Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 03 / 17.01.2005
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Bert Schulz

Der Urtyp des Rockstars: Schon die Griechen tranken sich ins Koma

Rockmusik und Drogen gehören scheinbar zwangsläufig zusammen

In keinem Bereich zeigen sich die gesellschaftlichen Verwerfungen, die der Begriff Droge auslöst, so deutlich wie im Bereich der unter Jugendlichen populären Musik, also der Rock- und Popmusik sowie ihren manigfachen Weiterentwicklungen bis hin zu Techno und Hip-Hop. Das hat mehrere Gründe: Was heute gemeinhin als illegale Drogen gilt - von Marihuana über LSD bis hin zu Koks und Heroin - ist im wesentlichen über die Vermittlung und Darstellung durch jene Musikkulturen in den vergangenen fünf Jahrzehnten zum sozialen Massenphänomen geworden und damit zur Gefahr. Eine Gefahr, die vor allem jungen Menschen bedroht. Hinzu kommt, dass Musik selbst als Droge gelten kann, im positiven wie im negativen Sinn. Und letztlich begreifen sich viele der Pop- und Rockmusiker als Künstler, die schon jeher eine hohe Affinität zu (bewusstseinserweiternden) Drogen besitzen. Eine eigentlich simple Frage über das Verhältnis von Rockmusik und Drogen provoziert damit unter Umständen eine Antwort, die in ihrem Umfang und ihrer Verwirrtheit rauschähnlichen Charakter besitzen kann.

Das beginnt schon damit, dass man fast nicht weiß, wo man anfangen soll. Denn die Verbindung von Musik und Drogen unterschiedlichster Art ist so alt wie die beiden Dinge selbst. Die Griechen der Antike huldigten bei ihren Dionysos-Festen mit Musik und Tanz den Göttern und tranken sich dabei ins Koma - ein Brauch, den mancher Urtyp von Rockstar vor, bei und nach seinen Auftritten gerne wiederbelebt. Überall auf dieser Erde existierten (und existieren) Traditionen, nach denen sich Medizinmänner, Druiden und Schamanen nicht nur mit monotonen Rhythmen, sondern auch mit Mitteln, die unter das deutsche Betäubungsmittelgesetz fallen würden, in Trance versetzen. Letztlich funktionieren zahlreiche Stücke der Popmusik genauso: Kurze knackige Rhythmen - besonders auffällig in der Technomusik - werden bis zur scheinbaren Endlosigkeit wiederholt; in der Rockmusik reiht sich ein und das selbe Gitarrenriff rasch aneinander. Die Folge ist immer die gleiche: Das Zeit- und manchmal auch das Raumgefühl gehen verloren - ein (bisweilen kräftiger) Hauch von Bewusstseinserweiterung.

Allein aus diesem Grund lehnt manche religiös inspirierte Gruppe Pop- und Rockmusik und die meisten ihrer Weiterentwicklungen ab. Damit befinden sie sich zumindest im Ergebnis auf einer Linie mit vielen frühen Theoretikern der Frankfurter Schule, denen die popmusikalischen Produkte der "Kulturindustrie" verhasst waren. Damals war das vor allem der Jazz (dessen Musiker sich übrigens häufig und gerne dem Marihuana hingaben und kaum dem Alkohol). Ein anderes Argument, sie abzulehnen und sogar zu bekämpfen, lieferten die Rock- und Popmusiker mit ihrem Auftreten und ihrem Lebensstil. Ihr Motto, das inzwischen sprichwörtlich für das Genre wurde: "Sex und Drogen und Rock 'n' Roll".

Alles begann vor gut 50 Jahren, als der 19-jährige Elvis Presley 1954 seine erste Platte rausbrachte, damit den Rock 'n' Roll erfand und diese Musik vor allem für ein weißes Massenpublikum akzeptabel machte. Kurz darauf kultivierte er auch noch den Hüftschwung und wurde so für die reichlich verklemmte Jugend der 50er-Jahre zum ersten Sexsymbol. Mit dem Erfolg und dem gesellschaftlichen Aufstieg entdeckte Elvis die Drogen, vor allem Pillen und Alkohol, die ihm auch über Phasen der Erfolgslosigkeit trösteten und an denen er schließlich zu Grunde ging.

