Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 43 / 24.10.2005
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Norbert Röttgen

Der Gedanke der Repräsentation soll bestimmen

Geschäftsordnungsdebatte zur Festlegung der Zahl der Stellvertreter des Bundestagspräsidenten

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen nunmehr über die Anzahl der Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages abstimmen. Die Fraktion der Grünen hat darum gebeten, dass wir darüber nicht nur abstimmen, sondern auch kurz debattieren. Darum möchte ich für unsere Fraktion unsere Haltung begründen.

Bei der Frage, wie viele Vizepräsidenten es im Bundestag geben soll, besteht eigentlich Konsens über das Prinzip, wie wir das entscheiden wollen. Dieser Konsens findet Ausdruck in der geltenden Geschäftsordnung. Dort ist nämlich geregelt, dass jede Fraktion mindestens einen Vizepräsidenten stellt. Das macht den Gedanken deutlich, der dieses Prinzip trägt: Der Gedanke der Repräsentation soll die Zahl der Vizepräsidenten bestimmen.

Nicht etwa der Gedanke Kosten sparender Effizienz soll hier maßgeblich sein. Es wird nicht gesagt: Wir haben einen Präsidenten, dem dann zwei Vizepräsidenten zur Seite gestellt werden. Vielmehr soll der Gedanke der Repräsentation entscheidend sein. Dieser Gedanke ist nicht zuletzt auch Ausdruck der Berücksichtigung der Interessen der kleineren Fraktionen, die, wenn die Zahl der Vizepräsidenten kleiner wäre, dann im Präsidium möglicherweise nicht berücksichtigt werden könnten.

In der Logik dieses Gedankens der Repräsentation liegt es, dass nunmehr die sozialdemokratische Fraktion des Bundestages als zweitstärkste Fraktion einen Anspruch darauf hat, zwei Vizepräsidenten zu stellen; denn die Repräsentation - das ist ein durchgängiges Prinzip unserer Arbeitsordnung - hängt auch davon ab, wie stark die Fraktionen sind. Für die SPD-Fraktion wäre es im Verhältnis zur kleinsten Fraktion des Bundestages, die 51 Mitglieder stellt, nicht fair und keine angemessene Repräsentation, wenn diese die gleiche Zahl von Vizepräsidenten erhielte wie die SPD-Fraktion, die 222 Abgeordnete stellt, also mehr als viermal so viel.

Auch im Verhältnis zu den beiden großen Fraktionen ist es nicht angemessen, wenn man der SPD-Fraktion nur einen Vizepräsidenten gewährte. Die CDU/CSU-Fraktion hat vier Sitze mehr als die SPD-Fraktion. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied, wie wir in den letzten Tagen und Wochen bemerkt haben. Gelegentlich kommt es ganz entscheidend auf diesen Unterschied eines kleinen Stimmenvorsprungs an, aber er spielt keine Rolle bei der Repräsentation im Präsidium. Es wäre nicht richtig, wenn die Unionsfraktion, die vier Sitze mehr hat als die SPD-Fraktion, einen Präsidenten und einen Vizepräsidenten stellte und eine große Fraktion wie die SPD-Fraktion nur mit einem Vizepräsidenten im Präsidium vertreten wäre. Das empfänden wir als nicht richtig.

Die Unionsfraktion hat in dieser Frage seit über zehn Jahren immer wieder dieselbe Position vertreten. Wir haben 1994 die Initiative der grünen Fraktion unterstützt, die Regelung einzufügen, dass jede Fraktion einen Vizepräsidenten stellt. Damals war die SPD benachteiligt. Sie musste auf einen Vizepräsidenten verzichten, um die kleine neue Fraktion berücksichtigen zu können. Wir haben dem ausdrücklich zugestimmt und 1994 diese neue Regelung begrüßt.

Ich führe den Gedanken der Repräsentation deshalb so ausführlich aus, weil ich Sie dafür kritisieren möchte, dass Sie dem Gedanken der Repräsentation zustimmen, solange er Ihre Interessen berücksichtigt, dass aber Ihre Zustimmung an dem Punkt endet, wo er andere begünstigt. Wir haben den Gedanken, den ich gerade ausführe, bereits in der letzten Legislaturperiode vertreten. Wir waren damals der Auffassung, dass die ungefähr gleich großen Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit jeweils zwei Mitgliedern im Präsidium vertreten sein sollten. Wir wären damals die Begünstigten gewesen. Wir halten auch in der gegenwärtigen Situation, in der die SPD-Fraktion durch diese Regelung begünstigt wird, an unserer Auffassung fest.

Wir sind der Auffassung - auch das ist ein Thema, das in den letzten Wochen eine Rolle gespielt hat -, dass es in unserer parlamentarischen Demokratie ein paar Regeln geben sollte, die bei dem, was uns prägt - Kontroverse, Auseinandersetzung, Streit -, unabhängig davon gelten, wer gerade Minderheit oder Mehrheit ist. Ich glaube, dass solche Stabilität erzeugenden Regelungen für die Arbeit in einer parlamentarischen Demokratie sinnvoll sind.

(Beifall bei CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Darum bleiben wir im Sinne der Repräsentation bei unserer Auffassung. Das kann man durchaus anders sehen. Ich wollte diese Position unserer Fraktion noch einmal begründen.

Ich möchte abschließend zu diesem Thema noch die Bitte äußern, dass wir in einer sehr wichtigen Frage - auch wenn man in der Sache unterschiedlicher Auffassung sein kann - den Konsens der Demokraten erhalten und auch verteidigen, nämlich gegenüber den immer wieder festzustellenden Bestrebungen, unter fadenscheinigen Kostenargumenten die Institutionen der parlamentarischen Demokratie zu diskreditieren. Diese Bemühungen gibt es immer wieder.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Diejenigen, die diese Bestrebungen verfolgen, meinen es mit unserer parlamentarischen Demokratie nicht gut. Wir sollten denjenigen entschieden entgegentreten, die sagen, Demokratie solle so organisiert werden, dass es am billigsten ist. Wir sollten Demokratie so organisieren, dass wir eine möglichst lebendige, stabile und repräsentative Demokratie haben. Das ist unser Auftrag und das ist ein hohes Gut, das wir alle gemeinsam über Grenzen hinweg verteidigen sollten. Von diesem Gedanken ist auch unser Antrag getragen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.