Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 21-22 / 17.05.2004
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Wichard Woyke

Hürden und Wegbereiter in einem

Der immer wieder fragile Einigungsprozess Europas

EU-Europa hat mit der Erweiterung um zehn mittel-, ost- und südosteuropäische Staaten einen qualitativen Sprung unternommen, der zahlreiche Fragen aufwirft, ganz besonders die Frage nach der Zukunft der Europäischen Union selbst. Hans Arnold, früherer Bonner Spitzendiplomat, nähert sich diesen Problemen unter der Leitfrage, wie viel Einigung Europa generell braucht.

Zunächst stellt er eine alles in allem zutreffende Lageanalyse des Integrationsprozesses dar, in der er Wege, Formen und Probleme der europäischen Einigung aufzeigt. Bedeutsam dabei ist seine Aussage, dass seit der Verabschiedung des Maastrichter Vertrags die Einigungspolitik nicht abgebaut, sondern lediglich "herabgenüchtert", also realistischer, wurde. Er sieht im Integrationsprozess nach dem Ende des Ost-West-Konflikts eine Renationalisierung und verweist auf die inzwischen betonten nationalen Interessen.

Gerade sein Kapitel über das Europa der Interessen macht aber deutlich, dass diese Interessen auch bereits in der Hochphase des Einigungsprozesses in den 50er-Jahren vorhanden waren. Natürlich hatte Frankreich bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) neben dem hehren Interesse der europäischen Einigung das fundamentale Interesse der Kontrolle der Bundesrepublik Deutschland, nämlich mit Hilfe des neuen Ansatzes Kontrolle durch Integration. Und die Bundesrepublik hatte in der ersten Hälfte der 50er-Jahre neben dem Ziel der europäischen Einigung das Interesse, die Souveränität zu erlangen und ein gleichberechtigter Staat zu werden.

Europäische Integration war also auch deshalb erfolgreich, weil unterschiedliche nationale Interessen im Prozess der europäischen Einigung kompatibel waren und manchmal auch übereinstimmten. Allerdings, und da ist Arnold Recht zu geben, sieht der Verfasser die EU hinsichtlich des Interessenausgleichs zwischen den EU-Staaten und der Suche nach gemeinsamen europäischen Interessen, in einem schlechten Zustand. Deutschlands Interesse auf die Leitfrage des Buches taxiert Arnold gerade in so viel europäischer Einigung, dass es mittlerweile keine deutsche Frage mehr gibt, die ja den europäischen Integrationsprozess immer mitbestimmt hat.

Im Südosten Europas sieht Arnold die Grenzen erreicht und wendet sich vehement gegen einen möglichen Beitritt der Türkei, die er als zu groß, zu gewaltig und "bei aller politischen Korrektheit auch als zu exotisch" ansieht. Die Türkei müsste sich nach Auffassung Arnolds als Sprengsatz für den Integrationsprozess entwickeln, würde sie doch das Begehren weiterer nichteuropäischer Staaten für eine Mitgliedschaft fördern, meint der Autor.

Grenzen der Einigung Europas sieht der Verfasser durch die kulturelle Vielfalt gegeben. So ist für ihn dieSprachenvielfalt nicht nur der stärkste Ausdruck der kulturellen Vielfalt Europas, sondern auch die stärkste kulturelle Behinderung und Eingrenzung der Einigung zwischen den Europäern. Arnold plädiert vehement für ein Europa der Bürger und ein Europa der Gesellschaften. Ohne ein selbstverständliches Bewusstsein der europäischen Bürger, dass sie in EU-Europa in einem gemeinsamen Lebensraum leben, hält er die Einigung für unvollständig. Seine Therapievorschläge zur Schaffung von mehr europäischer Identität beruhen weitgehend auf lerntheoretischen Ansätzen und wirken zum Teil etwas naiv.

Hinsichtlich der Vorstellung EU-Europas als global player stellt sich für Arnold weniger die Frage, "wie viel Einigung Europa braucht, sondern mehr die ernste Frage, zu wie viel Einigung Europa überhaupt fähig ist". Hinsichtlich ihres Handelns in der Weltpolitik rät der ehemalige Diplomat der EU, von drei Voraussetzungen auszugehen: "von ihrem eigenen Unvermögen als quasi einheitliche Großmacht mit Waffengewalt zu agieren sowie von den neuen weltpolitischen Herausforderungen und den unverändert bedeutsamen Verbindungen zwischen Europa und den USA".

Alles in allem ein Buch, in dem der Verfasser pointiert zu bestimmten Bereichen der Integration Stellung nimmt, dem die Einigung Europas am Herzen liegt, der sich allerdings in großen Teilen vehement gegen bisherige Verlaufsmuster europäischer Integration und für ein bürgerkonformes Europa ausspricht. Gerade jetzt, in den Tagen und Wochen vor der Europawahl, ist das Buch ein guter Wegweiser durch die europäische Politik.

Hans Arnold

Wie viel Einigung braucht Europa?

Droste Verlag, Düsseldorf 2004;

208 S.,15,95 Euro


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