Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 30 - 31 / 25.07.2005
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Andrea Berg

Das Volk will Ruhe und Stabilität

Kirgistan nach den Präsidentschaftswahlen

Bei vorgezogenen Neuwahlen am 10. Juli wurde Kurmanbek Bakijew mit knapp 90 Prozent zum neuen Präsidenten Kirgistans gewählt. Kirgistan ist damit das erste Land in Zentralasien, das einen postsowjetischen Machtwechsel vollzogen hat. Im Vergleich zu den turbulenten Entwicklungen im ers-ten Halbjahr 2005 gewesen waren und zum Sturz des früheren Präsidenten Askar Akajew geführt hatten, verliefen die Wahlen unerwartet ruhig und unspektakulär. Keiner der fünf anderen Präsidentschaftskandidaten und -kandidatinnen kam auf einen nennenswerten Anteil an Stimmen, so dass Proteste von enttäuschten Anhängern diesmal ausblieben und gehofft werden darf, dass in Kirgistan vorerst politische Ruhe einkehren wird.

Doch einige Zeit sah es nicht so aus, als würde sich das kleine Land, in dem eine aufgebrachte Menge am 24. März das Regierungsgebäude in der Hauptstadt Bischkek gestürmt und damit auch die Opposition selbst überrascht hatte, wieder beruhigen. Anders als beim Machtwechsel in Georgien und in der Ukraine - die jeweils mit klarem Symbol und charismatischem Oppositionsführer erfolgten, war in Kirgistan die Verwirrung über Zeichen und Farbe des Umsturzes symptomatisch für das Misstrauen zwischen Bevölkerung und Opposition sowie für die Uneinigkeit innerhalb der Opposition, die in mehr als 40 stark personalisierte Parteien zerfällt. Über die politischen Visionen der Opposition war kaum etwas bekannt und ihre demokratische Gesinnung mehr als fraglich. In erster Linie war sie durch ihre Anti-Akajew Haltung bekannt.

Im März ging es weniger um einen politischen Richtungswechsel, als um einen Machtwechsel innerhalb der Eliten. Auslöser für die Stürmung des Weißen Hauses war die Unzufriedenheit von Teilen der Bevölkerung - insbesondere aus dem Süden - mit dem Ablauf und den Ergebnissen der Parlamentswahlen vom 27. Februar und 13. März. Im ersten Wahlgang am 27. Februar wurden nur 31 der 75 Parlamentssitze vergeben, kaum einer der Oppositionskandidaten war erfolgreich. Als deutlich wurde, dass bestimmte Kandidaten nicht ins Parlament einziehen würden, ging die Bevölkerung in Südkirgistan auf die Straße. Nach dem zweiten Wahlgang am 13. März waren 71 der 75 Parlamentssitze vergeben, davon jedoch nur fünf an Oppositionspolitiker. Die Bevölkerung im Süden demonstrierte weiter. Am 18. März stürmte eine aufgebrachte Menge das Gebäude der Provinzverwaltung in Osch. Zwei Tage später wurde auch die Provinzverwaltung in Dschalal-Abad von Demonstranten eingenommen und später am selben Tag der Flughafen der Stadt. Die Proteste weiteten sich immer mehr aus und erreichten schließlich die Hauptstadt Bischkek.

Prominente Oppositionspolitiker wie Kurmanbek Bakijew und Rosa Otunbajewa machten sich den Unmut der Bevölkerung zunutze und setzen sich an die Spitze der Proteste im Süden. Obwohl sie beide und später auch Felix Kulow in den internationalen Medien als neue Oppositionsführer präsentiert wurden, sind sie im Lande selbst keine Unbekannten, gehören seit langem zur Führungsriege und waren zeitweise enge Vertraute des geflohenen Präsidenten Akajew.

Bakijew war von 1997 bis 2000 Gouverneur der Nordprovinz Chui und von Dezember 2000 bis Mai 2002 Ministerpräsident. Aufgrund der Demonstrationen in der südkirgisischen Siedlung Aksy, bei denen im Frühjahr 2002 sieben Menschen von der Miliz erschossen wurden, musste er von seinem Amt zurück-treten. Kulow war unter anderem Innenminister, Vizepräsident und Bürgermeister von Bischkek. Im März 2000 wurde er verhaftet und im Januar 2001 zu sieben Jahren Gefängnis wegen Amtsmissbrauchs verurteilt, um seine Kandidatur bei den damaligen Präsidentschaftswahlen zu verhindern. Am 24. März wurde er von seinen Anhängern aus dem Gefängnis befreit und inzwischen vor Gericht rehabilitiert. Otunbajewa war schon unter Akajew Außenministerin Kirgistans und arbeitete als Botschafterin in den USA, Kanada und Großbritannien.

