Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 47 / 21.11.2005
Zur Druckversion .
Thomas Veser

Neuer Wind in den Amtsstuben

Europäische Akademie der Regionen bildet Beamte aus

Die ersten Impressionen während ihres Praktikums im Brüsseler EU-Hauptsitz schienen Anna Zielinskas düstere Vorahnungen nur zu bestätigen: "Zigtausende Verwaltungsvorschriften, ebenso viele Experten und eine weltfremde Bürokratie: Das kann doch in der Wirklichkeit nicht funktionieren", erinnert sich die 30-jährige Verwaltungsangestellte aus der westpolnischen Stadt Posen (Poznan). Trotzdem beschloss die Politikwissenschaftlerin, ein zweites Praktikum in Brüssel einzulegen.

Dabei machte sie auch positive Erfahrungen. Anna Zielinska knüpfte Kontakte mit Angehörigen der Europäischen Kommission und den Vertretungen deutscher Bundesländer, dann verschaffte sie sich Einblick in das Europa der Regionen, schließlich arbeitete sie sich zügig in die Strukturpolitik der Gemeinschaft ein. "Vor allem in den vernachlässigten Regionen beschleunigen Strukturbeihilfen das Zusammenwachsen Europas", resümiert Anna Zielinska, die sich jetzt im Posener Marschallamt - so heißt die Verwaltung der polnischen Wojewodschaften (Regionen) - daran mitwirkt, ihre Heimatregion Wielkopolska (Großpolen) dank neu erworbener Kenntnisse und einer kräftigen Portion Zuversicht über die Grenzen hinweg mit anderen Regionen zu vernetzen.

Seit Anna Zielinskas Brüssel-Aufenthalt haben bereits Dutzende weiterer Mitarbeiter des Posener Marschallamtes mehrwöchige Berufspraktika entweder in der hessischen Staatskanzlei in Wiesbaden oder in Brüssel absolviert. Organisiert und bezahlt wird der Austausch von der gemeinnützigen Hertie Stiftung, zu deren Fördergebieten auch die grenzübergreifende Qualifizierung von Behördenfachkräften auf Führungsebene zählt.

Mittlerweile konnte die Frankfurter Stiftung den Austausch mit drei deutschen Bundesländern und fünf mittel- und osteuropäischen Regionen sowie der Republik Ungarn institutionalisieren. Als Grundlage dient die vor kurzem gegründete "Europäische Akademie der Regionen" (EAR), die sich als Fortbildungsplattform für Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes empfiehlt. An dieser virtuellen Akademie veranstalten Dozenten der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer (HFV) und der stärker international ausgerichteten Berliner Hertie School of Governance einmal jährlich während der Osterzeit Blockseminare.

Sie finden überwiegend am HFV-Standort Speyer statt. Gastdozenten beteiligen sich ebenfalls an diesem europaweit neuartigen Weiterbildungsangebot. "Zu einem späteren Zeitpunkt ist vorgesehen, solche Seminare auch in Mittel- und Osteuropa abzuhalten", berichtet Stiftungsgeschäftsführerin Marlies Mosiek-Müller. Sämtliche Kosten für die Veranstaltungen, Reise und Unterkunft trägt die gemeinnützige Einrichtung, dafür stehen in den nächsten drei Jahren 1,5 Millionen Euro zur Verfügung.

Neben dem Bundesland Hessen beteiligt sich die Region Wielkopolska, die mit Hessen eine Regionalpartnerschaft unterhält, an dem Qualifizierungsverbund. Mit dabei sind auch Rheinland-Pfalz mit seinen Partnerregionen Oppeln/Opole (Polen) und dem tschechischen Mittelböhmen sowie Thüringen und die Partnerregionen Malopolska (Kleinpolen) mit der Hauptstadt Krakau und die ukrainische Karpatenregion (Zakarpatskaja Oblast) um die Stadt Lviv (Lemberg). Ungarn schließlich beteiligt sich nicht über Regionen, sondern als Nationalstaat. Die fachliche Betreuung ist dabei Hauptaufgabe der Partnerregionen.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können sich nur Behördenmitarbeiter des Regionenverbunds an den Kursen der Akademie beteiligen. Marlies Müller-Mosiek hofft jedoch, dass weitere Regionen des Westens hinzukommen und damit die "gesamteuropäische Dimension" der Akademie verstärken.

