Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 16 / 18.04.2005
Zur Druckversion .
Ursula Homann

Schillers Schreibtisch

Kurz notiert

Länger als ein Jahr stand Schillers Schreibtisch im KZ Buchenwald. Er war am 14. Mai 1942 zusammen mit Schillers Sterbebett, dem "Spinett", und anderen Möbeln aus Schillers Haus in Weimar dorthin transportiert worden. Da die Nazis die gut besuchte Schiller-Gedenkstätte während des Krieges nicht schließen wollten, aber den Verlust des Mobiliars durch Bombentreffer fürchteten, ließen sie zwischen 1942 und 1943 einige Möbel von KZ-Häftlingen nachbauen. Schillers Original-Schreibtisch wurde anschließend im Nietzsche-Archiv deponiert.

Der Frage, wie dies alles im einzelnen vor sich gegangen ist, hat der Schriftsteller Dieter Kühn genau recherchiert und die Geschichte aus zwei Perspektiven erzählt: Zum einen zeichnet er Schillers Weg zu einem freien Schriftsteller nach: der Dichter auf der Flucht, auf der Suche nach einem Schreibtisch und schließlich seine Arbeit am Schreibtisch. Andererseits beleuchtet Kühn den Schillerkult des NS-Regimes, wobei er eindrucksvoll vor Augen führt, welch absonderliche Verbindung es mit der Weimarer Klassik eingegangen ist und wie der Tisch, an dem der Dichter der Freiheit seine Werke vollendet hatte, just an dem Ort kopiert worden ist, wo Menschenwürde nichts mehr galt.

Nach der Lektüre sieht man Schillers Schreibtisch mit anderen Augen: nicht länger als Stätte genialer Inspiration, sondern als ein beunruhigendes Symbol für die Gefährdung des Schönen, Wahren und Guten. Nach Kriegsende wurden Original und Kopie wieder ausgetauscht. Aber der Nachbau existiert noch in einem Depot unweit des ehemaligen Konzentrationslagers. "Enger, schmerzhafter könnten sich historische Perspektiven kaum überschneiden", merkt Dieter Kühn an.


Dieter Kühn

Schillers Schreibtisch in Buchenwald.

S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2005; 250 S., 18,90 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.