Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 03 / 17.01.2005
Zur Druckversion .
Mirko Heinemann

Haschisch in der Saftpackung

"Seidenroute" und "Balkanroute" - verschlungene Wege der Schmuggler

Wer abends im Berliner Weinbergspark spazieren geht, wird fast zwangsläufig von Männern angesprochen, die sich auf dem Spielplatz postiert haben. Leise fragen sie, ob man "was zu rauchen" brauche. "Oder was anderes." Viele der Männer sind dunkelhäutig, andere stammen offenbar aus dem arabischen Raum. Hier gibt es fast alle Drogen zu kaufen, die es auf dem illegalen Markt gibt. Die Polizei weiß seit langem von diesem Umschlagplatz. Doch der Zugriff ist schwer, denn der offene Park und eine nahe liegende U-Bahnstation bieten gute Fluchtmöglichkeiten. Sollte der Zugriff trotzdem gelingen, ist meist nicht viel von dem Stoff zu finden. Die Hintermänner bleiben unerkannt.

Doch woher stammen die illegalen Substanzen, die in jener idyllischen Berliner Parkanlage unter das Volk gebracht werden? Und wie finden sie ihren Weg aus den Anbaugebieten oder Labors in den Verkauf? Wenngleich naturgemäß viel im Dunkeln liegt, Rückschlüsse können über sichergestellte Drogentransporte des deutschen Zolls gezogen werden. Außerdem unterhält das Bundeskriminalamt (BKA) 59 Verbindungsleute in 45 Ländern, darunter sind mutmaßliche Herkunfts- und Transitländer von und für Drogen.

Die Erkenntnisse des BKA umfassen die wichtigen internationalen Routen, über die Drogen ihren Weg von den Ursprungsländern nach Europa und Deutschland gehen. Eine schon fast klassisch zu nennende Route wird im Fachjargon "Balkanroute" genannt: Opium und Heroin gelangen aus dem Fernen Osten via Türkei und Bulgarien nach Europa. Eine andere Route ist seit dem Fall des Eisernen Vorhangs immer wichtiger geworden: die so genannte "Seidenroute" nutzt dieselben Handelswege, die schon zu Marco Polos Zeiten als "Seidenstraße" die Phantasie der Menschen anregten.

Es sind vor allem Opiate, die über die asiatischen Pisten in Pkw, per Lastwagen oder Reisebussen nach Europa geschleust werden. Im Jahr 2003 wurden rund 626 Kilogramm Heroin in Deutschland sichergestellt. Ein Viertel davon - eher kleinere Mengen - fiel den Beamten an der Grenze zu den Niederlanden in die Hände. Im gleichen Zeitraum wurden aus der Türkei in nur zwölf Transporten 199 Kilogramm Heroin sichergestellt, was darauf hindeutet, dass die Türkei als Umschlagsplatz größerer Mengen von Heroin fungiert.

Im Fernen Osten befinden sich die beiden wichtigsten Anbaugebiete für den Schlafmohn, aus dem Rohopium und dann Heroin gewonnen wird. Inzwischen können viele Labore vor Ort selbst Heroin herstellen, womit das Transportvolumen auf ein Zehntel der Menge verringert wird. Zurzeit wichtigster Heroinproduzent ist der so genannte Goldene Halbmond, die Region umfasst die Länder Afghanistan, Pakistan und Iran. Dabei beträgt der Anteil afghanischen Opiums an der Weltproduktion 70 bis 80 Prozent. 2003 sei die afghanische Anbaufläche für Schlafmohn um acht Prozent gewachsen, sagt Bettina Fehlings von der für internationale Rauschgiftkriminalität zuständigen Arbeitsgruppe vom BKA. Im Goldenen Dreieck im Grenzgebiet von Myanmar (Birma), Thailand und Laos dagegen sinken die Produktionszahlen. Hier werden schätzungsweise 20 Prozent des weltweit in den Handel gebrachten Opiums angebaut. Die Ernte geht in erster Linie nach China, Neuseeland und Australien.

Opium oder Heroin aus Afghanistan geht zunächst per Lasttier oder Lkw über die Grenze nach Tadschikistan, wo es für den Versand Richtung Europa verpackt und zwischen unauffälligen Gütern eingebettet wird. Danach teilt sich die Route. Ein Weg führt über die ehemaligen sowjetischen Republiken Usbekistan, Kasachstan nach Russland, ein anderer über den Iran und die Türkei nach Bulgarien oder weiter per Schiff zu einem europäischen Hafen. Wichtige Umschlagplätze in Europa sind die niederländischen Städte Amsterdam und Rotterdam.

Vor allem der Weg über die zentralasiatischen Republiken nach Russland ist für die Drogenkuriere vergleichsweise risikolos. Deutsche Zollbeamte beklagen die fehlende Erfahrung, Personalmangel, Korruption und die Naivität der kontrollierenden Beamten vor Ort im Zusammenhang mit Drogen. So könnten sich Schmuggler zwischen Westeuropa und Warschau gefahrlos telefonisch auf Englisch verständigen, weil es in den dortigen Aufklärungszentren an Sprachkompetenz mangele.

