Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 18 / 26.04.2004
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Hartmut Hausmann

Angeblich über 7.200 Vergehen

Cox weist Vorwürfe des Abgeordneten Martin scharf zurück

Der fraktionslose österreichische EP-Abgeordnete Hans-Peter Martin, der mit einem in einer deutschen Boulevardzeitung aufgemachten Skandal über vermeintliche Selbstbereicherung von Europaabgeordneten Aufsehen erregt hat, versuchte letzte Woche in Straßburg, Beweise für seine Behauptungen vorzulegen. Er hatte angeprangert, dass sich viele Abgeordnete in das so genannte Zentralregister eintragen, das zum Empfang von einem Tagegeld von 262 Euro berechtigt, und dann nicht an der jeweiligen Sitzung des Parlaments teilnehmen. In einem Brief an Parlamentspräsident Pat Cox legte Martin jetzt eine Liste mit 7.208 "problematischen Fällen" vor, in denen seiner Meinung nach Tagegelder skrupellos eingestrichen wurden. Betroffen sind Abgeordnete aus allen EU-Ländern und allen Fraktionen, einschließlich Parlamentspräsident Cox selbst.

Martin hatte in seinem Brief erklärt, dass Abgeordnetenkollegen neben ihren nationalen Diäten als Parlamentarier etwa 100.00 Euro im Jahr extra verdienten. Die Summe setze sich vor allem aus Reisekosten und Tagegeldern zusammen. So werde bei 150 Tagegeldern im Jahr ein Zusatzeinkommen von 24.000 Euro jährlich netto erzielt. Abgeordnete hätten sich in ausliegende Anwesenheitslisten eingetragen, obwohl nachweislich keine Sitzung stattgefunden haben. Andere hätten sich in eine "Fraktionsphantomsitzung" der SPE eingetragen. Auch sei eine Eintragung in das Register und die Abreise danach in weniger als einer Stunde wohl nicht mit der Vorstellung einer sinnvollen Verwendung von Steuergeldern vereinbar.

Die Mehrheit des Parlaments vertritt dagegen die Auffassung, dass Tagegelder keine Sitzungsgelder sind. Allein die Anwesenheit am Arbeitsort - Fraktionssitzungen, das Ausarbeiten von Berichten oder Änderungsanträgen, Vorträge vor Besuchergruppen, Sprechstunden, oder Briefe beantworten - berechtige zum Empfang von Tagegeldern. Dementsprechend erklärte der Präsident des Europäischen Parlaments, Pat Cox, es gebe keinerlei Hinweise, dass Abgeordnete gegen die Regeln verstoßen hätten. Der Fall mit der Fraktionssitzung werde noch geprüft. Martin warf er vor, eine Kampagne zu führen, in der die Ehre der Abgeordneten in Frage gestellt und möglicherweise manche Karriere zerstört werde. Es sei sehr einfach, den Ruf von öffentlichen Personen zu beschädigen, aber äußerst schwierig, dagegen vorzugehen, wenn bestimmte Medien eingeschaltet seien.

In einer scharf formulierten Erwiderung beschuldigte Cox den fraktionslosen Martin, Kollegen geheim gefilmt und Gespräche auf Tonbändern aufgezeichnet zu haben. Dies erinnere an Methoden aus einer anderen Zeit. Deutliche Kritik äußerte Cox aber auch an der deutschen und der österreichischen Regierung, die im Januar im EU-Ministerrat das EU-Abgeordnetenstatut verhindert hatten und auf dessen Grundlage eine neue Reisekostenregelung geschaffen werden sollte.

Martin verteidigte zwar erneut seine "Bespitzelung" mit der von ihm gegründeten "Europäischen Transparenz-Initiative". Ohne Filmaufnahmen hätte er ja keine Beweise antreten können. Andererseits vermied er aber, Cox zu widersprechen, dass es sich um Vergehen oder gar kriminelle Handlungen handele, weil er dann juristisch hätte belangt werden können. Er wiederholte nur seine Behauptung von "skrupellosem" Zugriff auf Steuergelder.

Er ahnte wohl, was auf ihn zu kommt. Denn inzwischen haben mehrere Abgeordnete Klage gegen ihn eingereicht, weil sie sonst kaum eine andere Chance sehen, die Vorwürfe zu entkräften. Als erste schaffte es die baden-württembergische Spitzenkandidatin der SPD, Evelyne Gebhardt, ein Urteil zu erreichen. Das Landgericht Köln verfügte nach Angaben Gebhardts unter Androhung von 250.000 Euro Geldstrafe oder sechs Monaten Haft, dass Martin das Ansehen der Abgeordneten nicht weiter beschädigen dürfe. Das Gericht stellte fest, dass Martin am 5. März 2004 auf der Zugfahrt von Brüssel nach Frankfurt/Main wissentlich falsche Aussagen gegen Evelyne Gebhardt gemacht habe, die als rufschädigend einzustufen seien. H. H.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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