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Arbeiten:
Es gibt viel zu tun! GLASKLAR „Arbeiten“ begleitet die
Abgeordneten durch die Sitzungswoche, schaut sich an, wie ein
Gesetz entsteht und hat junge Menschen getroffen, die im Bundestag
arbeiten. Und was macht eigentlich ein Bundestagspräsident und
was eine Fraktionsvorsitzende? GLASKLAR hat einfach mal
nachgefragt.
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Warum wurden normale Menschen zu Tätern? 80 junge Leute aus Deutschland, Polen und Frankreich haben sich auf die Spurensuche begeben. Eingeladen vom Deutschen Bundestag kamen sie zur Jugendbegegnung anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus zusammen. Mit Bundestagspräsident Norbert Lammert und mit dem Zeitzeugen Ernst Cramer, Gastredner der Gedenkstunde im Bundestag am 27. Januar, sprachen sie über den Holocaust. Zuvor versuchten die Jugendlichen bei einem dreitägigen Workshop in der Mahnund Gedenkstätte Ravensbrück, am Ort des ehemaligen Frauen-Konzentrationslagers, gemeinsam die Annäherung an die Schreckenszeit – und an ihre damit verbundenen Empfindungen und Erfahrungen. BLICKPUNKT BUNDESTAG hat sie dabei begleitet.
Ein weitläufiger, leerer Platz, rechts begrenzt von hohen Linden, die jetzt im Winter völlig kahl sind. Links eine Böschung, Teile einer Mauer und einige flache, graue Gebäude. Trotz Sonnenschein ist es klirrend kalt. Eine Gruppe junger Menschen nähert sich dem Lagereingang. Der Schnee knirscht laut unter ihren Schritten. Alle haben ihre Mützen tief ins Gesicht gezogen, manche den Schal bis über die Nasenspitze gewickelt.
Langsam betreten die jungen Leute die riesige Freifläche. Der Platz liegt im Zentrum des ehemaligen Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück, wo Aufseherinnen auf Geheiß der SS bis vor 61 Jahren Häftlinge täglich drangsalierten, sie oft stundenlang Appell stehen ließen. Die jungen Leute blicken umher und versuchen, sich einen Eindruck zu machen von dem, was nicht mehr zu sehen, nur noch zu erahnen ist. Katinka Steen, eine Studentin, die oft Gruppen über das Gelände führt, zeigt, wo früher die Baracken der Häftlinge standen, und erzählt vom Leben der Frauen.
Kaum jemand sonst sagt etwas. Auf dem Weg zum ehemaligen Lagergefängis gehen die Jugendlichen an Gedenktafeln und Blumen vorbei. Sie erinnern daran, dass hier an einer Mauer viele Frauen erschossen wurden. Trotz Eiseskälte vermag sich niemand vorzustellen, was Kälte und Frieren für die Häflinge bedeutet haben mag.
80 junge Menschen haben sich in dieser kalten Januarwoche an dem Ort nördlich von Berlin eingefunden. Sie kommen aus verschiedenen Gegenden Deutschlands, aus Frankreich und aus Polen. Sie wollen gemeinsam versuchen, sich in der Gedenkstätte Ravensbrück dem Grauen anzunähern, das hier geschehen ist. Dem Massenmord an Juden, an Sinti und Roma, an all jenen, die das nationalsozialistische Terrorregime als „Volksfeinde“ oder „asozial“ bezeichnete.
Eingeladen hat die 18- bis 24-Jährigen der Deutsche Bundestag. Anlass der mittlerweile zehnten Jugendbegegnung ist der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Seit 1996 der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar (den Tag der Befreiung des Konzentrationsund Vernichtungslagers Auschwitz 1945) zum Gedenktag erklärte, erinnert der Bundestag jedes Jahr mit einer Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus. Das Konzentrationslager Ravensbrück wurde am 30. April 1945 befreit. Zehntausende waren bis dahin hier ermordet worden.
