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Neue Generation im Parlament

Bild: Blick aus dem Reichstagsgebäude
Menschen vor dem Reichstagsgebäude.

Bild: Plenarsaal des Bundestages
Plenarsaal des Bundestages.

Bild: Arbeitende Menschen vor Glasfront
Glasfront des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses.

Bild: Ernst Hinsken
Ernst Hinsken (CDU/CSU) hat mehr Erststimmen als alle anderen Direktkandidaten erhalten.

Bild: Hans-Christian Ströbele
Hans-Christian Ströbele errang wie schon 2002 das einzige Direktmandat für Bündnis 90/Die Grünen.

Bild: Konrad Schily
Bruder des Alterspräsidenten: Konrad Schily zog für die FDP neu in den Bundestag ein.

Bild: Petra Pau
Petra Pau (Die Linke.) hat im Wahlkreis Berlin-Marzahn/Hellersdorf ihr Direktmandat verteidigt.

Bild: Herta Däubler-Gmelin
Herta Däubler-Gmelin (SPD) ist wie Wolfgang Schäuble seit 1972 Bundestagsabgeordnete.

Bild: Das Reichstagsgebäude bei Nacht
Das Reichstagsgebäude mit erleuchteter Fraktionsebene.

Der 16. Deutsche Bundestag im Profil

Neue Mehrheiten, eine neue Fraktion – und viele neue Abgeordnete: Jeder vierte erfolgreiche Kandidat zieht 2005 zum ersten Mal ins deutsche Parlament ein. Das ist eine Entwicklung, die den Generationenwechsel bei der Wahl vor drei Jahren fortsetzt. Die Fraktion „Die Linke.“ ist hinzugekommen, und die Gesamtzahl der Abgeordneten ist gestiegen. Dennoch bleibt auch vieles gleich: sowohl der Alterspräsident als auch die jüngste Abgeordnete, der Altersdurchschnitt und der Frauenanteil.

Wenn es im 16. Deutschen Bundestag einen Durchschnittsabgeordneten gäbe, dann müsste er knapp über 49 Jahre alt sein, entweder der SPD oder der CDU/CSU angehören und aus einem Dienstleistungsberuf kommen. Und er müsste ein Mann sein, denn noch immer gehören zwei von drei Abgeordneten dem männlichen Geschlecht an.

Das neue Parlament umfasst insgesamt 614 Abgeordnete. Das sind elf mehr als im 15. Deutschen Bundestag bei seinem Zusammentreten vor drei Jahren. Eigentlich soll sich das Parlament je zur Hälfte aus den 299 in den Wahlkreisen direkt gewählten Abgeordneten und einer gleichen Zahl von Politikerinnen und Politikern zusammensetzen, die die Parteien über ihre Landeslisten in den Bundestag schicken. Das wären nur 598 Mitglieder.

Die zusätzlichen Sitze entstehen durch Überhangmandate. Diese erhält eine Partei, wenn sie in einem Bundesland mehr Wahlkreise direkt erobert hat, als ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis zusteht. Von dieser Besonderheit profitiert dieses Mal die SPD, die in Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Hamburg und im Saarland insgesamt neun Überhangmandate einsammelte. Die CDU gewann sechs solcher Sitze, jeweils drei in Sachsen und Baden-Württemberg. Allerdings sind diese Mandate bei knappen Mehrheiten kein sicheres Polster für die gesamte Wahlperiode. Denn wenn einer der Abgeordneten mit einem Überhangmandat aus dem Bundestag ausscheidet, dann wird dieses Mandat nicht ersetzt. Es gibt in diesem Fall also keinen Nachrücker, der den Platz besetzen kann. Eine knappe Mehrheit kann schrumpfen.

Im Vergleich zum vorigen Parlament ist auch die Zahl der Fraktionen gestiegen. Jetzt gibt es wieder fünf Fraktionen wie schon 1998, weil Die Linke. anders als ihre Vorgängerin PDS die Fünf-Prozent-Hürde überwinden konnte. Es gibt also Arbeit für die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, die die blau gepolsterten Sitze im Plenarsaal an die neuen Verhältnisse anpassen müssen. Das muss bis zur ersten Sitzung des neuen Bundestages geschehen, die laut Grundgesetz spätestens „am dreißigsten Tage nach der Wahl“ stattfinden muss, also bis zum 18. Oktober.

Zu dieser konstituierenden Sitzung werden einige Abgeordnete mit stolz geschwellter Brust erscheinen. Das sind jene, die in ihrem Wahlkreis einen besonders hohen Anteil der Erststimmen erringen konnten. Denn der Erststimmenanteil wird als das Zeugnis der Wähler im Wahlkreis für die Leistung des Kandidaten gewertet, während sich bei den Zweitstimmen die Parteipräferenz ausdrückt.

