Und das hat auch nichts mit der Dummheit der Zuschauer zu tun", betont Lesske. Man benötige solche Stereotypen, weil man sein Gegenüber naturgemäß über das Äußere schnell einsortieren wolle.
Der Filmwissenschaftler Rainer Vowe hat für das Adolf Grimme Institut solche Filme typologisiert:
Um den Genre- und Serienvorgaben der "Hakenkreuz-Krimis" zu folgen, stehe am Anfang immer eine Bluttat, die neorassistisch motiviert sei - ein Mord, ein Angriff auf eine deutsch-türkische Verlobungsfeier und ähnliches. Der Auftakt lasse eine Verbindung von "jugendlichen Gewalttätern" und im Hintergrund agierenden "White-Collars"-Nazis erkennen. Unter den Jugendlichen befinde sich auch ein Grenzgänger, der von der Kamera sekundenlang eingefangen werde. Im Laufe des Films werde dieser Grenzgänger zur Vernunft gebracht, manchmal auch zur Raison - durch Reue, Einsicht, Familienbande oder Liebe; der Grenzgänger habe somit noch minimale Spuren von moralischen Bindungen. Um diesen Grenzgänger zu retten, bedürfe es stets einer starken Hand, die einer konventionellen Autoritätsperson wie eines Rechtsanwalts, Lehrers oder Polizisten. Eine Variante der Rettung biete auch der Opfertod; der Tod des Grenzgängers appelliere dann aber daran, die eingeführten Verfahrensweisen der demokratischen Institutionen anzuwenden.
Die bevorzugte Zeit der Hakenkreuz-Krimis sei die Nacht; die Orte seien Hintertreppen und -höfe, bronx-artige Stadtteile, Fabrikruinen. Der bevorzugte Ort der Kommunikation sei das Hinterzimmer einer Kneipe, in dem streng gescheitelte Redner über die Nachteile der Demokratie lamentierten und die Zuhörer Unmengen von Flaschenbier konsumierten.
Derek und Janosch sind solche Typen. Jung, rassistisch, gewalttätig. Derek, in dem Tony-Kaye-Film "American History X" (1998) von dem bekannten US-Mimen Edward Norton gespielt, erfüllt alle gängigen Klischees. Er trägt eine Glatze, ein Handteller großes Hakenkreuz auf der Brust, hasst alle Immigranten, tobt sich auf rechtsradikalen Partys aus und trifft sich - tatsächlich im Hinterzimmer einer Kneipe - mit dem rechtsradikalen Wortführer und Finanzier Cameron; gespielt von Stacy Keach. Als Derek eines Nachts zwei farbige Autoknacker auf bestialische Weise tötet - er zwingt einen der beiden Jugendlichen, seinen Oberkiefer auf den Bordstein zu legen, und tritt ihm dann auf den Hinterkopf - muss er ins Gefängnis. Dort wird er von ebenfalls rassistischen Mithäftlingen missbraucht und wendet sich schließlich vom Rechtsradikalismus ab. In Rückblenden erzählt Regisseur Tony Kaye, aus welchen Motiven Derek so wurde, wie er ist, und lässt ihn für seinen fatalen politischen Irrsinn einen hohen Preis bezahlen. Sein Bruder Danny, den Derek eigentlich aus der rechtsradikalen Gruppe herausholen wollte, wird von einem farbigen Mitschüler erschossen.
Was diesen Film so erwähnenswert macht, sind nicht die Klischees, mit denen er natürlich spielt. Es ist die Tatsache, dass hier nicht ausgeblendet wird, wie einer rechtsextrem wird, wie er versucht, aus der alten Gemeinschaft auszubrechen, welche inneren und äußeren Konflikte er lösen muss und wie wenig homogen die chaotische "Kameradschaft" der Rassisten ist.