Die Täter im Fokus
Die Organisatoren Ines Mockenhaupt-Gordon und Jochen Boekhoff vom Besucherdienst des Deutschen Bundestages haben die Beschäftigung mit den nationalsozialistischen Tätern in den Mittelpunkt des fünftägigen Workshops gestellt. Eine der zentralen Fragen: Wie konnten aus normalen Menschen Massenmörder werden? Ausstellungsbesuche stehen dazu auf dem Programm, wissenschaftliche Vorträge – vor allem aber haben die jungen Menschen nachgedacht, gesprochen, diskutiert.
Sie ringen um Argumente, es wird manchmal gelacht, weil man sich gut versteht, und es wird geweint, etwa weil unbegreiflich scheint, dass sich die Aufseherinnen des KZs sonntags in der Sonne räkelten, sich gegenseitig fotografierten und schon am nächsten Morgen wieder wehrlose Menschen prügelten. „Wie konnten sie auch noch diese Fotos als Erinnerung aufbewahren?“, fragt eine junge Frau aus Frankreich fassungslos. „Menschen sind zwiespältig“, versucht der Sozialpsychologe Harald Welzer, einer der Referenten, zu erklären, „sie werden nicht urplötzlich zum Monster.“ Sie seien letztlich beides, gut und böse. Nicht selten wiege die Loyalität zu Vorgesetzten oder Kameraden, die Angst vor sozialer Ausgrenzung schwerer, so Welzer, als sich gegen einen Befehl zu stellen und Verfolgten zu helfen. Der Versuch, menschliches Versagen zu erklären, solle aber niemals eine Entschuldigung dafür sein.
Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer engagieren sich in Initiativen und Projekten zur Geschichte des Nationalsozialismus gegen Antisemitismus oder Rassismus. Manche haben einen sehr persönlichen Bezug zu den Verbrechen des Nationalsozialismus – weil sie jüdischen Glaubens oder Angehörige der Opfer sind. Wie etwa Anne Widder aus Landshut. Ihr Urgroßvater war Häftling in einem Konzentrationslager und überlebte. „Er hatte diese eintätowierte Nummer hier“, sagt die 20-Jährige und deutet auf die Innenseite ihres linken Unterarms. Seit einiger Zeit ist sie Mitglied in der Lagergemeinschaft Ravensbrück, einer Organisation von ehemaligen Häftlingen und ihren Nachkommen, die sich dafür einsetzen, dass ihr Schicksal nicht vergessen wird. Die „Ravensbrückerinnen“, wie sie sich nennen, organisieren Diskussionen mit Zeitzeugen oder Studienfahrten.
Auch Katarzyna Dulko lebt mit der Vergangenheit. Sie wuchs in dem polnischen Ort Oswiecim auf, in Deutschland und überall sonst auf der Welt nur als Auschwitz bekannt. „Wenn man dort wohnt, will man wissen, was es damit auf sich hat“, erklärt die 23-Jährige, weshalb sie sich in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz engagiert. Die Frage, wie Auschwitz passieren konnte, interessiert sie sehr. „Wir beschäftigen uns meist mehr mit den Opfern als mit den Tätern“, sagt die Politikstudentin. „Auf Grund unserer Geschichte, in der wir Polen oft Opfer waren, beleuchten wir nicht gern die dunklen Kapitel unserer eigenen Vergangenheit.“ Das sei zwar verständlich, verstelle aber den Blick auf Probleme, die auch Polen betreffen, meint sie. Nationalismus und Rechtsextremismus etwa. „Das verbinden wir so sehr mit Deutschland, dass wir es bei uns nicht ernst genug nehmen.“
Ähnlich denkt die Französin Emilie Herrbach: „In Frankreich beschäftigt man sich nicht gern mit Verbrechen, die zur Zeit des Nationalsozialismus von Franzosen begangen wurden.“ Überhaupt irritiert es die 20-Jährige, dass viele ihres Alters so wenig über diese Zeit wissen. Als Elsässerin passiert es ihr oft, dass man sie für eine Deutsche hält. Einfach aus Unkenntnis darüber, dass das Elsass zu Frankreich, nicht zu Deutschland gehört. „Das ärgert mich“, sagt sie, die deutsche und französische Großeltern hat.
