Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 12-13 / 15.03.2004
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Ines Gollnick

Der Realist: Rainer Wend

Parlamentarisches Profil

Der Staat ist nur eine Marionette der Konzerne." Ganz so drastisch wie zu seiner Studentenzeit, als er sich noch im Sozialistischen Hochschulbund engagierte, würde der Sozialdemokrat Rainer Wend, Vorsitzender des Bundestagsauschusses für Wirtschaft und Arbeit, diesen Satz heute nicht mehr formulieren. "Marionette ist der Staat sicher nicht", sagt er heute. "Allerdings glaube ich, dass gerade in Zeiten der Globalisierung die objektiven Möglichkeiten, durch die demokratisch gewählten Institutionen Politik und Wirtschaft zu gestalten, eher ab- als zugenommen haben." Damit sich in diesem globalen Wettbewerb demokratisch legitimierte Institutionen noch behaupten können, sei seiner Meinung nach eine noch stärkere internationale Kooperation nötig, um sich dadurch auch wieder freie Handlungsspielräume für die Politik zu erobern.

Rainer Wend empfindet seine parlamentarische Arbeit zur Zeit als ausgesprochen befriedigend. Er hat Karriere gemacht, nach und nach mehr Verantwortung übernommen. Anfang 2002 "kürte" ihn seine Fraktion am Ende seiner ersten Legislaturperiode zum Sprecher für Wirtschaft und Technologie. Im Herbst nach der Wahl stieg er dann zum Vorsitzenden eines Bundestagsausschusses mit neuem, größerem Zuschnitt auf. Wirtschaft und Arbeit wurden sowohl auf exekutiver wie parlamentarischer Ebene zusammengeführt. Die Tagesordnung und die Themen sind in diesem Gremium nun wesentlich umfangreicher geworden, die Arbeit für Rainer Wend dadurch aber reizvoller. "Als Vorsitzender ist man zwar nicht aus der Fraktionsdisziplin ausgegliedert, aber man hat doch ein Stück weit mehr Selbständigkeit und Möglichkeiten, seine persönlichen Positionen einzubringen als vielleicht in anderen Funktionen. Davon mache ich auch ausgiebig Gebrauch", unterstreicht der Jurist, der auch stellvertretendes Mitglied im Rechtsausschuss ist.

So zweifelt Wend beispielsweise am Erfolg einer Ausbildungsumlage für Betriebe, die nicht ausbilden. "In NRW hat man sehr viel Erfolg damit, dass Wirtschaft und Staat auf freiwilliger Basis kooperieren und die Ausbildungsnot bekämpfen. Ich glaube, dass eine staatlich verordnete Umlage in der Wirtschaft tendenziell dazu führt, sich weniger verantwortlich zu fühlen. Man kann sich mit einem Betrag freikaufen."

Ab dem Sommer rechnet Wend fest mit einer Abnahme der Arbeitslosigkeit, beziehungsweise mit mehr Beschäftigung, vorausgesetzt, die Vorhersagen der Institute und der Bundesregierung stimmten. Um Arbeitslosigkeit abzubauen, empfiehlt Wend eine Expansion rund um den privaten Haushalt. Soll heißen: Haushalte sollen als Arbeitgeber anderen Arbeitgebern gleichgestellt werden, mit der Folge, dass Lohn und Gehalt, die für Mitarbeiter gezahlt werden, von der Steuerlast abgezogen werden können. So könnten nach Wends Vorstellungen vor allem Menschen mit geringeren Qualifikationen neue Chancen erhalten, denn Langzeitarbeitslose mit geringerer Qualifikation seien das größte Problem.

Auch bei der Schwarzarbeit hat sich Wend klar positioniert: "Neben der stärkeren Verfolgung, neben dem Bemühen, die Rahmenbedingungen zu verbessern, was die Beiträge angeht, muss sich in der Gesellschaft eine Kultur etablieren, die es verachtet, wenn auf Kosten der Gemeinschaft gelebt wird."

Der 50-Jährige bevorzugt bei aller Notwendigkeit, Kritik zu formulieren, die sachliche Debatte. Das war ihm auch bei der Aufarbeitung der Vorkommnisse um Beraterverträge und explodierende Kosten für die digitale Stellenvermittlung in der Bundesagentur für Arbeit wichtig. Der Wirtschaftsausschuss, in den der alte und der neue Vorsitzende geladen waren, hat keinen direkten Einfluss auf die Bundesagentur für Arbeit (BA). Aber um die Behörde auch aus parlamentarischer Sicht wieder in ein ruhigeres Fahrwasser zu geleiten, könne der Ausschuss indirekt helfen, so Wend, "indem die Debatte um notwendige Veränderungen auch in der BA selbst möglichst sachlich, von parteipolitischen Profilierungen her zurückhaltend, geführt wird."

Im Deutschen Bundestag an exponierter Stelle mitzuarbeiten, ist für Wend die Erfüllung eines kleinen Jugendtraumes. Schon als Junge habe er Willy Brandt und Herbert Wehner bewundert, schildert er die "romantischen" Wurzeln seines politischen Engagements. Mit 16 trat er in die SPD ein. Seine Einblicke in die Arbeitswelt, sein Vater war Schriftsetzermeister, seine Mutter Putzmacherin, prägten ihn. Und noch heute pflege er diese Kontakte und Verbindungen in dieses Milieu.

Realist sei er, sagt Wend. Realist mit Ambitionen, denn sein Jurastudium in Marburg und Münster schloss er mit Prädikatsexamen ab. 1982 folgte die Promotion. Für Realitätssinn sorgt dann auch immer wieder seine Familie. Wend hat ein "Vier-Mädelhaus", die Töchter sind 21, 17 und sieben Jahre alt. Er weiß, was sich in der Jugend so abspielt und was sich hinter Jugendkultur heute verbirgt. Durch seine "vernünftige Beziehung zur Wirklichkeit", wie er es nennt, könne er gut einschätzen, welche politischen Maßnahmen nutzen oder schaden würden.

Dass er seinen Bielefelder Wahlkreis mit so überwältigender Mehrheit geholt hat, führt er auch darauf zurück, dass er es mit vielen Menschen kann, wie man so sagt, dass er eine Beziehung zu vielen Lebenswirklichkeiten habe. Persönliche Wertvorstellungen umzusetzen, das gelinge in der Politik anders als in anderen Berufen, darüber könne man mehr bewegen als in anderen Berufen, findet er. Hier liege der Reiz. Und dies war auch das zentrale Motiv für Wend, in die Politik einzusteigen. Eines unterstreicht er aber ausdrücklich: "Ich bin kein verbissener Politiker, der 15 Stunden darbend auf Sitzungen oder im Büro verbringt." Die Familie dankt es ihm, denn die besucht ihn manchmal in der Hauptstadt.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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