Stolze Wahlkreisgewinner

Erststimmensieger ist wieder Ernst Hinsken (CDU/CSU), der in seinem Wahlkreis Straubing dieses Mal auf 68,0 Prozent der Erststimmen kam, allerdings dem Landestrend entsprechend gegenüber 2002 Einbußen verzeichnete. Einen Zugewinn hingegen schaffte der Berliner Hans-Christian Ströbele, der wie schon vor drei Jahren für das Bündnis 90/Die Grünen das einzige Direktmandat holte und dabei seinen Stimmenanteil um über zehn Punkte auf 43,2 Prozent verbesserte.

Ströbele, Jahrgang 1939, ist das älteste Mitglied seiner Fraktion, die mit 46,3 Jahren fast genau um drei Jahre unter dem Altersdurchschnitt des neuen Bundestages liegt. Der beträgt nämlich rund 49,3 Jahre und ist gegenüber dem 15. Deutschen Bundestag unverändert geblieben. Die beiden großen Fraktionen liegen beim Alter knapp über dem Durchschnitt: Die FDP-Fraktion, die vor drei Jahren zusammen mit der SPD mit über 50 Jahren noch den höchsten Altersdurchschnitt aufwies, hat sich aufgrund der Stimmengewinne und vieler neuer Fraktionsmitglieder deutlich verjüngt. Mit rund 47,5 liegen die Freidemokraten nur noch ein gutes Jahr über den Grünen.

Den Altersdurchschnitt bei Bündnis 90/Die Grünen hat vor allem Anna Lührmann, Jahrgang 1983, gesenkt, die nach drei Jahren im Bundestag immer noch die mit Abstand jüngste Abgeordnete ist. Zwischen ihr und dem Sozialdemokraten Otto Schily, Jahrgang 1932, liegt mehr als ein halbes Jahrhundert.

Brüder im Bundestag

Der SPD-Politiker wird wie vor drei Jahren als Alterspräsident die erste Sitzung des neuen Bundestages leiten. Wie in der Vergangenheit wird er vorläufige Schriftführer benennen, die Abgeordneten namentlich aufrufen lassen und schließlich die Beschlussfähigkeit feststellen.

Dabei wird Schily auch einen neuen Abgeordneten aufrufen lassen, der ihm familiär besonders nahe steht. Für die FDP zog sein Bruder Konrad in den Bundestag ein, der sich als Gründungspräsident der Privatuniversität Witten/Herdecke einen Namen gemacht hatte. Nach Volker und Siegfried Kauder sind die Schilys nun das zweite Bruderpaar im Bundestag.

Bis einmal zwei Schwestern im Bundestag vertreten sind, ist es wohl noch ein langer Weg. Denn die Männer stellen mit rund zwei Dritteln wieder die große Mehrheit. Damit könnten sie, sieht man einmal von den Fraktionsgrenzen ab, sogar das Grundgesetz ändern. Die Frauen haben ihre Position aus dem 15. Bundestag nur knapp gehalten und stellen nach 32,2 jetzt 31,8 Prozent.

Neue Gesichter

Anders als im Gesamtparlament sieht es bei Bündnis 90/Die Grünen aus, wo die Frauen traditionell eine Mehrheit haben, dieses Mal mit 29 Frauen gegenüber 22 Männern. Aber auch bei der neu im Bundestag vertretenen Fraktion Die Linke. sind die Frauen gut zum Zuge gekommen. Immerhin 26 Frauen stehen hier 28 Männern gegenüber.

Überwiegend neue Gesichter hat Die Linke. ins Parlament gebracht – abgesehen von einigen ehemaligen PDS-Bundestagsabgeordneten. So haben Gesine Lötzsch und Petra Pau, die als fraktionslose Abgeordnete der PDS bereits dem 15. Deutschen Bundestag angehörten, ihre Berliner Direktmandate verteidigt. Die FDP schickt von eigentlich als aussichtslos geltenden Listenplätzen zahlreiche Neulinge nach Berlin. Insgesamt 147 Debütanten verzeichnete die Statistik nach der Wahl. Fast jeder vierte hat bisher noch nie im Bundestag gesessen.

