Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 43 / 24.10.2005
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Volker Beck

Wir als Fraktion bleiben uns treu

Geschäftsordnungsdebatte zur Festlegung der Zahl der Stellvertreter des Bundestagspräsidenten

Herr Präsident, ich möchte Ihnen zunächst einmal im Namen meiner Fraktion herzlich gratulieren und Ihnen dennoch die beste Zusammenarbeit anbieten. Das, was Sie zu den kleinen Fraktionen gesagt haben, haben wir wohl gehört. Darauf wollen wir gerne zurückkommen.

Es ist ja schon fast Tradition: Seit 1994 streiten wir zu Beginn jeder konstituierenden Sitzung über die Größe des Präsidiums. Die zweitgrößte Fraktion, einmal diese, einmal jene, beantragt dann regelmäßig, sie möchte gerne einen zweiten Vizepräsidenten stellen. Bislang wurde dieses Begehren immer von der Mehrheit des Hauses mit guten Gründen abgelehnt. Auch die Situation, dass wir fünf Fraktionen und deshalb nach unserer Geschäftsordnung logischerweise mindestens fünf Vizepräsidentinnen bzw. Vizepräsidenten haben, ist nicht neu. 1998 hatten wir diese Situation. Das Präsidium verständigte sich damals ohne förmliche Änderung der Geschäftsordnung, dass bei Stimmengleichheit die Stimme des Präsidenten den Ausschlag gibt und damit die Mehrheitsposition der Koalition gewahrt bleibt. Es gibt also keine parlamentarische Notwendigkeit für die jetzige Erweiterung. Es gibt deshalb auch für diese Zusatzkosten, die das gleichwohl bedeutet, keinen Grund. Wir wenden uns ausdrücklich gegen diese Erweiterung und damit nicht gegen die vorgeschlagenen Personen, die wir alle für dieses Amt geeignet halten.

Mit unserer Haltung der Ablehnung der Erweiterung des Präsidiums befinden wir uns allerdings in der besten Gesellschaft. Ich darf, Norbert Röttgen, Ihren Amtsvorgänger aus dem Jahre 1994, Jürgen Rüttgers, zum damaligen Antrag der SPD zitieren:

Wir lehnen die von der SPD-Fraktion beantragte Erhöhung der Zahl der Vizepräsidenten ab, weil sie mit der nach unserer Auffassung zu Recht geforderten Straffung der Parlamentsarbeit und der Bundestagsgremien nicht zu vereinbaren ist. Wir reden allenthalben von notwendigen Sparmaßnahmen. Daher ist es nach unserer Auffassung nicht gerechtfertigt, gleich bei erster Gelegenheit eine Vergrößerung des Präsidiums vorzunehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Recht hat er, der Kollege Rüttgers.

Diesen Kollegen Rüttgers zitiert dann im Jahre 1998 der Kollege Wilhelm Schmidt, der Amtsvorgänger von Olaf Scholz:

Ich kann heute hier nur feststellen: Recht hat er gehabt, der Kollege Rüttgers

- sagt der Kollege Schmidt -,

auch wenn ich zugeben muss: Das haben wir erst ein bißchen später richtig mitgekriegt.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

Immerhin Selbstkritik!

Da wir bei dem ständigen Basteln an dieser Geschäftsordnung, wie Sie es wünschen, meine Damen und Herren

- diesmal sind die bösen Jungs und Mädchen von der CDU gemeint -,

nicht mitmachen werden, werden wir heute mit der Mehrheit des Hauses beschließen, daß es nach der vom Wähler bestimmten Zahl der Fraktionen fünf Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten geben wird, immerhin einen mehr als bisher.

Das gilt auch für heute. Das können wir auch heute wieder so haben.

Wilhelm Schmidt sagt im Jahre 2002:

… uns geht es darum, das Prinzip, das sich in diesem Bundestag in den vergangenen acht Jahren eingeübt hat, fortzusetzen, und zwar aus Überzeugung.

Wo ist sie denn hin, die Überzeugung?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

Diese Parlamentsreform hat zu einer Verkleinerung dieses Hauses um ungefähr 10 Prozent der Sitze geführt. Warum sollten wir dann nicht auch konsequent das Präsidium verkleinern, wenn sich die Chance dazu bietet?

Das meinte der Kollege Schmidt.

Ich stelle unseren Antrag, für jede Fraktion einen Vizepräsidenten zu wählen, hier zur Abstimmung und bitte um Ihre Zustimmung.

Das tun auch wir heute.

Mit dem Wechseln der Meinung bei dieser Frage ist es so eine Sache. Ich sage Ihnen, lieber Kollege van Essen: Im Himmel ist - das wissen Sie als Katholik - mehr Freude über einen reuigen Sünder als über 99 Gerechte. Deshalb freue ich mich, dass Sie die Position vom letzten Mal nicht wieder vortragen. Damals haben Sie behauptet, es sei eine Frage der Fairness, dass auch die zweitgrößte Fraktion mit zwei Personen im Präsidium des Deutschen Bundestages vertreten ist.

Wir als Fraktion bleiben uns treu.

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU - Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben von 1994 bis heute gesagt: Jede Fraktion soll einen Vizepräsidenten haben. Mehr braucht es nicht. Deshalb bitten wir um Ablehnung des Antrages der großen Koalition.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.