Das Parlament
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Nr. 26 / 26.06.2006
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sas

Aufenthaltsrechtliche Änderungen für mehr Opferschutz befürwortet

Experten zu Zwangsverheiratungen

Familie. Überwiegend Einigkeit herrschte unter den zu einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses am 19. Juni geladenen Experten bei Fragen zu Änderungen des Aufenthaltsrechts, um Opfer von Zwangsverheiratungen besser zu schützen: So hielt die Rechtsanwältin Marina Walz-Hildenbrand eine Verlängerung des bestehenden Aufenthaltsrechts von sechs Monaten auf drei Jahre für notwendig, um Heiratsverschleppungen entgegenzuwirken. Die Opfer von Heiratsverschleppungen hätten in vielen Fällen nicht die Möglichkeit, innerhalb eines halben Jahres nach Deutschland zurückzukehren, um ihren Aufenthaltstitel zu verlängern und seien anschließend von Abschiebung in das Land bedroht, in dem sie zwangsverheiratet wurden.

Grundlage der Diskussion im Ausschuss bildeten drei Anträge der Opposition (16/1156, 16/1564, 16/61), deren Ziel eine Stärkung der materiellen sowie aufenthaltsrechtlichen Stellung der Opfer von Zwangsehen, Heiratsverschleppung und Heiratshandel ist. Dabei geht es um den Sachverhalt, dass bei muslimischen oder türkischen Frauen zumeist die Familien die Auswahl des Ehepartners, den Zeitpunkt der Eheschließung und den Ort festlegen und dies in einer großen Zahl der Fälle gegen den Willen der künftigen Eheleute geschieht.

Im Weiteren forderten die Sachverständigen ein Recht auf Wiederkehr im Aufenthaltsrecht für junge Menschen, die in ihren Herkunftsländern nicht zurechtkommen - unabhängig von der Sicherung des Lebensunterhalts. Kritik übte die Rechtsanwältin Walz-Hildenbrand an der Härtefallregelung im Aufenthaltsrecht. Möchte sich eine türkische Ehefrau innerhalb von zwei Jahren nach Eheschließung von ihrem Mann scheiden lassen, so liegt es im Ermessen der Ausländerbehörde, ob sie in ihr Herkunftsland zurückkehren muss, wo sie Diskriminierungen ausgesetzt sein kann, oder ob sie eine besondere Härte geltend machen. Christian Storr, Stabstellenleiter des Ausländerbeauftragten Baden-Württemberg, trat für einen Hinweis in den Verwaltungsvorschriften ein, der als einheitliche Entscheidungsgrundlage für die Ausländerbehörde gelten könne. Für eine materielle Besserstellung machte sich Heiner Bielefeld vom Deutschen Institut für Menschenrechte stark. Dabei sollten nicht nur Minderjährige, sondern auch junge volljährige Opfer von Zwangsehen Anspruch auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII erhalten.

Uneins waren die Experten darüber, ob - wie in einer Bundesratsinitiative vom Land Baden-Württemberg gefordert, "Zwangsehen" als ein eigenständiger Straftatbestand im Strafgesetzbuch gelten sollten. Während Befürworter eines solchen Straftatbestandes wie Christian Storr sich davon ein Schließen rechtlicher Lücken versprechen, etwa, dass Fälle von so genannten "Ferienverheiratungen" geahndet werden könnten, hielt Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund die Einführung eines solchen Straftatbestandes für "nicht erforderlich".

Die in der Türkei geborene Autorin Necla Kelek machte sich für die Heraufsetzung des Nachzugsalters für Ehepartnerinnen auf das 21. Lebensjahr stark. Zudem sollte nach Auffassung von Kelek vor Einreise des Ehepartners sichergestellt sein, dass er ein für den Familienunterhalt ausreichendes Einkommen durch Arbeit bezieht und einen eigenen Haushalt führt. Damit könnte einer "üblichen Praxis" bei türkischen Migranten ein Riegel vorgeschoben werden, die "Importbräute" als kostenlose Haushaltshilfen im Familienhaushalt einzusetzen. In scharfen Worten wandte sich Sidar Demidögen vom Bundesverband der Migrantinnen in Deutschland e.V. gegen die Erhöhung des von Kelek geforderten Nachzugsalters. Storr warnte davor, dass dies für die immer zahlreicher werdenden binationalen Ehen eine Wartezeit bedeuten würde. Damit würde man "weit über das Ziel hinausschießen". Er plädierte dafür, das Nachzugsalter auf das 18. Lebensjahr festzulegen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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