Nachdem Präsident Akajew am 4. April 2005 im Moskauer Exil seinen Rücktritt unterzeichnet hatte, wurden vom kirgisischen Parlament vorgezogene Neuwahlen für den 10. Juli 2005 festgesetzt. Sofort begannen die Spekulationen, ob Bakijew oder Kulow größere Chancen hätten und wer von beiden es schaffen würde, sowohl den Norden als auch den Süden hinter sich zu vereinen. Dann gaben beide in einer gemeinsamen Erklärung am 13. Mai bekannt, dass Kulow nicht für die Wahlen kandidieren und stattdessen dem Wahlkampfteam Bakijews beitreten würde. Seit diesem Zeitpunkt galt ein Sieg Bakijews mehr oder weniger als ausgemacht - sowohl in der Bevölkerung als auch bei internationalen Beobachtern.

Als der offizielle Präsidentschaftswahlkampf am 14. Juni dann begann, wurde er klar von Bakijew dominiert. Bereits einen Tag nachdem die Zentrale Wahlkommission die Zulassung von sieben Kandidaten - unter ihnen eine Frau -- bekannt gegeben hatte, war ganz Bischkek mit Plakaten und Handzetteln übersät, die sein Porträt zeigten. Darauf verkündete Bakijew: "Die Zukunft unseres Landes liegt in der Arbeit und in der Einheit."

Insbesondere letzteres Thema ist von großer Bedeutung für die Bevölkerung. Nach den Unruhen im Frühjahr, waren die Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden einmal mehr deutlich zutage getreten. Die instabile Sicherheitslage verunsicherte die Bevölkerung und bestärkte auch internationale Beobachter in ihrer Einschätzung, dass sich das staatliche Gewaltmonopol in Kirgistan immer mehr auflöst und Macht zunehmend auf die regionale und lokale Ebene verlagert wird.

Dort dominieren Politiker mit undurchsichtigen Geschäftsverbindungen den Alltag und kämpfen um die Aufteilung des politischen und wirtschaftlichen Vakuums, das Akajew und seine Familie durch ihre Flucht hinterlassen haben. In den Wochen nach dem Sturz der Regierung kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Schießereien, die zahlreiche Verletzte und mehrere Tote forderten. Unter anderem wurde Anfang Juni der Abgeordnete Dschiralbek Surabaldijew in Bischkek tagsüber auf offener Straße erschossen. Neben seiner politischen Tätigkeit war er Besitzer eines riesigen Marktes für Gebrauchtwagen vor den Toren der Hauptstadt, den er erst letztes Jahr einem Konkurrenten mit Gewalt abgenommen hatte.

Einige Tage später lieferten sich Anhänger und Gegner eines weiteren Abgeordneten, Baiyaman Erkinbajew, einen Schusswechsel in Osch, bei dem eine Person starb. Erkinbajew kontrolliert mehrere Märkte im Süden des Landes, unter anderem in Kara-Suu an der usbekischen Grenze. Im selben Zeitraum wurde ein Anschlag auf das Wahlbüro Bakijews in Bischkek verübt, bei dem zwei Wächter verletzt wurden. Am 17. Juni gelang es Anhängern von Urmat Baryktabasow sogar, den Regierungssitz in Bischkek erneut zu stürmen. Zuvor war seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen abgelehnt worden, da er seit 2002 kasachischer Staatsbürger ist.

Weiteres Konfliktpotenzial enthielten ethnische Spannungen in Südkirgistan. In den Provinzen Osch und Dschalal-Abad machen Usbeken jeweils ein Viertel der Gesamtbevölkerung aus. Sie waren im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen äußerst besorgt darüber, wie ihre Interessen künftig gewahrt werden sollen. Unvergessen sind die blutigen Zusammenstöße zwischen Kirgisen und Usbeken in Osch und Özgen im Juni 1990, bei denen 300 Menschen ums Leben kamen. Von Bakijew, der in der Nähe von Dschalal-Abad geboren wurde, wußte die usbekische Minderheit zumindest, dass er das Leben im Süden und das Miteinander von Kirgisen, Usbeken und anderen ethnischen Gruppen aus eigener Erfahrung kennt.

Die wachsende Instabilität führt in der Bevölkerung zu einem immer stärker werdenden Wunsch nach Ruhe und Stabilität. Viele haben Angst, dass ihre mühsam aufgebauten Existenzen weiter zerstört werden. Ob der neue Präsident Kurmanbek Bakijew die Sicherheitslage auf Dauer stabilisieren kann, bleibt abzuwarten. Möglicherweise müssen wir uns aber auf eine Zeit der fehlenden staatlichen Kontrolle in Kirgistan einrichten.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.