Drogen und Rockmusik gingen aber erst in den 60er-Jahren jene enge Verbindung ein, die bis heute auch viele andere Jugendkulturen und fast alle neuen Musikkulturen prägt. Auf Musikfestivals wurde öffentlich neben der "freien Liebe" auch dem Drogenkonsum als Ausdruck einer Gegenkultur reichlich gefröhnt, unterstützt von zahlreichen Musikern, die ihn ihren Liedern eigene Drogenerlebnisse verarbeiteten und damit - zumindest indirekt - zur Nachahmung aufriefen. Darunter waren zum Beispiel die Beatles, deren Zeichentrickfilm "Yellow Submarine" von 1967 und die Musik dazu nicht ungewollt einem einzigen Drogentrip gleicht; Pink Floyd, die gleich ganze Weltraumausflüge mit sphärischen Klängen musikalisch verarbeiteten, oder die New Yorker Band Velvet Underground, die in ihren Liedern schilderten, wie sie auf ihren Dealer warten und wie das frisch besorgte Heroin bei ihnen wirkt. Drogensongs dieser frühen Ära verbanden den Konsum oft mit Freiheit und Selbstverantwortung. "I made a very big decision" (ich habe eine sehr wichtige Entscheidung getroffen), heißt es in "Heroin" von Velvet Underground. Irgendwo zwischen Selbsterfahrung und Selbstzerstörung lag das Ziel. Viele dieser Bands Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre gelten bis heute als stilprägend - auch in Hinblick auf das Image, wie ein zu Ruhm gekommener Rockstar auszusehen hat und wie er auftritt.

Das wirkte sich auch auf die Fans aus und damit auf die Gesellschaft, wie der britische Autor Nick Hornby, der in seinen Büchern vornehmlich das Leben gealterter Musikfans schildert, in einem Interview erklärte: "Ich glaube, was die Autoritäten damals wirklich geschockt hat, war, dass nun auch ganz gewöhnliche Leute anfingen, sich schlecht zu benehmen. Besonders hier in England zeigte man bis dahin immer viel Toleranz für die Exzentritäten der Upper-class, nicht aber für die der Klassen darunter. Der Adel und die Kunststudenten aus den reichen Familien, die durften immer schon Drogen nehmen und Sex haben. Was den Autoritäten in den Sechzigern Angst machte, war, dass nun die Rebellion gegen die herrschenden Vorschriften losging. Wir haben heute vergessen, wie tiefgehend dieser Aufstand war."

Die ausgehenden 60er- und frühen 70er-Jahre waren für die Pop- und Rockmusik ein einziger Rausch, aufgrund der Überschwänglichkeit, wie die Musik und ihre ganze Kultur aufgenommen wurde und in deren Ablehnung einer Gesellschaft, die sich - so eine verbreitete Einschätzung unter Eindruck etwa des Vietnam-Krieges - nur unter Drogen aushalten ließ. Dieses Rauschgefühl wiederholte sich in schwächerer Form bei anderen aufkommenden Jugend- beziehungsweise Musikkulturen, wie dem Punk ab Mitte der 70er-Jahre und dem Techno ab Ende der 80er-Jahre.

Das "Runterkommen" Anfang der 70er-Jahre war für Fans und Musiker gleichermaßen schmerzhaft: Mit Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison starben gleich drei Rock-Ikonen innerhalb eines Jahres an ihrer Alkohol- oder Heroinsucht - und bestätigten damit das Klischee vom exzessiv lebenden Rocker, vom in Drogen Inspiration suchenden Künstler, der dadurch erst die Klangwelten erschaffen kann, die den Hörern dann als Droge gereicht.

Das beeindruckte die Szene jedoch wenig, im Gegenteil: Gleichzeitig wurde eine härtere Version des Rock, der Heavy Metall, populär, und mit ihm noch ausschweifendere (Drogen-)Exzesse. Die lange Liste der Rockleichen ließe sich allein deshalb über die 70er- und 80er-Jahre hinweg fortschreiben; es gibt wenige Bands, die keine Probleme mit Drogen hatten. Beispielhaft sei nur der österreichisches Popsänger Falco erwähnt, dessen große Zeit die frühen 80er-Jahre waren und der gerne mit dem Satz zitiert wird: "Wer sich an die 80er-Jahre erinnern kann, der hat sie nicht erlebt." Bekanntestes Drogenopfer der 90er-Jahre ist Kurt Cobain, der zwar nicht an seiner Sucht, sondern durch eigene Hand starb. Das Heroin darf aber als sein enger Wegbegleiter dahin gelten.

Allerdings hat sich in den vergangenen zehn Jahren das Image des Rock 'n' Roll geändert: Er ist zahmer geworden. "Früher waren Drogen irgendwie selbstverständlich in der Branche. Inzwischen haben sie nicht mehr die Bedeutung wie noch Anfang oder Mitte der 90er-Jahre", berichtet ein Berliner, der halbberuflich von seiner Rock- und Funkmusik lebt und der von sich sagt: "Ich weiß, wovon ich rede." Den vornehmlich jungen Fans werde von der Plattenindustrie verkauft, dass Rockmusik inzwischen wieder eine "saubere Sache" sei - da passe das Bild von den schniefenden oder schluckenden Stars nicht mehr, so der 30-Jährige. Das bedeute nicht, dass Koks, Haschisch oder Pillen verschwunden wären oder potenziell von Musikern weniger konsumiert werden: Sie würden nur weniger offen benutzt. Und ab einem gewissen kommerziellen Erfolg sorge das professionelle Umfeld einer Band mit dem Hinweis: "Nun feiert mal schön", auch weiterhin dafür, dass beispielsweise Kokain griffbereit sei.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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