Der Magdeburger Wissenschaftler Frank Lesske spricht von einem "Fühlfaktor". Der Film "American History X" lasse eine emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus zu. Sehr detailliert würden das gesellschaftliche Klima und die gesellschaftliche Randsituation des jungen Derek geschildert. Das zeichne ein wesentlich schärferes Bild des Problems Rechtsextremismus, als es in den herkömmlichen Produktionen der Fall sei. "Ich bin mir aber nicht sicher, ob solch ein emotionaler Umgang mit dem Thema heute in einem deutschen Film möglich ist", sagt Lesske. Die Diskussion um den Film "Der Untergang" habe hierzulande doch gezeigt, wie groß die Angst sei, dass am Ende doch noch Sympathie für das Böse entstehen könnte.
Nicht ganz so bekannt wie "American History X", aber mindestens genau so eindringlich ist die Geschichte von Janosch - wie erwähnt ebenfalls ein Jugendlicher im rechtsradikalen Milieu. Janosch - im deutschen Film "Oi! Warning" (2000) gespielt von Sascha Backhaus - will aus dem schwäbischen Elternhaus ausbrechen und freundet sich mit seinem Idol, dem zunächst ebenfalls klischeehaft dargestellten, rechtsradikalen Koma an. Er lässt sich eine Glatze rasieren und hört von nun an nur noch einschlägigen Neonazi-Rock - ein Grenzgänger. Die Filmemacher Dominik und Benjamin Reding zeigen junge Leute, die sich hauptsächlich über ihre Musik definieren, und viel zu viel Alkohol trinken. Die Frage, ob das alles hirnlose Monster sind, verneint Janosch sich selbst gegenüber. Aber natürlich kann diese Geschichte kein gutes Ende nehmen. Als Janosch sich mit dem Punk Zottel anfreundet und seine Homosexualität entdeckt, reagiert Koma eifersüchtig, tötet Zottel - ebenso bestialisch wie Derek den Autoknacker in "American History X" - und wird schließlich von Janosch erschlagen.
Auch dieser Film macht deutlich, wie einfach ein junger Mensch rechtsradikal werden kann, gibt dem Happy-End aber keine Chance. Beide Geschichten, die von Derek und die von Janosch, zeigen die gefährlichen, weil scheinbar so harmlosen Strukturen von Rechtsextremismus. Es gelingt ihnen, Stereotypen aufzubrechen, darzustellen, dass Rechtsradikalismus eben keine Alternative sein kann. Und sie machen deutlich, an welchen Stellen Rechtsextreme ansetzen, um zum Beispiel Jugendliche auf ihre Seite zu ziehen. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt.
Für den Politwissenschaftler Peter Widmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin liegt die Gefahr des Rechtsextremismus darin, "dass viel zu viele Menschen gegenüber der Demokratie ein großes Unbehagen spüren und die Politik nichts dagegen unternimmt". Langfristig entstünde daraus eine Grunddistanz zum Staat, woran Rechtsextreme anknüpfen könnten. Widmann hat die Darstellung Rechtsextremer in TV-Reportagen untersucht und kommt genau wie Lesske zu dem Ergebnis, dass die Darstellung ein unvollständiges Bild zeichnet, dass also die tatsächlich größten Gefahren des Rechtsextremismus ausgeblendet werden.
Immerhin dokumentiert die durchgängig negative Darstellung Rechtsextremer in Film und Fernsehen - auch wenn sie Stereotypen folgt - eine deutlich abneigende Haltung gegenüber jeder Form von Rechtsradikalismus. Sogar im so genannten Unterschichten-Fernsehen. Im März dieses Jahres war den Zuschauern der Endlos-Reality-Soap "Big Brother" ein glatzköpfiger Container-Bewohner namens Sven K., genannt Charly aufgefallen, der am Oberarm eine Tätowierung mit "SS"-Runen trug. In den Chatforen des Senders RTL II setzte sofort Protest ein. Die Konsequenz: "Um Spekulationen vorzubeugen und eine klare Distanzierung sicherzustellen, hat RTL II beschlossen, dass der Kandidat nicht weiter an der Show teilnehmen soll", hieß es in einer Pressemitteilung des Senders. "Runen-Charly" wurde nach vier Tagen gefeuert. Auch Stereotypen wirken.