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Deutschland steht vor einer folgenschweren Entscheidung. Nachdem die bisherigen Gesundheitsreformen vor allem die Ausgaben im Gesundheitssystem im Blick hatten, kommt die Politik nun an einer grundlegenden Neugestaltung der Einnahmen nicht mehr vorbei. Es geht nicht mehr darum, das bestehende Prinzip moderat zu verändern. Es geht um einen radikalen Umbau. Es geht um Bürgerversicherung oder Gesundheitsprämie.
Die Befürworter beider Prinzipien gehen von einer Neuorientierung aus, die sowohl gerechter als auch nachhaltiger wirkt und zugleich den Aufschwung fördert. Der herausragende Unterschied: Die Bürgerversicherung belässt die Einkommensumverteilung im System der Krankenversicherung, die Gesundheitsprämie oder auch Kopfpauschale weist sie dem Steuertransfersystem zu.
Die Bürgerversicherung beendet den Zustand, dass abhängig Beschäftigte mit Standardeinkommen untereinander solidarisch die Kosten der Gesundheitsversorgung im gesetzlichen Krankenversicherungssystem tragen, während Mehrverdiener, Selbstständige, Beamte und Vermögende sich privat absichern oder für Kapitaleinkünfte gar nichts zahlen. Entscheidet sich Deutschland für die Bürgerversicherung, werden Krankenkassenbeiträge von allen Einkommensarten fällig, ganz gleich, ob es sich um Löhne handelt, Gewinne aus Gewerbebetrieb, Einkünfte aus Kapitalbesitz, Besoldung, Gehälter oder Pensionen. Alle zahlen ein, wer wenig verdient, zahlt weniger, wer mehr verdient, mehr. Bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze, die wie in der Rentenversicherung bei 5.100 Euro Bruttoverdienst im Monat liegt.
Den privaten Krankenversicherungen bleiben nach diesem Prinzip Zusatzversicherungen als Geschäftsfeld möglich, woraus Leistungen finanziert werden, deren medizinische Notwendigkeit nicht nachgewiesen wurde, oder die eher Wellness-Charakter haben.
Bislang muss derjenige mit einem Gehalt mehr für die Krankenversicherung aufwenden als derjenige, der zwar gleich hohe Einkünfte hat, aber einen Teil davon aus Kapitalvermögen, Vermietung oder Verpachtung bezieht. Diese Unterschiede fallen bei der Bürgerversicherung weg. Sie stellt sich damit darauf ein, dass Kapital- und Vermietungseinkünfte zunehmend an Bedeutung gewinnen.
In der Praxis sollen die Arbeitgeber den Hauptanteil der Beiträge weiter direkt an die Kassen überweisen, während die weiteren Beiträge durch die Finanzämter berechnet und einbehalten werden. Durch die Mehreinnahmen kann nach Berechnungen der Befürworter der Bürgerversicherung der Beitragssatz von derzeit über 14 Prozent langfristig auf 12,4 Prozent sinken und somit Arbeitgeber wie Arbeitnehmer deutlich entlasten.
Während die Bürgerversicherung von der individuellen Leistungsfähigkeit des Versicherten ausgeht, setzt die Gesundheitsprämie bei der erbrachten Leistung für die Gesundheit des Versicherten an. Für gleiche Leistung die gleiche Prämie, so wie in der Autohaftpflicht oder in der Hausratversicherung. Soziale Komponenten wie etwa die Beitragsfreiheit für Kinder bleiben zwar faktisch erhalten, werden aber nicht innerhalb des Gesundheitssystems ausgeglichen, sondern über das Steuersystem. Das heißt: Die Betroffenen bekommen Zuschüsse, um die Prämien bezahlen zu können. Gleiches gilt für niedrige Einkommen. Auf der anderen Seite gibt es keine Einkommensgrenzen und ebenfalls keine Unterscheidung nach Einkommensarten: Wer Spitzeneinkünfte erzielt, zahlt nicht nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze für die solidarische Finanzierung, sondern auch darüber hinaus progressiv wachsend in das Steuersystem ein.
Die derzeitige hälftige Finanzierung der Versicherungsbeiträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird bei Einführung der Gesundheitsprämie eingefroren. Das heißt, die vermutliche Höhe von rund 210 Euro Gesundheitsprämie pro Kopf pro Monat wird zu einem Teil bereits ausgeglichen durch eine Auszahlung des bisherigen Krankenversicherungsbeitrages des Arbeitgebers als Lohnbestandteil an den Arbeitnehmer.
Damit unterliegt er auch künftigen Tarifvereinbarungen. Jedoch bewirkt die grundsätzliche Abkoppelung der Krankenversicherungsbeiträge von der Lohnentwicklung, dass der Arbeitgeber künftig weniger zahlen muss, damit der Arbeitnehmer mehr netto erhält. Die Abkoppelung bewirkt weiterhin, dass die Finanzierung des Gesundheitssystems von Konjunkturschwankungen und der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt unabhängig wird.
Text: Gregor Mayntz
Fotos: picture-alliance
Strukturveränderungen bleiben
notwendig
Stellungnahme von Gudrun Schaich-Walch (SPD)
Das
Prämienmodell ist sozial gerechter
Stellungnahme von Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU)
Für einen
Umstieg zur Privatversicherung
Stellungnahme von Dieter Thomae (FDP)
Keine
Solidarität ohne die Stärksten
Stellungnahme von Biggi Bender (Bündnis 90/Die
Grünen)