Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 12-13 / 15.03.2004
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Ursula Homann

Trotz allem haben sie noch großes Glück gehabt

KZ-Überlebende gründen eine Musik-Band und finden in Amerika eine neue Heimat

Sechs qualvolle Jahre musste der polnische Jude Jack Eisner in deutschen Konzentrationslagern zubringen, zuletzt in Flossenbürg. Im Frühjahr 1945 wurden er und seine Freunde - allesamt junge Juden aus Polen - von amerikanischen Soldaten befreit. "Von einem Tag auf den andern", erzählt Jack Eisner, "waren wir Überlebende frei und auf uns selbst gestellt in einer Welt, die uns meist feindlich gesonnen war". Eine Weile irrte die Gruppe umher, verarmt und heimatlos, bis sie im Juli 1945 in der von amerikanischen Truppen besetzten bayerischen Kleinstadt Cham eine vorläufige Bleibe fand.

Noch hing der Schatten der Vergangenheit über ihr. Doch sie waren jung, der Autor jener Zeit noch keine 20 Jahre alt, und voller Tatendrang. Zunächst wollten sie nur eins: Rache üben und Tätern und Mitläufern heimzahlen, was Deutsche ihnen angetan hatten. Sie jagten Nazis und Kriegsverbrecher auf eigene Faust und sagten vor Gericht gegen sie aus. Manche wären dabei fast selbst zu Mördern geworden. Nebenbei schmuggelten sie Juden und Flüchtlinge über die Ostgrenzen und versuchten, sich durch Schwarzmarktgeschäfte Geld zu beschaffen. Irgendwann wollte jeder von ihnen "dieses unselige Land" verlassen.

Nicht nur ihr gemeinsames jüdisches Schicksal verband sie miteinander, auch ihre Liebe zur Musik. Einige von ihnen hatten im KZ in der Lagerkapelle gespielt. Der Autor selbst war vor dem Krieg Chorknabe und Stipendiat an der Warschauer Musikhochschule gewesen. Man träumte davon, eine Musikband zu gründen und mit ihr durchs Land zu tingeln, um für Überlebende des Naziterrors zu spielen.

Einer von ihnen, Haim Baigelman, Abkömmling einer angesehenen Lodzer Musikerfamilie, hatte in Polen vor der Deportation seine Instrumente vergraben. Kurzerhand entschloss sich Jack Eisner, zusammen mit zwei seiner Gefährten dorthin zu reisen, um die vergrabenen Instrumente zu holen. Das war indes leichter gesagt als getan. Denn die Zeiten waren chaotisch und unsicher, und so erwies sich ihre Reise alsbald als ein waghalsiges und abenteuerliches Unterfangen. Nach allerlei Zwischenfällen kamen sie schließlich heil wieder zurück. Der Gründung der Band "Happy Boys" stand nun nichts mehr im Wege. Eisner erzählt detailliert und plastisch von der Gründung der Band, von dem, was vor dem ersten Konzert alles bedacht und besorgt, erledigt und angeschafft werden musste: Anzüge, ein Touren-Bus, Notenständer und weitere Instrumente.

Die Premiere war ein großer Erfolg. Die Band spielte fortan in amerikanischen Militärclubs und Flüchtlingslagern an verschiedenen Orten - in Feldafing, Fernwald, Landsberg und auch in Bergen-Belsen. Überall ernteten sie begeisterten Applaus und konnten sich vor Anfragen kaum retten.

Der Autor berichtet auch davon, dass am Jom-Kippur-Tag 1945 nur wenige den Weg zur Synagoge fanden. Die meisten der überlebenden Juden, vor allem die jungen, hatten sich enttäuscht von Gott abgewandt, da er sein auserwähltes Volk, ihrer Meinung nach, während der schlimmen Zeit im Stich gelassen hatte. Aber es geschahen auch Zeichen und Wunder. Jack Eisner fand während einer Reise nach Prag seine tot geglaubte Mutter wieder - auf dem voll besetzten Bahnhof von Zebrzydowice.

Schließlich war die Zeit für die lang geplante Auswanderung gekommen. Alle Happy Boys wanderten - einer nach dem anderen - bis Ende 1949 in die USA aus und ließen sich an verschiedenen, teils sehr weit voneinander entfernten Orten nieder. Der letzte war der Autor mit seiner jungen Frau Lusia. Doch 1965, 20 Jahre nach der Gründung der Band "Happy Boys", traf man sich in New York wieder und feierte das Jubiläum mit einem Open-Air-Konzert. Wie einst wurde die Gruppe euphorisch bejubelt.

Im letzten Teil des Buches geht Eisner auf sein Leben in Amerika ein, wo er "mit der Erfahrung und Ausdauer eines Überlebenden des Holocaust zu Wohlstand gelangte". Er schildert, wie er sich den Alltag zurückerobert hat, indem er "die Vergangenheit akzeptierte und sie dem Vergessen entriss". Das half, in den Alltag zurückzufinden.

In seinen letzten Jahrzehnten - Jack Eisner starb am 25.August 2003 im Alter von 77 Jahren - hielt er Vorträge vor jungen Leuten, engagierte sich auf mannigfaltige Weise in Israel und in Warschau und setzte sich mit aller Energie für die Errichtung eines Denkmals für die ungezählten Kinder und Jugendlichen ein, die im Warschauer Ghetto ums Leben gekommen waren. Auch finanzierte er einen Gedenkstein zu Ehren von Janusz Korczak, dem berühmten Arzt, der mit zweihundert Waisenkindern aus dem Warschauer-Ghetto in Treblinka ermordet worden war.

Beide Denkmäler wurden 1993 anlässlich des 50jährigen Jubiläums des Ghetto-Aufstandes in Anwesenheit des amerikanischen Vize-Präsidenten Al Gore und des israelischen Premierministers Izhak Rabin enthüllt. Ihren Höhepunkt fand Eisners Erinnerungsarbeit im April 1994 durch eine Audienz beim Papst. Damals ehrte der Vatikan erstmalig die Opfer des Holocaust. Rückblickend erkennt Jack Eisner dankbar, dass er trotz allem noch großes Glück gehabt habe.

Das Buch ist flott und so spannend und lebendig erzählt, dass sprachliche Unebenheiten kaum ins Gewicht fallen.

Jack Eisner

Die Happy Boys.

Eine Jüdische Band in Deutschland 1945 bis 1949 auf der Suche nach Vergeltung.

Aus dem Amerikanischen von Steve Klimchak.

Aufbau-Verlag, Berlin 2004;

139 S., 21,90 Euro

Ursula Homann arbeitet als freie Journalistin in Arnsberg/Sauerland.


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