Wie die Vergangenheit einen einholen kann, hat auch Thomas Ehelebe erfahren. Die Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt ihn seit jeher, aber dass er Spuren dieser Geschichte auch in seiner Familie entdecken würde, damit hatte er nicht gerechnet. „Es gab Hinweise, aber die habe ich nicht beachtet“, sagt der 23-Jährige, der in Wittenberg ein freiwilliges soziales Jahr bei ConAct absolviert, einer Organisation, die den Austausch zwischen deutschen und israelischen Jugendlichen fördert.
Fragen an die Familie
Er war gerade dabei, eine Vortragsreise einer israelischen Zeitzeugin durch Deutschland zu planen und beschäftigte sich deshalb intensiv mit dem Nationalsozialismus, als ihm einfiel, dass es auf dem Hof seiner Großeltern einen Wohnraum gab, der in der Familie wie selbstverständlich „die Polenkammer“ genannt wurde. „Jahrelang habe ich das hingenommen“, sagt Thomas Ehelebe. Dann fragte er nach und erfuhr, dass die Familie damals in der Erntezeit polnische Arbeiter beschäftigt hatte. Nun will er weiter nachforschen. Besonders mit seinem Großvater will er reden – solange das noch möglich ist.
Zurück in Berlin nehmen die Jugendlichen am 27. Januar an der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Plenarsaal des Deutschen Bundestages teil. In der Gedenkstunde sprechen Bundestagspräsident Norbert Lammert und der Publizist Ernst Cramer, der als 25-Jähriger im KZ Buchenwald inhaftiert war und nur durch seine Emigration in die USA der Verfolgung durch die Nazis entkam. Die Eltern und der jüngere Bruder des heute 93-Jährigen überlebten den Holocaust dagegen nicht.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion mit Cramer und dem Bundestagspräsidenten zeigen die Jugendlichen Ausschnitte aus einem Videofilm, den sie in Ravensbrück produziert haben. Gesprächen mit ehemaligen Inhaftierten und Aufseherinnen aus Archivmaterial stehen kurze, in Ravensbrück gedrehte Interviews mit Workshop-Teilnehmern gegenüber. Gruppenweise präsentieren die Jugendlichen dann ihre Diskussionsergebnisse und nutzen die Gelegenheit, sie mit einem Zeitzeugen zu teilen. Sie fragen Cramer nach seiner Sicht, wollen an seinen Erinnerungen teilhaben. Zum Abschluss ermuntert Bundestagspräsident Lammert die Teilnehmer, sich weiter mit den Gefahren von Antisemitismus und Rechtsextremismus auseinander zu setzen: „Bleiben Sie dran! Demokratie ist keine selbstverständliche Normalität. Es ist aber unsere Aufgabe, täglich dafür zu kämpfen, dass sie es bleibt.“
Text: Sandra Schmid
Fotos: Felix Heibges, Deutscher Bundestag
Erschienen am 8. Februar 2006
Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
Ravensbrück war das einzige große Frauen-Konzentrationslager auf deutschem Boden. Errichtet von Häftlingen des KZ Sachsenhausen, wurden hier von 1939 bis zur Befreiung des Lagers durch die sowjetische Armee am 30. April 1945 über 132.000 Frauen und fast 1.000 Kinder als Häftlinge registriert. Die Deportierten stammten aus über 40 Nationen, vor allem aus Polen, unter ihnen viele Jüdinnen. Zehntausende wurden ermordet, starben an Hunger und Kälte, Krankheiten und medizinischen Experimenten. Etwa 6.000 Menschen ließ die SS vergasen.1959 wurde das Gelände als Nationale Mahn- und Gedenkstätte der DDR eingeweiht, seit 1993 gehört Ravensbrück zur Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. In den früheren Häusern der Lageraufseherinnen befindet sich heute eine internationale Begegnungsstätte.