Diese Rechnung ist allerdings nicht endgültig. Denn es ist fraglich, ob alle Neuen das Mandat in Berlin annehmen. Diese Entscheidung hängt vor allem von der Regierungsbildung ab. Denn es ist kein Geheimnis, dass die frisch gebackenen Bundestagsabgeordneten Edmund Stoiber und Peter Müller von CSU und CDU, ihres Zeichens Ministerpräsidenten, nur nach Berlin kommen, wenn sie hier gebraucht werden. Falls einige der in den neuen Bundestag gewählten Mitglieder ihr Mandat nicht annehmen oder später niederlegen, rücken auf die frei werdenden Sitze Parteifreunde, die auf den nächsten Plätzen der jeweiligen Landeslisten warten.

Ähnlich viele neue Mitglieder wie in diesem Jahr waren auch vor drei Jahren bei der Wahl oder anschließend als Nachrücker in den Bundestag eingezogen. Knapp 300 Abgeordnete des 16. Bundestages, also fast jeder zweite, haben erst drei Jahre oder weniger Parlamentserfahrung.

Auf der anderen Seite ist die Abgeordnetengeneration, die in den 70er Jahren in den Bundestag einzog, inzwischen fast völlig verschwunden. Nur neun von ihnen sind noch geblieben. Die beiden mit der längsten Parlaments- und auch Regierungserfahrung sind Herta Däubler-Gmelin von der SPD und Wolfgang Schäuble von der CDU/CSU, die als 29- und 30-Jährige 1972 erstmals ins Parlament gewählt worden waren. In die damals zum Teil noch provisorischen Gebäude am Rheinufer in Bonn zogen vier Jahre später auch Michael Glos, Lothar Ibrügger, Eduard Lintner, Heinz Riesenhuber, Gerd Weisskirchen, Willy Wimmer und Matthias Wissmann ein.

Parlament der Dienstleister

Der Bundeswahlleiter hat nach dem 18. September auch eine erste Übersicht über die Berufe der neuen (und alten) Abgeordneten vorgelegt. Während früher einmal der Bundestag spöttisch als Lehrerparlament bezeichnet wurde, könnte man heute eher von einer Versammlung der Juristen sprechen. 57 MdB ordnete der Bundeswahlleiter den Berufen „im Rechts- und Vollstreckungswesen“ zu. Tatsächlich ist „Rechtsanwalt“ eine sehr häufige Berufsbezeichnung in den Lebensläufen. Dagegen wurden nur 25 Lehrerinnen und Lehrer gezählt. Beide Berufe fasst der Bundeswahlleiter übrigens unter „Dienstleistungsberufe“ zusammen.

Hier ergibt sich die allergrößte Mehrheit im neuen Parlament: Über 90 Prozent der Mitglieder sind als Dienstleister erfasst. Da müssen sich die zehn Abgeordneten, die der Fertigung, also der Produktion, zugeordnet werden, doch recht einsam vorkommen.

Text: Klaus Lantermann
Fotos: studio kohlmeier, Lichtblick, Deutscher Bundestag, Picture-Alliance, ddp
Erschienen am 12. Oktober 2005

Weitere Informationen:

  • Wie Überhangmandate entstehen
    Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate durch Erststimmen erhält, als ihr aufgrund des erzielten Anteils an Zweitstimmen zustehen. So könnte es vorkommen, dass eine Partei aufgrund ihres Zweitstimmenanteils in einem Bundesland 11 Abgeordnete in den Bundestag entsenden darf. Haben nun aber 13 Kandidaten dieser Partei per Erststimme ein Direktmandat in dem Bundesland errungen, wird das Kontingent übertroffen. Da die Direktmandate feststehen, entfallen auf diese Partei zwei Überhangmandate, die die Gesamtzahl der Bundestagssitze erhöhen.

  • Die Geschäftsordnung des Bundestages
    Die Geschäftsordnung des Bundestages fördert den Ausgleich der Interessen zwischen den Fraktionen, regelt wichtige Abläufe und steigert so die Effizienz und Transparenz der Parlamentsarbeit. In der Geschäftsordnung werden die Funktionen, die Rechte und Pflichten, die Einberufung und die Abläufe von Sitzungen und vieles mehr detailliert vorgeschrieben. Im Gegensatz zu den ersten deutschen Parlamenten in monarchischer Zeit, in der Kaiser und Könige glaubten, den Abgeordneten eine „Disziplin“ vorgeben zu müssen, legt das Grundgesetz in Artikel 40 fest: „Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung.“ Damit ist die Geschäftsordnung autonomes Satzungsrecht des Parlamentes. Sie muss zwar nach jeder Wahl neu beschlossen werden. Doch in der Regel übernimmt der Bundestag die Geschäftsordnung seines Vorgängerparlaments und verändert sie im Verlauf der Wahlperiode nur gelegentlich, und dann meist nur in Details.


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