Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 38 - 39 / 23.09.2005
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Pressestimmen


El País (Spanien):

Die Deutschen haben bei der Bundestagswahl einer Reform nach neoliberalem oder angelsächsischen Muster eine Absage erteilt. Nun sucht man nach einem neuen Sozialpakt. (...) Das Wahlergebnis bedeutet auch, dass Berlin der Türkei die Tür zur EU vorerst nicht verschließen wird, wie die CDU-Chefin Angela Merkel dies vorhatte. Allerdings weist die Bundestagswahl auch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Nein der Franzosen zur EU-Verfassung auf. Die politische Lähmung Europas schreitet weiter voran.


Le Monde (Frankreich):

Die früher über Jahrzehnte hinweg stabile Parteienlandschaft ist zersplittert, wobei es sich dabei aber nicht um ein auf Deutschland begrenztes Phänomen handelt. (...) Und doch gibt es in allem etwas speziell Deutsches. Denn die radikale Linke hat ihre Wählerbasis vor allem im Osten. Und sie wird sich halten können, solange die psychologische und soziale Wiedervereinigung nicht wirklich abgeschlossen ist.


Wall Street Journal (USA):

Es war ein schlechtes Omen, als Angela Merkel, die Kandidatin der konservativen CDU, den Rolling-Stones-Song "Angie" zu ihrem Wahlkampflied wählte. In Wirklichkeit ist es ein Lied über ein Scheitern. "Alle Träume, die uns so viel bedeuteten, scheinen sich in Rauch aufzulösen", heißt es in dem Lied - und das ist ziemlich genau das, was der CDU bei der Wahl am vergangenen Sonntag widerfuhr, als der Sozialdemokrat Gerhard Schröder, der in den vergangenen sieben Jahren nach Art eines deutschen Bill Clinton Kanzler war, ein bemerkenswertes Comeback schaffte.


The Times (Großbritannien):

Angela Merkel hat nach ihrem von Fehlern und hölzerner Ängstlichkeit geprägten Wahlkampf den anfänglich großen Vorsprung ihrer oppositionellen Christdemokraten verschenkt und endete fast gleichauf mit Gerhard Schröder. (...) Nach drei Jahren ökonomischer Stagnation und einer wilden Außenpolitik ist er unverdientermaßen noch einmal davon gekommen. (...) Es ist fraglich, ob eine von Frau Merkel geführte Regierung nach ihrer Wahlkampfleistung die nötige Autorität oder Glaubwürdigkeit aufbringen würde.


La Republica (Italien):

Und nun? Wozu hat die Wahl überhaupt gedient? Merkel, die als Gewinnerin in den Wahlkampf ging, kommt am Ende mit gebrochenen Knochen an. (...) Sie hätte die sozialdemokratische SPD, die nach sieben Regierungsjahren abgenutzt in Scherben lag, in eine Ecke verbannen sollen. Stattdessen hat sie sie auf den Fersen, mit gerade mal einem Prozentpunkt Unterschied.


Iswestija (Russland):

Die Christdemokraten stehen unter Schock. Man musste nur ihre Reaktion auf die ersten Ergebnisse sehen, um das zu begreifen. Erloschene Augen, verzweifelte Gesichter, flauer Beifall, mit dem das Publikum Angela Merkel empfing. Dabei hatten ihr kurz zuvor noch überfüllte Säle begeistert zugejubelt. Und der Sprecher hatte die Vorsitzende der CDU immer als "die künftige Bundeskanzlerin" angekündigt. Auf einmal ist sie wieder nur Frau Merkel.


Neue Zürcher Zeitung (Schweiz):

Als großes Wahlkampfgeschenk Merkels an Schröder stellte sich die Nominierung Paul Kirchhofs als Finanzexperte der neuen Regierung heraus. Mit seinem untrüglichen Instinkt für die Stimmungen im Land nahm der angeschlagene Kanzler die unbekümmerten Gedankenspiele des "Professors aus Heidelberg" zur Steuerpolitik auf und konstruierte daraus das Schreckensszenario eines menschenverachtenden Sozialabbaus. Darauf reagierte die Union offensichtlich zu spät mit einer Gegenkampagne.


Politiken (Dänemark):

Die SPD in einer großen Koalition könnte der Bevölkerung, die Reformen zwar will, diese aber aus verständlichen Gründen auch fürchtet, eine gewisse Sicherheit geben. Eine große Koalition bringt Deutschland aus der Lähmung, die permanent alle durchgreifenden Reformversuche bedroht.

Nirgendwo sonst auf der Welt, vielleicht mit Ausnahme der USA, gibt es eine so breite Verteilung der Macht auf viele Zentren in der Gesellschaft. (...) Eine große Koalition würde mit einem Schlag die Anzahl der Kontrahenten reduzieren und die deutsche Stimme nach außen wesentlich glaubwürdiger machen.


Gazeta Wyborcza (Polen):

Irgendeine Regierung wird es am Ende geben. Aber es ist nicht bekannt, ob diese neue Regierung ernsthaft die Regulierung der Wirtschaft flexibler gestalten oder im Gegenteil das gegenwärtige System so weit wie möglich erhalten will. Ob die Außenpolitik eine Rückkehr zu den USA einschlägt oder Schröders internationale Politik beibehält, die sich auf das Bündnis mit Frankreich und das Kokettieren mit Russland stützt. Diese Wahl hat gezeigt, dass Deutschland, das größte Land Europas, vorerst nicht weiß, in welche Richtung es geht.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.