Europa wächst nach Ansicht von Hermann Hill, Professor für Verwaltungswissenschaften und öffentliches Recht an der HFV, "aus den Regionen, die seine Bausteine sind". Wie die auf Deutsch und Englisch abgehaltenen Fortbildungskurse zu den Kernthemen Regionale Entwicklung, Wirtschaftsförderung, Soziales, Bildung, Technologie, Innovation und moderne Management-Techniken genau aufgebaut sind, steht noch nicht fest. "Auf starre curriculare Rahmen werden wir verzichten", versichert Stiftungsvorstandsvorsitzender Michael Endres. Zweimal pro Jahr bespricht eine Steuerungsgruppe, in der die Partner unter Leitung der Stiftung vertreten sind, mögliche Themen. "Wir dürfen uns nicht von vornherein festlegen, da wir noch zu wenig über die Bedürfnisse der östlichen Teilnehmer wissen", fügt er hinzu.

Mitte Oktober fand das Auftaktseminar in Speyer statt, dabei ging es um die europäische Regionalismusbewegung und deren gegenwärtige Schwierigkeiten. Weiterhin diskutierten die Teilnehmer über "Benchmarking, Transfer und Evaluation".

Weitere Themen waren die Vor- und Nachteile so genannter Wachstumskerne, Förderschritte für den ländlichen Raum und für regionale Randgebiete. Möglichkeiten der interregionalen Zusammenarbeit und Aspekte des Lobbying für Regionen wurden gleichfalls erörtert.

Die Kernaufgabe der gemeinsamen Kurse besteht Marlies Mosiek-Müllers Worten zufolge darin, "den Teilnehmern dabei zu helfen, ihre gegenseitigen Berührungsängste zu überwinden" und so die Grundlage dafür zu schaffen, "dass man sich gegenseitig ernst nimmt und erkennt, dass man im selben Boot sitzt". Während der Fortbildungsphasen entstünden persönliche Kontakte und das erleichtere die regionalen Partnerschaften, fügt sie hinzu. Diese vertiefte Berufsfortbildung, hofft Mosiek-Müller, verbessert die "Europafähigkeit der Mitarbeiterschaft". Beide Seiten könnten voneinander lernen, "nicht nur der Osten vom Westen".

Allerdings sei in der Anfangsphase vorgesehen, dass lediglich osteuropäische Beamte bei Behörden im Westen hospitieren. Die deutschen Verwaltungsangestellten, die in den Osten wollen, müssen sich noch gedulden, "da in den meisten Behörden hierzulande die Mittelknappheit und Haushaltssperren herrschen", fügt Mosiek-Müller einschränkend hinzu.

Dass jedoch gerade die Erfahrung in osteuropäischen Amtsstuben für Westeuropäer sehr wichtig sei, betont die Gewerbeoberrätin Eva Przybyla-Miron. Als Tochter deutschsprachiger Oberschlesier, siedelte die gebürtige Kattowitzerin Ende der 80er-Jahre in die Bundesrepublik über und schlug eine Beamtenlaufbahn ein. Vor zwei Jahren hatte die hessische Landesregierung angefragt, ob sie als Praktikantin für einige Zeit in der Regionalverwaltung von Wielkopolska arbeiten wolle. Bis zum Sommer 2005 glich die Chemikerin mit dem Schwerpunkt Umweltschutz und Chemikalienrecht polnische Umweltvorschriften an EU-Standards an und beschäftigte sich mit dem komplizierten Antragswesen für Brüsseler Subventionen.

Eva Przybyla-Miron, die jetzt wieder im Darmstädter Regierungspräsidium tätig ist und zwei Sprachen perfekt spricht, organisierte in Posen zwei Kontaktbörsen für deutsche und polnische Gemeinden, die ihre Erfahrungen mit den EU-Abwasserrichtlinien austauschten. Sie weiß nun aus eigener Erfahrung, mit welchen Schwierigkeiten die noch jungen Regionalbehörden Polens zu kämpfen haben.

Deutsche Verwaltungsfachkräfte, die als Experten manchmal einem "engen Ressortdenken verhaftet sind", könnten sich kaum vorstellen, unter welchen widrigen Umständen die EU-Standards eingeführt werden müssen, stellt sie fest. Eine Flut von Vorschriften, die kurz darauf schon wieder abgeändert werden müssen, ergieße sich auf die Behördenmitarbeiter, die sich einlesen und gleichzeitig fortwährend von ratlosen Bürgern mit Fragen bedrängt würden. "Dort kann sich nur der flexible Allrounder halten", lautet das Fazit von Przybyla-Miron.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.