Kokain wird hauptsächlich in drei Ländern Südamerikas gewonnen: Peru, Bolivien und Kolumbien. Das United Nations Drug Control Programme (UNDCP) schätzt, dass die Kokainproduktion von fast 900 Tonnen im Jahr 2000 auf 655 Tonnen im Jahr 2003 gesunken ist. Der Anteil Perus an der Anbaumenge ist dabei stark rückläufig, während der Anteil von kolumbianischem Koka steigt. Üblicherweise werden die Kokablätter vor Ort direkt zu Kokapaste weiterverarbeitet und per Flugzeug aus den unwegsamen Anbauregionen heraus nach Kolumbien geflogen. Von dort wird der Weitertransport über die karibischen Inseln, Venezuela oder Brasilien per Schiff oder Flugzeug nach Europa organisiert. Die Drogen werden in Postsendungen versteckt, mit Kurieren verschickt oder in Schiffsladungen versteckt.

Zur Aufklärung der Schmuggelrouten im Herkunftsland unterstützt das BKA seit mehreren Jahren die Drogenbehörde in Peru mit Spürhunden. Ein Fund brachte ein Kilogramm Kokain zu Tage, das, in elektrischen Kondensatoren versteckt, per Schiff in die Niederlande verschickt werden sollte. 614 Kilogramm Kokain fanden sich im Karussell eines Schaustellers. Es sollte nach Deutschland gehen.

Ein Schlaglicht auf das Vorgehen von professionellen Kokain-Dealern in der Bundesrepublik wirft ein Fall, der im Dezember vergangenen Jahres in Wuppertal verhandelt wurde: Dabei wurden neun Männer angeklagt, die im großen Stil mit Kokain gehandelt haben sollen. Die Männer stammen aus den afrikanischen Ländern Gambia, Guinea und Liberia. Sie sollen insgesamt 7,5 Kilogramm Kokain beschafft und in Portionen von zehn bis 60 Gramm in Wuppertal und Umgebung weiter verkauft haben. Dabei diente eine Wohnung als Zwischenlager, der Verkauf der kleinen Portionen auf der Straße wurde über so genannte "Cityboys" organisiert.

Der Großteil des in Deutschland konsumierten Marihuanas dürfte inzwischen aus niederländischer Produktion stammen. Zunehmend professionell werden hier stark wirkstoffhaltige Züchtungen in Treibhäusern, Hallen oder Scheunen angebaut. Auch als Transitland spielen die Niederlanden die Hauptrolle. Daher ist es für Ermittlungsbehörden schwer, die von dort importierten Cannabisprodukte bis in das Herkunftsland zurückzuverfolgen. Aber auch die Schweiz exportiert aufgrund ihrer laxen Rechtsprechung hinsichtlich des Cannabis-Anbaus mittlerweile Marihuana. Und laut UNDCP-Weltdrogenreport soll Albanien inzwischen eine bedeutende Rolle in der Cannabis-Produktion spielen. Von hier aus werden die Märkte in den Balkanländern und Italien versorgt.

Im Export von Haschisch ist dagegen Marokko führend. Die typische Vorgehensweise von Schmugglern auf der Route Marokko-Mitteleuropa demonstriert ein bereits einige Jahre zurückliegender Fall: Mitarbeiter der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt in Köln wunderten sich über einen Orangensaft-Transport aus Marokko. Der Saft war von so schlechter Qualität, dass nicht einmal der Transport vom Erlös hätte gezahlt werden können. Daraufhin untersuchte der Zoll die Ware genauer und fand heraus, dass 449 Orangensaftpackungen mit Haschisch gefüllt waren. Wert: fünf Millionen Mark.

Aber auch in der Bundesrepublik wird zunehmend Cannabis angebaut. Davon zeugen die schnell expandierenden so genannten "Grow-Shops", die Utensilien für den Marihuana-Anbau vertreiben. Professioneller Anbau wird in eigens dafür präparierten Treibhäusern betrieben, aber auch auf Balkonen, im Kleingarten oder in der heimischen Wohnung kann unter Nutzung von künstlichen Lichtquellen effektiv gezüchtet werden.

Die Haupt-Produktionszentren synthetischer Drogen befinden sich fast ausschließlich in Europa. Ein wesentlicher Teil der hierzulande sichergestellten Ecstasy-Pillen stammt nach Angaben des Bundeskriminalamtes aus dem Benelux-Raum. Hier fabrizieren zahllose Untergrund-Labore synthetische Drogen. Nach Funden von illegal entsorgten Abfallsubstanzen, die bei der Herstellung von Ecstasy anfallen, müssen im Jahr 2000 allein in den Niederlanden 1,5 Milliarden Ecstasy-Tabletten hergestellt worden sein. Amphetamine (Speed) und Metamphetamine (Crystal) werden in Polen, Tschechien, der Slowakei und den baltischen Ländern hergestellt. Im Jahr 2003 wurden in Deutschland 14 illegale Drogenlaboratorien entdeckt, davon haben neun Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB) hergestellt, drei Ecstasy und jeweils eines Metamphetamin beziehungsweise Designerdrogen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.