Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

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Nr. 47 / 21.11.2005
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Bedenkliche Entwicklungen für Pressefreiheit in der EU

Interview mit Marc Gruber, Vizepräsident der Europäischen Journalisten Föderation

Spätestens das "Caroline-Urteil" des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs, das die Publikation von Photos mit Prominenten bei privaten Aktivitäten im öffentlichen Raum faktisch verbietet, hat den Einfluss Europas auf den Medienalltag offengelegt. Doch nicht nur Richter des Europarats, die im Übrigen oft pressefreundlich entscheiden, auch EU-Instanzen "redigieren" kräftig mit. Diese brisanten Fragen sind Thema des internationalen Kongresses "Eurovision Content" der Gewerkschaft ver.di am 26. November in Berlin, an dem Wissenschaftler, EU-Abgeordnete und Journalistenvertreter teilnehmen werden. Über die Gefahren für die freie Berichterstattung, die von geplanten EU-Regelungen ausgehen, sprach Karl-Otto Sattler mit dem Vizedirektor der Europäischen Journalisten Föderation (EJF) Marc Gruber (Frankreich).

Das Parlament: Wie sieht denn die Bilanz nach langjährigen Erfahrungen der EJF aus: Fördert die EU-Politik die Medienfreiheit oder trägt Brüssel eher zu deren Einschränkung bei?

Marc Gruber: Die Politik der EU hat im Großen und Ganzen der Pressefreiheit in Europa bislang genutzt - und dies, obwohl über Medienpolitik in erster Linie auf nationaler Ebene und nicht in Brüssel entschieden wird. Allerdings bedauern wir, dass bei der EU-Erweiterung die Gewährleistung der Pressefreiheit, des Medienpluralismus und eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksektors nicht zur Bedingung für die Aufnahme der neuen Länder gemacht worden ist.

Das Parlament: Das Thema des Berliner Kongresses kommt nicht von ungefähr. Mit welchen Problemen muss sich denn die EJF bei der EU derzeit herumschlagen?

Marc Gruber: Es gibt mehrere bedenkliche Entwicklungen auf EU-Ebene. So läuft - zum Beispiel - ein Vorstoß zur Terrorbekämpfung von Justizkommissar Franco Frattini im Medienbereich auf Eingriffe in die freie Berichterstattung hinaus. Die geplante Speicherung von Telefon- und Internetdaten gefährdet den Quellenschutz. Ein anderer Punkt: Künftig könnte es passieren, dass sich eine Zeitung oder ein Journalist wegen kritischer Äußerungen zur Politik in einem anderen Land dort vor Gericht verantworten müssen. Nicht zu vergessen der Streit um Urheberrechte: Verleger und TV-Manager wollen über die EU Regelungen zu ihren Gunsten und zu Lasten der Medienschaffenden durchsetzen. Bei all diesen Fragen ist noch nichts entschieden, aber die EJF muss sich mit Nachdruck für die Belange der Journalisten einsetzen.

Das Parlament: Inwiefern stellen die geplanten Regelungen zur Terrorismusbekämpfung eine Gefahr für die Berichterstattung dar?

Marc Gruber: Es darf nicht sein, dass Journalisten als "Helfer des Terrors" eingestuft werden, wenn sie Interviews mit terrorverdächtigen Personen veröffentlichen. Das könnte so kommen, wenn Brüsseler Pläne Wirklichkeit werden sollten: Die Kommission will dafür sorgen, dass Berichte in den Medien nicht den Interessen von Terroristen dienen. Dann könnte auch die Publikation von Recherchen über terroristische Aktivitäten oder über Geheimdiensterkenntnisse unmöglich werden. Wir hoffen, diese Dinge bei einem Treffen mit Kommissar Frattini Anfang Dezember ausräumen zu können.

Das Parlament: Datenschützer protestieren gegen die EU-weit angestrebte Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten. Warum gesellt sich die EJF zu den Kritikern?

Marc Gruber: Mehrere Staaten haben in jüngerer Zeit mit nationalen Gesetzen den Informantenschutz verbessert. Dieser Quellenschutz wird jedoch ausgehebelt, wenn auf dem Umweg der Registrierung von Telefon- und Internetdaten die Kontaktpersonen von Medienschaffenden ermittelt werden können. Dann dürften auch Informanten in Regierungen, Behörden, Geheimdiensten oder Unternehmen vorsichtig werden mit der Weitergabe von internen Nachrichten, worunter dann die kritische öffentliche Berichterstattung leidet.

Das Parlament: Welche negativen Folgen hat die zunehmende Ausformung der EU zu einem einheitlichen Rechtsraum?

Marc Gruber: Man stelle sich vor: Journalisten in Portugal oder Dänemark schreiben Kritisches über die Politik in Deutschland oder Frankreich - und dann werden die Autoren in Deutschland oder Frankreich nach dem dort gelten Recht wegen Verdachts auf unwahre Berichterstattung oder Beleidigung angeklagt. Dann müssen Medienschaffende ständig die Gesetzgebung der 25 EU-Staaten im Kopf haben. Das ist unmöglich. Dazu ist keine spezielle EU-Regelung geplant, aber im Rahmen der verstärkten Harmonisierung des internationalen Privatrechts könnte es zu diesen Konsequenzen kommen.

Das Parlament: International weitet sich die Medienkonzentration aus, was dem Pluralismus schadet. Tut die EU etwas gegen diese Tendenzen?

Marc Gruber: Das ist ein echtes Defizit, die EU tut praktisch nichts gegen diese bedrohliche Entwicklung. Die Kommission zieht sich auf den Standpunkt zurück, dass der EU-Vertrag Brüssel bei diesem Thema keine Kompetenzen zuerkennt.

Das Parlament: Demnächst wird die EU-Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" novelliert. Werden die Zuschauer künftig mit mehr Product Placement rechnen müssen? Das ist in Deutschland sehr umstritten.

Marc Gruber: Manche EU-Staaten streben dies an, manche Länder sind dagegen, die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Die EJF ist prinzipiell gegen Product Placement, weil Werbekunden nicht in die redaktionelle Arbeit hineinregieren dürfen. So werden auch die Zuschauer manipuliert.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.